Künstliche Befruchtung: Was bringt all das Zusatzangebot? Von Doreen Garud, dpa
Viele Paare mit unerfülltem Kinderwunsch suchen Kinderwunschzentren
auf. Dort können sie oft aus einer Liste an Angeboten auswählen.
Diese kosten häufig viel zusätzlich - und bringen manchmal wenig.
Berlin (dpa) - In fast jeder deutschen Schulklasse sitzt rechnerisch
mittlerweile ein Kind, das durch künstliche Befruchtung entstanden
ist. Die Eltern dieser Kinder haben oft einen langen Weg mit vielen
schwierigen Entscheidungen hinter sich. Denn in den
Kinderwunschzentren stehen ihnen nicht nur mehrere
Befruchtungsmethoden zur Auswahl. Häufig werden die Paare auch
gefragt, ob sie vielversprechend klingende Zusatzleistungen buchen
wollen. Mal soll das Spermium extra aufbereitet, mal der Embryo im
Zeitraffer beobachtet, mal das Schlüpfen aus der Membran durch
Anritzen erleichtert werden. Normalerweise kosten diese sogenannten
Add-Ons extra - und ihr Nutzen ist zum Teil fragwürdig.
«Im Prinzip kann man zusammenfassen: Die Add-Ons bringen
erwiesenermaßen nicht sehr viel», sagt Ulrich Knuth, Vorsitzender des
Bundesverbands reproduktionsmedizinischer Zentren Deutschlands (BRZ),
der also die Kinderwunschzentren vertritt. Es sei aber reizvoll für
die Kliniken, diese Leistungen anzubieten, sagt er, «weil sie damit
viel Geld verdienen können».
Erst wird ausprobiert, dann eine Studie durchgeführt
Knuth sieht ein Kernproblem darin, dass in der noch recht jungen
Medizin-Disziplin - 1978 wurde das erste Baby nach
In-vitro-Fertilisation geboren - viel ausprobiert und ungeprüft
angewendet werde. «Jemand denkt sich etwas Schlaues aus, bei einer
Patientin wirkt das, und dann wird es allen empfohlen, ohne dass das
Verfahren in einer klinischen Studie untersucht wurde.» Häufig kämen
erst Jahre später die ersten Studien zu diesen Verfahren raus - auch,
weil es extrem aufwendig ist, solche Studien nach anerkannten
Richtlinien durchzuführen.
Zu den wenig sinnvollen Verfahren zählt der Fachmann Embryo-Glue: ein
spezielles Medium, das dem Embryo nach dem Transfer das Anhaften an
die Gebärmutterschleimhaut erleichtern soll. Oder Scratching, bei dem
eine kleine Verletzung in der Gebärmutter die Einnistung verbessern
soll. «Auch das ist auf der Liste: Hilft nicht», resümiert er.
Verfahren zur Auswahl von Embryos
Erst im Juli kam eine großangelegte Studie im Fachblatt «The Lancet»
zu dem Ergebnis, dass auch das sogenannte Time-Lapse-Verfahren zur
Auswahl von Embryonen die Chance auf eine erfolgreiche
Schwangerschaft nicht verbessert. Dabei werden tausende Fotos
aufgenommen, um in einem Zeitraffervideo zu sehen, wie die Embryonen
wachsen. Das soll die Entscheidung verbessern, welche davon sich
besser für den Transfer eignen - tut es aber offenbar nicht.
«Dies zeigt, dass sich die theoretischen Vorteile fortschrittlicher
Technologien nicht immer in verbesserten klinischen Ergebnissen
niederschlagen», sagt Erstautorin Priya Bhide von der Queen Mary
University in London. Ihr Co-Autor David Chan weist darauf hin, dass
das Geld besser nicht für jene Maschinen ausgegeben werden solle,
welche den Embryo fotografieren, sondern für andere Laborgeräte, die
wirklich einen messbaren Einfluss haben.
42 Zusatzleistungen bewertet
Welche aber sind das? Die europäische Fachgesellschaft ESHRE
(European Society of Human Reproduction and Embryology) prüfte 42
Zusatzleistungen, um darauf basierend Empfehlungen zu geben. Dabei
bemängeln die Autorinnen und Autoren, dass keine ihrer Empfehlungen
auf qualitativ hochwertige Evidenz gestützt werden könne, denn meist
lägen nur Studien geringer Qualität vor.
Insgesamt kommt die Gesellschaft zu dem Schluss: 37 der 42
Zusatzleistungen können nicht empfohlen werden. Einige wenige könnten
in Betracht gezogen werden, oder sie werden empfohlen, aber teilweise
nur für bestimmte Patientinnen-Gruppen.
Nicht alles für alle Paare sinnvoll
Der Reproduktionsmediziner Volker Ziller betont, dass es sich lohne,
genau auf die Patientinnen und ihre Bedürfnisse zu schauen. Der
Leiter des Schwerpunktes für Gynäkologische Endokrinologie,
Reproduktionsmedizin und Osteologie am Universitätsklinikum Marburg
sagt: «Das ist wie in einer Autowerkstatt: Man braucht keine neuen
Felgen, wenn der Motor stottert.» Deswegen sei es fragwürdig, wenn
Kinderwunschzentren allen Paaren alles anböten.
Es könne aber schon sein, dass bestimmte Patientinnen, die zum
Beispiel über einen niedrigen Spiegel des Hormons Progesteron
verfügen, von einer Einnistungsspritze profitierten. Auch bei anderen
Add-Ons sieht er gewisse Vorteile, auch beim Time-Lapse-Verfahren.
«Das Ganze ist ein sehr komplexes und extrem schwieriges Thema»,
erklärt Ziller. Die überwiegende Mehrheit seiner Kolleginnen und
Kollegen führe sicherlich nur Dinge durch, von denen sie inhaltlich
überzeugt seien - auch wenn die Evidenz vielleicht nur schwach sei.
«Die meisten Ärzte sind schon erst mal am Wohl ihrer Patienten
interessiert.»
Oft viele Versuche nötig, bis es klappt
Für viele Paare sind die Besuche bei Kinderwunschzentren sehr
frustrierend. Die Schwangerschaftsrate pro Embryotransfer liegt bei
etwa 31 Prozent, bei älteren Frauen noch weit darunter. Oft sind also
viele Versuche nötig. «Deswegen suchen viele Menschen nach Lösungen
»,
sagt Ziller. «Die Leute greifen nach jedem Strohhalm. Nicht nur die
Patientinnen und Patienten, sondern auch die Mediziner.» Deswegen
würden all diese Verfahren entwickelt.
Hilft der Placebo-Effekt? Bessert sich die Schwangerschaftsrate, wenn
man viel Geld für etwas zahlt und damit die Hoffnung verbindet, dass
es deswegen klappt? «Der Effekt der Psyche ist erstaunlich niedrig»,
erklärt Ziller. Relativ gute Daten gebe es für den umgekehrten Fall,
wenn jemand während der Behandlung sehr gestresst sei: «Wenn der
Embryo fit ist, dann schafft er es - egal, wie sehr sich die
Patientinnen aufregen.»
Insgesamt, heißt es auf der Webseite des Familienministeriums, lebe
in Deutschland fast jedes zehnte Paar zwischen 25 und 59 Jahren
ungewollt kinderlos. Zur Unterstützung mancher Paare gibt es Bundes-
und Landesmittel. Zudem existiert ein Info-Portal - eine Übersicht zu
Add-Ons fehlt dort allerdings. Immerhin ein Podcast soll im Oktober
zu dem Thema dort erscheinen.
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