Hendrik Streeck: Der Corona-Doktor will in den Bundestag Von Christoph Driessen und Jonas-Erik Schmidt, dpa
Die Pandemie hat Biografien verändert. Auch die des Virologen
Streeck, der nicht immer unumstritten war. Nun hat er ein Buch
geschrieben - und kandidiert für den Bundestag. Wie hängt das
zusammen?
Bonn (dpa) - Wenn Hendrik Streeck mal in Ruhe telefonieren will, dann
verlässt er sein Virologisches Institut auf dem Venusberg hoch über
Bonn und schlägt sich in den Kottenforst. Das ist ein durchaus
ansehnlicher Wald, der sich direkt hinter dem Gelände der Uniklinik
ausbreitet. Derzeit hat der prominente Virologe ziemlich viel zu
besprechen, denn er plant nichts weniger als den Eintritt in die
Bundespolitik. Im einstigen Wahlkreis von Konrad Adenauer in Bonn
wird er bei der Bundestagswahl in einem Jahr für die CDU antreten.
Lange war gar nicht bekannt, dass er ein Parteibuch hat. «Als mich
Armin Laschet in den Expertenrat berief, habe ich ihm gesagt, dass
ich CDU-Mitglied bin», erzählt er der Deutschen Presse-Agentur. Der
einstige NRW-Ministerpräsident habe ihm aber geraten, das nicht
öffentlich zu machen. «Das war sehr weise von ihm», sagt Streeck.
«Weil es sonst noch eine weitere Ebene gegeben hätte. So in die
Richtung: «CDU-Virologe kritisiert Merkel».»
Das Ohr der Bundeskanzlerin hatte zur Corona-Zeit eher der Berliner
Virologe Christian Drosten, der häufig zu Streecks Gegenspieler
stilisiert wurde: Drosten galt in Corona-Fragen als streng, Streeck
dagegen als Vertreter einer Laissez-faire-Haltung, so die
Überzeichnung. Das brachte ihm heftige Kritik ein, unter anderem von
ZDF-Satiriker Jan Böhmermann.
Er ahnt, dass es Kritik geben wird
Gerade hat der 47 Jahre alte Mediziner in der Sache nochmal mit einem
Buch nachgelegt. Titel: «Nachbeben». Auch das werde wieder nicht ohne
Streit abgehen, vermutet er: «Es wird garantiert jemanden geben, der
einzelne Zitate rauspickt und kritisiert. Oder sagt, ich hätte eine
bestimmte Studie nicht ausreichend gewürdigt. Da wird es Angriffe
geben und sie sind Symptom vom Problem der ganzen Debatte um Corona.»
Er habe auch lange damit gehadert, noch einmal ein Buch über die
Pandemie zu schreiben, die viele Bürger längst verdrängt haben.
Streeck findet aber, dass es sein muss. «Ich habe zwei, drei Jahre
immer wieder für Aufklärung geworben, aber es ist nichts daraus
geworden.»
Im Kottenforst biegt Streeck nun an einer Weggabelung ab: «Wenn wir
nach links gehen, kommen wir zu den Hirschen.» So wird es gemacht.
Auch Streeck steht in gewisser Weise an einer Gabelung. Wenn er
nächstes Jahr gewählt wird, müsste er seinen Doktorkittel
vorübergehend an den Nagel hängen. Viele fragten ihn jetzt, warum er
sich das antun will. Seine Antwort: «Aus meiner Sicht ist es schon
so, dass dieser Schritt eine logische und emotionale Konsequenz der
vergangenen Jahre ist. Eine Konsequenz daraus, dass abweichende
Meinungen nicht gehört und die Sorgen und Nöte der Bevölkerung nicht
nachvollzogen wurden. Das sehe ich schon als meinen Antrieb, in die
Politik zu gehen.»
Man kann das wohl so deuten: Weil er in der Corona-Zeit das Gefühl
hatte, nicht gehört zu werden, will er nun selbst an die Hebel.
«Da gibt es Neider und Förderer gleichermaßen»
Ob er das schafft? Seine Prominenz könne im Wahlkampf von Vorteil
sein, meint der Parteienforscher Karl-Rudolf Korte: «Für die Wähler
lebt der Kandidat von der Projektionsfläche: Wir meinen ihn zu kennen
- das hat viele Vorteile auf dem Wählermarkt, zumal er unverbraucht
in der politischen Szenerie wirkt, das macht zusätzlich neugierig.»
Ob er sich aber parteiintern durchsetze, sei schwer zu beurteilen.
«Da gibt es Neider und Förderer gleichermaßen», sagt Korte der dpa.
Vor dem Gehege ist Streeck etwas ratlos - von den avisierten Tieren
fehlt jede Spur. «Es gibt hier sogar einen weißen Hirsch. Wo ist
der?», fragt der Virologe. Aber nur ein Jogger trabt schnaufend
vorbei.
Der Schritt nach Berlin wäre - so er überhaupt gelingt - auch ein
Wagnis. Streeck wäre dort - um im Bild zu bleiben - mit seiner Vita
ebenfalls eine Art weißer Hirsch, ein Sonderling. Er bestreitet das
nicht. Er ahnt, dass er parteiintern natürlich auch kritisch beäugt
werden könnte. Schon, weil er nicht die typische Ochsentour durch die
Junge Union durchlaufen hat.
Die Leute treten ihm jetzt schon ganz anders gegenüber, ist sein
Eindruck. Hemmungen, ihn anzusprechen, sind weggefallen: Er ist jetzt
nicht mehr der Herr Professor, sondern der Kandidat, der in den
Bundestag will. «Jetzt muss er mit mir ins Gespräch kommen, er
braucht ja meine Stimme» - das sei jetzt die Haltung.
Plötzlich sind die Hirsche doch noch da, sogar der weiße. Streeck
kniet sich ins Gras und lockt mit Wildfutter. Zögerlich schlabbern
die Tiere die Krümel von seiner Hand. Kann man eklig finden, muss man
aber nicht.
«Ich bin von meiner Grundprofession her Arzt», sagt er. Er habe
Menschen helfen wollen. Jetzt sei dieser Antrieb eben politisch
geworden. Er sagt aber auch: «Ich habe jetzt nicht vor, mein ganzes
Leben im Bundestag zu bleiben.»
Wobei das einige gesagt haben. Und Konrad Adenauer war lange Mitglied
des Bundestages. Bis zu seinem Tod.
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