Druck auf Rettungsdienste steigt - Hilfe für Helfer gefragt Von Christine Schultze, dpa
Immer mehr Patienten und auch viele, die eigentlich keine echten
Notfälle sind - auch in Hessen steigt der Druck in der medizinischen
Notfallversorgung. Wie können die Retter entlastet werden?
Gießen/Wiesbaden (dpa/lhe) - Steigende Einsatzzahlen bei angespannter
Personallage - Notfallmediziner stehen auch in Hessen vor
vielfältigen Herausforderungen. Rettungsleitstellen und Notärzte
übernähmen einen immer größeren Teil der ambulanten
Patientenversorgung, sagte Notärztin Susanne Tilp von der
Universitätsklinik Gießen der Deutschen Presse-Agentur. Hinzu kommen
Fälle von Patientinnen und Patienten, die sich unwirsch oder sogar
aggressiv gegenüber dem Personal von Rettungsdiensten und
Notaufnahmen verhalten.
Notärztin Tilp hatte kürzlich das Rettungsdienstsymposium «Der Rote
Patient» organisiert - im Fokus dabei: die Versorgung von Menschen
mit akuten Krankheits- oder Verletzungsbildern, die schon beim
Eintreffen von Sanitäterinnen und Sanitätern beziehungsweise
Notärztinnen und -ärzten eine rasche Diagnostik und medizinische
Behandlung benötigen. Wie lassen sich hier mit professioneller
Kommunikation die Abläufe gut verzahnen, um die Patienten von Anfang
an bestmöglich zu versorgen und beim Eintreffen in der Klinik an die
richtigen Stellen zu übergeben? Mit diesen Fragen beschäftigten sich
die Spezialisten.
Hohe Erwartungen an Rettungsdienst
Erfahrungen zeigten allerdings, dass manche Menschen heute
gesundheitliche Probleme nur schwer einschätzen könnten und hohe
Erwartungen an Rettungsdienste hätten, die ihnen möglichst umfassend
und schnell helfen sollen, sagt Tilp. Abhilfe versprächen sich manche
dann von der Notaufnahme eines Krankenhauses, das unterschiedliche
Fachabteilungen unter einem Dach vereinige. Dort könne es jedoch zu
neuen Problemen kommen, weil die Patienten vielleicht längere
Wartezeiten in Kauf nehmen müssen, da tatsächliche Notfälle ihnen
vorgezogen werden.
Von ähnlichen Erfahrungen berichtet auch Mike Mann, Bereichsleiter
Rettungsdienst des Landesverbandes des Deutschen Roten Kreuzes, das
in Hessen mit 60 Prozent einen Großteil des Rettungsdienstes abdeckt.
Insgesamt 637.509 Notfalleinsätze und Krankentransporte sowie mehr
als 21 Millionen gefahrene Kilometer absolvierten die DRK-Helfer 2022
im Bundesland - Einsatzzahlen für das vergangene Jahr liegen noch
nicht vor, doch dürften sie weiter gestiegen sein.
Dazu trage auch bei, dass immer häufiger auch bei
Bagatellerkrankungen der Rettungswagen gerufen werde, so Mann.
Häufiger als früher bekämen es Sanitäterinnen und Sanitäter dann
mit
unwirschen, überforderten oder ungeduldigen Patienten zu tun. Die
Gründe dafür sind vielfältig - der Landarztmangel ist einer davon,
die Alterung der Gesellschaft ein anderer. Gerade Menschen, die
allein und relativ isoliert leben, könnten schnell an ihre Grenzen
geraten, wenn es ihnen gesundheitlich nicht gut geht.
Kann ein neuer «Helpdesk» die Retter entlasten?
Bereits seit einiger Zeit werden deshalb Ideen diskutiert, wie den
Menschen gut geholfen und zugleich die Rettungsdienste entlastet
werden können, wie Mann sagt. Mobile Fachkräfte, die in ländlichen
Regionen Patientinnen und Patienten aufsuchen, sind eine Möglichkeit.
Erste Hausarztpraxen, beispielsweise im Main-Kinzig-Kreis, setzen
bereits auf solche Lösungen.
Hinzu kommen Angebote wie der Hausnotruf sowie Telenotärzte, die via
Livestream direkt mit der Rettungswagenbesatzung kommunizieren und so
dazu beitragen können, einen Notarzteinsatz vor Ort zu ersparen. Eine
weitere Option wäre, die Notrufnummer 112 als eine Art Schaltzentrale
oder «Helpdesk» so zu organisieren, dass neben medizinischen auch
andere Helfer eingebunden werden können, die vielleicht noch
dringender benötigt werden, also etwa Psychologen oder
Sozialarbeiter.
Klare Informationen im Notfall entscheidend
Tilp, die selbst als Notärztin an ihren Arbeitstagen zu Einsätzen im
Landkreis Gießen und benachbarten Landkreisen unterwegs ist, hebt
zudem die Bedeutung einer guten Kommunikation in Notfällen hervor.
Wer einen Menschen in einer mutmaßlichen gesundheitlichen Notlage
finde, sollte sich einen ersten Überblick verschaffen und seine
Eindrücke möglichst klar, ruhig und sachlich telefonisch schildern.
Ein korrekter Notruf ist so bereits wichtiger Teil der Ersten Hilfe,
auf deren Bedeutung am «Internationalen Tag der Ersten Hilfe» an
diesem Samstag (14. September) weltweit aufmerksam gemacht werden
soll.
Die Angaben können entscheidend für den Einsatz sein, denn in der
Notfallmedizin gehe es vor allem darum, möglichst schnell eine
«Arbeitsdiagnose» zu stellen, um erste Behandlungsschritte auf den
Weg zu bringen - ob es nun um einen Senior mit Schlaganfall geht oder
ein Baby mit Atemstillstand.
Probleme mit aggressiven Patienten
Besonders schwierig wird es für das Rettungsdienstpersonal und die
Notärztinnen und Notärzte, wenn sie während ihrer Einsätze und trot
z
Zeitdruck und hohen Einsatzzahlen dann noch Anfeindungen oder
aggressivem Verhalten von Patienten oder deren Angehörigen ausgesetzt
sind. Leider gehörten solche Vorfälle mittlerweile fast zum Alltag,
sagt die Notärztin. Sie wisse von Patienten, zu denen Sanitäterinnen
und Sanitäter nur unter Begleitung einer Polizeistreife fahren - aus
Sorge vor möglichen Angriffen.
Gut erinnert sie sich auch noch an den Fall eines Patienten, der in
der Notaufnahme des Uniklinikums ausgerastet sei und eine
Krankenschwester schwer verletzt habe. Bei einem nächsten Symposium
in Gießen will die Notärztin diese Thematik und mögliche
Handlungsempfehlungen zum Thema machen.
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