Fleischverzicht, Fleischersatz und Fitness - Forschung für Fakten Von Marco Krefting, dpa
Immer mehr Menschen verzichten ganz oder teilweise auf Fleisch. Aber
unklar ist, wie sich das auf die Gesundheit auswirkt. Eine große
Studie will das untersuchen - und ist offen für Überraschungen.
Karlsruhe (dpa) - Beide Beine auf dem Boden, nicht am Stuhl anlehnen,
den Arm anwinkeln und dann kräftig mit der Hand zudrücken. So sehr,
dass es zittert. Lea Böckstiegel hält ein Hand-Dynamometer, das die
Griffstärke misst - ein Indikator für die gesamte Muskelstärke. Sie
ist Probandin bei der bislang größten Studie zu pflanzenbasierter
Ernährung im deutschsprachigen Raum. Seit etwa vier Jahren lebt
Böckstiegel vegetarisch, verzichtet auf Fleisch und Fisch. Und will
nun viel über ihr Leben, ihre Gesundheit und Essgewohnheiten
preisgeben: umfassend und grammgenau. «Ich wollte schon immer an so
einer Studie teilnehmen.»
Das kommt nicht von ungefähr: Böckstiegel arbeitet am Max
Rubner-Institut (MRI), dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und
Lebensmittel in Karlsruhe. Es ist eines von acht Forschungszentren
der sogenannten Coplant-Studie. Das sei aber nicht der Grund für die
Teilnahme, sagt Böckstiegel: «Ich finde den Inhalt der Studie
spannend.»
Die Forschenden wollen herausfinden, welche Auswirkungen die
Ernährung auf Gesundheit und Fitness hat. Teilnehmerinnen und
Teilnehmer erfahren natürlich die Details: Ist der rechte Arm
kräftiger als der linke? Wie sieht das große Blutbild aus - auch im
Vergleich zu Referenzwerten? «Solche Laborwerte kriegt man sonst nur
vom Arzt», sagt Böckstiegel.
Wenig wissenschaftliche Fakten
Das Internet und Büchereien sind voll von Ernährungstipps und
vermeintlichen Erkenntnissen darüber, wie sich Ernährungsstile auf
den Körper und Leistungssport auswirken. Blogger, Magazine und
Krankenkassen mischen hier zum Beispiel mit. Doch während das
Interesse an veganer und vegetarischer Ernährung stetig wächst, gibt
es dazu wenige wissenschaftlich belastbare Daten.
«Wer sich vorwiegend pflanzlich ernährt, hat ein geringeres Risiko
für viele chronische Erkrankungen. Ob dies auch für eine vegane Kost
gilt, ist bisher nicht ausreichend untersucht», sagt Benedikt Merz,
Leiter der Coplant-Studie am MRI. Bei größeren Querschnittsstudien
seien Veganer oft nicht eingeschlossen gewesen. «Außerdem stehen wir
mit der leichten Verfügbarkeit von hochverarbeiteten pflanzlichen
Ersatzprodukten vor einer ganz neuen Situation.» Auch die Deutsche
Gesellschaft für Ernährung hat im Zuge einer Studie zum 14.
DGE-Ernährungsbericht festgestellt, dass es weiteren Forschungsbedarf
gibt.
Frauen und Junge beim Fleischverzicht führend
Etwa vier von zehn Menschen bezeichnen sich laut einer
repräsentativen Umfrage im Auftrag des Bundesverbands des Deutschen
Lebensmittelhandels (BVLH) aus dem vergangenen Jahr als Flexitarier,
schränken also ihren Fleischkonsum bewusst ein. Neun Prozent der
Bevölkerung ernähren sich demnach vegetarisch, verzichten also auf
Fleisch und Fisch, aber nicht auf Eier oder Milch und daraus
hergestellte Produkte. Drei Prozent leben vegan, essen also gar keine
tierischen Produkte. Besonders ausgeprägt ist der Verzicht auf
Fleisch bei Frauen und den unter 30-Jährigen, wie aus der Befragung
hervorgeht.
Angesichts dessen wenig überraschend ist der Fleischverzehr in
Deutschland nach vorläufigen Zahlen der Bundesanstalt für
Landwirtschaft und Ernährung vergangenes Jahr auf 51,6 Kilogramm pro
Kopf gesunken. Zehn Jahre zuvor waren es noch 61,6 Kilogramm.
Auf der anderen Seite ist das Angebot an Fleischersatzprodukten,
Pflanzendrinks und anderen veganen Lebensmitteln so groß wie nie. Wie
sich deren Verzehr langfristig auf den Körper auswirkt, was im
Stoffwechsel passiert, wenn nur noch bestimmte oder ausschließlich
pflanzliche Lebensmittel gegessen werden, und welche Ernährungsweise
am gesündesten und nachhaltigsten ist, wollen die Forschenden mit der
Coplant-Studie herausfinden.
Für einzelne Inhaltsstoffe der Ersatzprodukte etwa kenne man zwar die
Auswirkungen, sagt Merz am MRI. Aber im Zusammenspiel und auf Dauer
sei die Sache komplexer.
6000 Teilnehmer und Teilnehmerinnen gesucht
Koordiniert vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) sollen bis
2027 insgesamt 6000 Probandinnen und Probanden im Alter von 18 und 69
Jahren für die Studie gefunden werden, die sich vegan, vegetarisch,
pescetarisch (Fisch, aber kein Fleisch) oder gemischt ernähren. In
Karlsruhe wollen die Forschenden auch Schwangere, Stillende und
Kinder einbeziehen.
Erwachsene erwarten zwei mehrstündige Untersuchungen inklusive etwa
Blutabnahme, Messung der Knochendichte, Urin- und Speichelprobe.
Unter anderem geht es um die Aufnahme von Nährstoffen, Schwermetallen
und Schimmelpilzgiften sowie eine Analyse des Mikrobioms im Darm.
Zudem müssen sie über eine App wenige Tage detailliert Daten zur
Ernährung erheben. Dazu gehört etwa anzugeben, ob rohe oder gekochte
Möhren auf den Tisch kommen, und per Küchenwaage zu messen, wie viel
Gramm Apfel ins Müsli geschnippelt werden.
Merz geht davon aus, dass Studien-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer im
Laufe der zwei Jahrzehnte, während derer sie alle paar Jahre befragt
und untersucht werden sollen, auch mal ihre Ernährungsweise wechseln.
«Die Realität ist, dass man Ernährungsformen ändert.» Für die
Wissenschaft sei das kein Problem - denn auch daraus ließen sich
Erkenntnisse gewinnen. Dass Thesen und ältere Fakten überworfen
werden, gehöre ebenso dazu: So hätten Vorstudien gezeigt, dass ein
Mangel an Vitamin B12 bei Veganern kein großes Thema mehr sei, sagt
Merz. Viele wüssten von der Problematik und nähmen
Nahrungsergänzungsmittel.
Dass fleischfreie Ernährung im Jahr 2024 immer noch ein
Diskussionsthema ist, erlebt Probandin Böckstiegel, wenn sie nach
Hause kommt: «Meine Oma fragt dann, was sie jetzt bloß zu Essen
machen soll.» Beim Grillen sei ihre Familie so offen, dass sie nicht
nur fleischfreie Würstchen-Varianten auf den Rost legt - sondern auch
selbst mal probiert.
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