Feiertage, Religion und Sprache - Elsass kämpft um Lokalrecht Von Michael Evers, dpa
Vor 100 Jahren wurde im französischen Grenzraum Elsass-Mosel das
Lokalrecht eingeführt. Damit wurden viele Regelungen aus der
deutschen Zeit der Region beibehalten - worauf das Elsass weiter
pocht.
Straßburg/Metz (dpa) - Die Aufregung war groß, als in der
elsässischen Samtgemeinde Basse-Zorn an Karfreitag wie an jedem
gewöhnlichen Freitag der Müll abgefahren wurde. In der
Gemeinderatssitzung danach ging es hoch her, und der ehemalige
Karnevalspräsident René Wolfhugel schickte einen Protestbrief an die
Zeitung «Les Dernières Nouvelles d'Alsace» in Straßburg. «Sollen
wir
unser Lokalrecht in den Müll werfen? Das lassen unsere
Kommunalverwaltungen vermuten, die wie in Hoerdt an diesem
Karfreitag, der in Elsass-Mosel ein Feiertag und damit arbeitsfrei
ist, das Einsammeln der Mülltonnen erlauben!»
Das Lokalrecht ist der französischen Region entlang der deutschen
Grenze heilig und wird mit Zähnen und Klauen verteidigt. Es besagt,
dass im Elsass und dem Departement Mosel, die zwischen 1871 und 1918
als Teil von Elsass-Lothringen zu Deutschland gehörten, in etlichen
Bereichen des Gesellschaftslebens an deutschen Regelungen
festgehalten wird. Dies reicht vom Jagdrecht, der Religionsausübung
und der Krankenversicherung bis zum Kataster- und Vereinswesen. Diese
Sonderregelungen wurden vor 100 Jahren am 1. Juni 1924 eingeführt und
jeder auch nur vermutete Versuch der Zentralregierung in Paris, daran
zu rütteln, führt in dem auf Eigenständigkeit bedachten Elsass zu
einem Aufschrei.
Zum Beispiel bei der Müllabfuhr an Karfreitag, der nur in
Elsass-Mosel ein Feiertag ist, nicht aber im Rest von Frankreich. Wie
der Ex-Karnevalspräsident wetterte, laufe so eine Praxis «darauf
hinaus, den sanften Tod des Lokalrechts zu bestätigen und das Wesen
von Elsass-Mosel, seine Traditionen und seine tiefen Wurzeln
anzugreifen. Es wäre gut, wenn sich die gewählten Volksvertreter
daran erinnern würden, dass unser Lokalrecht ein kostbares Gut ist.»
In der Gemeinderatssitzung wurde klargestellt, dass die Müllabfuhr
selber an Karfreitag arbeiten wollte, um den Beschäftigten Mehrarbeit
an folgenden Tagen zu ersparen.
Ernsthafter war da schon die Entscheidung aus Paris vor zwei Jahren,
alle öffentlichen Beschäftigten in Frankreich gleich lang - und zwar
1607 Stunden pro Jahr - arbeiten zu lassen. Für die Beschäftigten in
Elsass-Mosel, die mit Karfreitag und dem zweiten Weihnachtstag zwei
Feiertage mehr als die übrigen Franzosen haben, bedeutete dies 14
Stunden Mehrarbeit. «Wer das Lokalrecht angreift, greift den Kern des
Elsass an, seine tiefen Wurzeln», schrieben 14 konservative
Parlamentsabgeordnete, die in der Anpassung der Arbeitszeit einen
Angriff auf die Sonderregelungen sahen.
«Das Lokalrecht ist ein modernes Recht», sagte der Generalsekretär
des Instituts für Lokalrecht (IDL), Eric Sander. Es handele sich um
ein einzigartiges Recht, dass 2011 vom Verfassungsrat als Grundrecht
mit Verfassungsrang anerkannt worden sei. Seit seiner Einführung sei
es rund 50 Mal modernisiert worden. In der Grenzregion stelle das
Lokalrecht ein Bindeglied zwischen Frankreich und Deutschland dar und
so manches funktioniere dank der Regelungen besser als in Frankreich.
Dies gelte etwa für den Umgang mit den Religionen.
Dabei ist der engere Draht von Behörden und Kommunen zu den
Religionsgemeinschaften, beispielsweise über das Fortbestehen des
Konkordats mit der katholischen Kirche, im auf strikter Trennung von
Staat und Religion bedachten Frankreich manchem ein Dorn im Auge. So
will die Linksfraktion mit einem Gesetzesentwurf den
Religionsunterricht, den es nur an den Schulen in der Grenzregion
gibt, abschaffen. Vorgeschoben wird, dass Schüler wegen der
wöchentlichen Religionsstunde eine Stunde weniger übrigen Unterricht
haben. Außerdem will die Linkspartei das Konkordat beenden, unter
anderem, weil sie finanzielle Hilfen des Staates für kulturelle
Veranstaltungen von Religionsgemeinschaften falsch hält.
Das Pochen des Elsass auf dem Lokalrecht fügt sich in Bestrebungen,
die Eigenständigkeit der Region zu sichern und zu stärken. Sichtbar
wird das etwa am Kampf für Erhalt und Pflege des Elsässisch, des
Dialekts der Region. Über 1600 Menschen unterzeichneten bereits ein
«Manifest gegen den Sprachmord (Linguizid) an der elsässischen
Regionalsprache». Und demnächst soll auch ein öffentliches Amt für
die Regionalsprache geschaffen werden. Gedacht wird an die Förderung
des Dialekts im außerschulischen Bereich und zweisprachige
Beschilderungen, etwa an den Ortseingängen. Es müsse mehr getan
werden, um die Wurzeln und Geschichte im Elsass zu bewahren, meinte
der Präsident der Europäischen Gebietskörperschaft Elsass, Frédér
ic
Bierry.
Das Elsass kämpft aber auch abseits der Sprache für mehr
Eigenständigkeit. 2016 wurden die früheren Regionen Elsass,
Lothringen und Champagne-Ardennes zur neuen Région Grand Est vereint.
Das Elsass tauchte damit auf Verwaltungsebene praktisch nicht mehr
auf, was dort auf viel Kritik stieß. Daraufhin wurde 2021 die
Gebietskörperschaft mit Sonderrechten, etwa in der Zusammenarbeit mit
Deutschland, geschaffen. Dennoch ringen etliche Regionalpolitiker im
Elsass gerade in diesen Wochen wieder um einen Austritt aus der
Région Grand Est und eine neue Selbstständigkeit. Bei einer Befragung
2022 sprachen sich 92 Prozent der Menschen, die sich an der
Abstimmung beteiligten, für so einen Schritt aus. Präsident Emmanuel
Macron aber erteilte dem im April eine Absage, allenfalls könnten
weitere Kompetenzen an die Gebietskörperschaft übertragen werden,
sagte der Staatschef.
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