Oft fließen Tränen: Zöliakie bei Kindern Von Yuriko Wahl-Immel
Immer aufpassen, bloß kein Gluten - nie einfach Kekse, Nudeln oder
Süßes essen wie die anderen. Zöliakie tritt oft im Kindesalter auf.
Die Krankheit bleibt für immer und hat viele Gesichter.
Dortmund/Düsseldorf (dpa) - Jan Jonathan ist zehn Jahre alt und hält
schon mehr als sein halbes Leben lang tagtäglich konsequent eine Diät
ein, verzichtet auf viel Leckeres. Was für die Freunde normal ist,
muss sich der Fünftklässler als Zöliakie-Erkrankter oft verkneifen.
Manchmal träumt der Junge ziemlich verzweifelt von Döner oder
Eisdiele - alles tabu für ihn. Sobald er etwas zu sich nimmt, in dem
Gluten enthalten ist, drohen ihm schlimme Bauchschmerzen, Durchfall,
Erbrechen. Zöliakie ist keine Allergie, sondern eine chronische und
lebenslange Autoimmunerkrankung. Unbehandelt kann sie starke
Beschwerden auslösen, bei Kindern und Jugendlichen schwere Folgen wie
Wachstumsverzögerungen, Gedeih- und Entwicklungsstörungen haben, wie
Experten zum Welt-Zöliakie-Tag am 16. Mai betonen.
Kinder-Gastroenterologe Jens Berrang vom Klinikum Dortmund checkt Jan
Jonathan gründlich durch. Das Kind lässt sich Blut abnehmen, ohne mit
der Wimper zu zucken. Es ist bei Weitem nicht das erste Mal.
«Manchmal ist es schon schlimm, wenn die anderen etwas Besseres zu
essen haben», erzählt der Junge dem Mediziner. In die Schul-Mensa
kann er nicht mitgehen. Denn: Das Klebereiweiß Gluten steckt in
Getreidearten wie Weizen, Hafer, Gerste, Dinkel oder Roggen - und ist
versteckt auch in ganz vielen Lebensmitteln und Gerichten enthalten.
Und schon kleinste Mengen sind unverträglich. Tückisch. Wenn ihr Sohn
Freunde besucht, auf Klassenfahrt geht oder zu Geburtstagen
eingeladen ist, geben sie ihm glutenfreies Essen mit, erzählen seine
Eltern Valentina und Robert. Sie haben sich von einer
Ernährungsberaterin schulen lassen, daheim alles umgestellt.
Etwa eine Person unter hundert Menschen ist betroffen
Nach neueren Untersuchung ist laut Zöliakie Gesellschaft (DZG) davon
auszugehen, dass etwa ein Prozent der Bevölkerung betroffen ist.
Hinzu komme noch eine hohe Dunkelziffer. Viele Betroffene mit
untypischen oder nur geringen Symptomen wüssten nicht von ihrer
Autoimmunkrankheit. Der Ausbruch der Erkrankung ist in jedem
Lebensalter möglich. Im Kindesalter bleibt sie nach DZG-Einschätzung
wegen manchmal schwacher Symptome jahrelang oder sogar jahrzehntelang
unentdeckt. Laut Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)
erkranken Menschen häufig im Alter zwischen ein und acht Jahren oder
dann später zwischen 20 und 50 Jahren. Der Dortmunder Mediziner
Berrang sagt: «Bei manchen bricht es mit fünf Jahren aus, bei manchen
mit 35 - wir wissen nicht, warum das so ist.» In seine
gastroenterologische Ambulanz kommen viele Kinder im
Grundschulalter.
Es gibt zahlreiche Symptome und sie können unspezifisch sein
Anzeichen für Zöliakie können Durchfall, Bauchschmerzen, Blähungen,
Übelkeit und Erbrechen sein, aber auch Gewichtsverlust und chronische
Müdigkeit. Es gebe Patienten mit erhöhten Leberwerten, kreisrundem
Haarausfall, chronischen Kopfschmerzen oder Migräne, erläutert die
DZG. Schon Gluten-Kleinstmengen führen zu einer Entzündung in der
Darmschleimhaut. Der Körper bekämpft das Gluten, bildet Abwehrstoffe
dagegen - und diese Antikörper greifen die Struktur des Dünndarms an,
es kann zu einer Reihe von Problemen kommen. Auf Dauer kann die
Dünndarmoberfläche so stark abnehmen, dass nicht mehr genug
Nahrungsbestandteile vom Körper aufgenommen werden können und
Mangelerscheinungen auftreten, erläutert der
Kinderärzte-Berufsverband.
Jan Jonathan habe sich schon mit vier Jahren tagelang mit extremen
Bauchschmerzen auf dem Boden gewälzt, schildert seine Mutter. Typisch
sind auch ein dicker Blähbauch, klebriger Stuhl, starker Durchfall.
Aber nicht immer sind die Symptome so schwer und offensichtlich, sie
kommen viel häufiger unspezifisch daher - und das kann auch zu einer
späten Diagnose führen, wie Jens Berrang erklärt. Reizbares bis
aggressives Verhalten und depressive Veränderungen würden ebenfalls
beobachtet, ergänzt seine Kollegin Friederike Stemmann. «Zöliakie ist
ein Chamäleon.» Der Kinderärzte-Berufsverband nennt zudem Rachitis,
Muskelschwäche, Schäden am Zahnschmelz oder Blutgerinnungsstörungen
als mögliche Folgen einer unbehandelten Zöliakie.
Es geht nicht ohne Tränen
Auch Erstklässlerin Carlotta (7) aus Düsseldorf hält schon Diät -
seit sie vier ist. «Ihr fällt es sehr schwer, dass sie als einzige
nie einfach so zugreifen darf, dass sie immer nachfragen und sehr oft
verzichten muss. Es geht nicht ohne Tränen», sagt ihre Mutter Anna
Maria. «Das Unbeschwerte fehlt Carlotta durch die Erkrankung, für ihr
Alter ist sie sehr vernünftig, wirkt schon fast erwachsen.» Die
allergrößte Angst des Mädchens: «Dass sie aus Versehen etwas
Glutenhaltiges isst und sich dann übergeben muss, in der Schule oder
bei Freundinnen.»
Schon seit dem Babyalter habe Carlotta enorm viel geschlafen,
auffallend wenig gegessen und war leichtgewichtig. Immer wieder hakte
die Familie in der Kinderarztpraxis nach, dann kam die Diagnose. In
der Uniklinik werde das Kind gut versorgt. «Man merkt Carlotta nichts
mehr an. Sie hat inzwischen ein normales Gewicht, ist normal groß und
schläft normal.» In Kita, Schulumfeld und Freundeskreis werde ihr
viel Verständnis entgegengebracht. Und immer mehr Produkte ohne
Gluten kommen auf den Markt. «Wir versuchen, ihr so oft wie möglich
Alternativen anzubieten», berichtet Carlottas Mutter.
Es gibt nur eine einzige Therapie
Regelmäßige Untersuchungen sind bei Zöliakie wichtig, auch
Blutanalysen, weil sich nicht selten auch ein Mangel an
lebenswichtigen Stoffen entwickelt hat. Eine Diagnose könne
inzwischen recht einfach mit zwei Bluttests gestellt werden, weiß
Jens Berrang. Auch in der niedergelassenen Ärzteschaft nehme das
Wissen über die genetisch veranlagte Erkrankung zu. Medikamente gebe
es bisher nicht. «Die einzige Therapie ist der vollständige und
lebenslange Verzicht auf Gluten», betont der Gastroenterologe.
Nicht alle komplexen Zusammenhänge bei Zöliakie sind geklärt. Es wird
geforscht - auch mit Blick auf Medikamente. DZG-Sprecher Peter Wark
schildert, mehr als ein Dutzend Kliniken und Studienzentren seien an
der Entwicklung eines Mittels beteiligt, das die Folgen abmildern
solle, wenn mal versehentlich etwas Glutenhaltiges verzehrt wurde.
Wann es auf den Markt kommen könne, sei aber unklar. Jan Jonathan
greift derweil Zuhause in eine Schublade, die seine Mutter immer
wieder mit der ein oder anderen glutenfreien Leckerei füllt. Und dem
Schüler ist bei Lebensmittelprodukten eines längst zur Gewohnheit
geworden: «Ich lese mir immer erst die Zutatenliste durch.»
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