Vor Cannabis-Gesetz: Bayerische Justiz prüft Tausende Altfälle
Bis die Cannabislegalisierung am 1. April in Kraft tritt, müssen die
Staatsanwaltschaften Tausende Altfälle überprüfen, die nach neuem
Recht nicht zu Strafen hätten führen dürfen. Die Behörden ächzen.
München (dpa/lby) - Die bayerische Justiz klagt über Mehrarbeit durch
das Gesetz zur Legalisierung von Cannabis. Weil das Gesetz auch eine
rückwirkende Amnesty-Regelung vorsieht, müssen Staatsanwaltschaften
im Freistaat Tausende eigentlich abgeschlossene Altfälle noch mal
überprüfen. Allein die Staatsanwaltschaft München I zählt knapp 400
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bereits erledigte Verfahren, deren Akten noch einmal gesichtet werden
müssen, wie Sprecherin Anne Leiding mitteilte. Setze man für jede
Überprüfung nur zehn Minuten an, komme man auf 39 000 Minuten. Das
entspricht nach Angaben der Behörden 650 Stunden und damit der
Wochenarbeitszeit von 16 Arbeitskräften.
Der Gesetzentwurf der Ampel-Bundesregierung sieht vor, dass
rechtskräftige und noch nicht vollständig vollstreckte Strafen für
Delikte, die vom 1. April an nicht mehr strafbar sind, erlassen
werden. Bis das Cannabisgesetz am 1. April in Kraft tritt, muss die
Staatsanwaltschaft also zahlreiche Altfälle überprüfen, die nach dem
neuen Recht nicht zu Strafen hätten führen dürfen.
«Das Gesetz bedeutet konkret: Gefangene, die unter die neuen
zulässigen Höchstmengen für Cannabis fallen, müssen umgehend
entlassen werden. Die Vollstreckung noch nicht bezahlter Geldstrafen
ist umgehend einzustellen. Dazu müssen unsere Staatsanwaltschaften
Akte für Akte per Hand überprüfen», sagte Bayerns Justizminister
Georg Eisenreich (CSU), der die Legalisierung - wie die gesamte
Staatsregierung - ablehnt, der Deutschen Presse-Agentur.
«Bei Tätern, die gleichzeitig wegen weiterhin strafbaren Verhaltens
verurteilt wurden - sogenannte Mischfälle - müssen die Strafen in
komplizierten Verfahren neu verhängt werden. Das wird nicht nur bei
den Staatsanwaltschaften, sondern auch bei den Gerichten, zu großem
Mehraufwand führen.» Er kritisierte: «Der Zusatzaufwand durch den
Cannabis-Gesetzentwurf ist für die Justiz bereits jetzt enorm. Die
Bundesregierung belastet die Justiz unnötig, statt sie zu entlasten.»
Wie viele Verfahren es bayernweit sind, die noch mal geprüft werden
müssen, hat das Ministerium nach Angaben eines Sprechers nicht
erfasst. Allein bei den beiden Münchner Staatsanwaltschaften seien es
aber mehrere Tausend Fälle.
Bei der Staatsanwaltschaft Aschaffenburg mussten in den vergangenen
Monaten 600 Akten neu geprüft werden. «Die Herausforderungen, die an
uns gestellt werden, sind enorm», sagte die Leitende
Oberstaatsanwältin Monika Schramm. «Diese Rückwirkung führt uns an
die Grenze des Belastbaren.»
Der Arbeitskreis Juristen der CSU zeigte sich «tief besorgt über die
Belastung» für die Justiz und nannte es «verantwortungslos, die
ohnehin stark belastete Justiz zu einer händischen Überprüfung von
Hunderttausenden von Fällen innerhalb kurzer Zeit zu verpflichten»,
wie die CSU-Landesleitung in München mitteilte. Die Notwendigkeit,
unzählige anhängige und abgeschlossene Verfahren zu überprüfen, f
ührt
nach Ansicht des Arbeitskreises zu einer nicht zu bewältigenden
Überlastung des Justizsystems.
Der Arbeitskreis appelliert darum in einer Resolution an den
Bundesrat, das Gesetz zu stoppen, oder zumindest auf die Streichung
der derzeit vorgesehenen Amnestie-Regelung zu drängen. Die
CSU-Juristen warnten davor, dass die Amnestie-Regelung auch «zu
sachlich nicht gerechtfertigten Entlassungen von Tätern» führen
könnte, die weitere schwere Straftatbestände verwirklicht haben.
«Das Gesetz ist nicht nur aus drogen- und jugendpolitischer
Perspektive falsch, es ist dogmatisch nicht durchdacht und schadet
unserem Rechtsstaat», sagte der frühere bayerische Justizminister
Winfried Bausback.
Wie die Union zu dem Gesetz steht, zeigte sich auch noch einmal bei
einer Konferenz der Vorsitzenden der Fraktionen von CDU und CSU an
diesem Sonntag in Brüssel. Dort sollte eine Resolution beschlossen
werden, in der es heißt: «Das Völkerrecht gestattet den Gebrauch von
Cannabis nur zu wissenschaftlichen und medizinischen Zwecken in einem
engen Sinne, nicht aber den kommerziellen Anbau und Handel.»
Die Vorsitzenden der CDU/CSU-Fraktionen in den deutschen Landtagen,
des Deutschen Bundestages und der CDU/CSU-Gruppe in der EVP-Fraktion
sprechen sich in ihrem Papier für einen Stopp des Gesetzes im
Vermittlungsausschuss des Bundesrates aus und fordern: «Der
Bundespräsident muss einem solchen Gesetz seine Unterschrift
verweigern.»
Die Grünen machten der bayerischen Justiz, die auch in der
Vergangenheit dafür bekannt war, deutlich restriktiver gegen das
Kiffen vorzugehen als anderswo in Deutschland, derweil Vorschläge zur
Entlastung: «Wir brauchen jetzt eine Pause bei allen
Ermittlungsverfahren, die nach dem neuen Recht eh nicht zu einer
Verurteilung führen würden. Eine effizient arbeitende
Staatsanwaltschaft würde solche Akten jetzt zur Seite legen», sagte
der rechtspolitische Sprecher der bayerischen Grünen-Fraktion im
Landtag, Toni Schuberl.
Er monierte, dass die Staatsanwaltschaften in Bayern bis zum 1. April
auch dann noch ermitteln, wenn das Verfahren danach im Papierkorb
landet - und kritisierte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der
angekündigt hat, Kiffern in Bayern das Leben auch nach der
Legalisierung so schwer wie möglich zu machen. «Das ist genau das,
was Söder bewirkt, wenn er ein Maximum an Bürokratie fordert», sagte
Schuberl. «Er beschert unserer eh schon überlasteten Justiz doppelte
unnötige Arbeit.»
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