Zecken-Expertin: «Wir können uns nirgendwo mehr richtig sicher sein» Von Martin Oversohl, dpa

Zecken gehören zu den Gewinnern des Klimawandels - das gilt zumindest
für die milderen Winter. Die blutsaugenden Parasiten sind auch früher
im Jahr unterwegs. Experten warnen: Das Risiko bestimmter schwerer
Infektionen besteht inzwischen bundesweit.

Stuttgart (dpa) - Die Winter werden im Zuge des Klimawandels milder,
die Nächte sind seltener mal richtig frostig. Auch die vergangenen
Monate waren ganz nach dem Geschmack von Zecken, die zunehmend die
kalten Monate überstehen und vermehrt schon früh im Jahr unterwegs
sind. «Das bedeutet auch, dass die Gefahr von Infektionen deutlich
früher droht und sehr hoch ist», sagte Ute Mackenstedt, Parasitologin
an der Universität Hohenheim in Stuttgart, vor Beginn des 7.
Süddeutschen Zeckenkongresses (26.-28.2.) in Stuttgart. In Bayern
gebe es aktuell bereits fünf erfasste Fälle von
Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), in Baden-Württemberg einen.
Das Risiko für eine Übertragung des Erregers durch Zecken steigt auch
in den nördlichen Bundesländern deutlich, sind Experten überzeugt. 


Wie entwickeln sich die Zahlen?

FSME-Infektionen bei Menschen sind in Deutschland meldepflichtig. Im
vergangenen Jahr ist die Zahl der Fälle in Deutschland zwar nach
Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) von 627 Fällen im Jahr zuvor
auf 527 Fälle gesunken. In Baden-Württemberg gingen die FSME-Fälle
von 209 auf 143 zurück, in Bayern waren es nach 291 Fällen noch 265.
Experten warnen aber vor falschen Schlüssen: «Die Entwicklung ist
trügerisch», sagte Rainer Oehme, Laborleiter des
Landesgesundheitsamts im baden-württembergischen
Gesundheitsministerium. «Der längerfristige Trend zeigt deutlich nach
oben.» 

Trotz der zuletzt gesunkenen Zahlen könne das laufende Jahr ein
ausgeprägtes Zecken-Jahr werden, sagte Mackenstedt. Die Forschung
identifiziere - vor allem in Baden-Württemberg - immer mehr
sogenannte Naturherde, also räumlich begrenzte Gebiete mit Zecken,
die den FSME-Erreger in sich tragen.

Gibt es eine Dunkelziffer?

Ja. Und sie ist Analysen zufolge sehr hoch. Viele FSME-Infektionen
werden nicht als solche erkannt. Professor Gerhard Dobler, Leiter des
Nationalen Konsiliarlabors FSME am Institut für Mikrobiologie der
Bundeswehr in München, hat im badischen Ortenaukreis Blutproben von
Blutspendenden untersucht. Mit einem neuen Testverfahren kann er
zwischen Antikörpern aus einer Impfung und aus einer Infektion
unterscheiden. Das Ergebnis hat ihn überrascht: «Wenn man die nicht
erkannten Infektionen einbezieht, ist das Risiko einer FSME-Infektion
in dem Kreis um ein siebenfaches höher als bisher angenommen», sagte
Dobler. «Das Infektionsgeschehen ist also sehr hoch, auch wenn eine
Infektion nicht immer zur Erkrankung führt.»

Welche Gebiete sind besonders betroffen?

Ein Infektionsrisiko besteht laut RKI vor allem in Bayern und
Baden-Württemberg, dort werden etwa 85 Prozent der FSME-Fälle
erfasst. Oehme schließt aber keine Region mehr aus: «Auch im Norden
und Osten Deutschlands steigen die Fallzahlen massiv, beispielsweise
in Sachsen, Brandenburg, Niedersachsen oder Thüringen», erklärte er.

Mackenstedt sprach von ganz Deutschland als «Endemie-Gebiet für FSME
bei allen regionalen Unterschieden». Sie warnte: «Wir können uns
nirgendwo mehr richtig sicher sein.» Als Endemie-Gebiet man wird eine
geografische Region bezeichnet, in der eine bestimmte Erkrankung
auftritt.

Ist nur Deutschland betroffen?

Keineswegs. Eine ähnliche Entwicklung gibt es nach Angaben Doblers
auch jenseits der Grenzen. «In Schweden hat sich die Zahl der
FSME-Fälle verdoppelt auf einen Rekordwert. Dieser Trend zeigt sich
auf der gesamten Nordhalbkugel», sagte der Münchner. «Wir können vo
n
einer schleichenden Pandemie der von Zecken übertragenden
Erkrankungen sprechen.» 

Wie entwickelt sich eine FSME-Infektion? 

FSME-Erreger werden durch Zeckenarten wie den Gemeinen Holzbock
(Ixodes ricinus) und die Auwaldzecke (Dermacentor reticulatus)
übertragen. In den Risikogebieten liegt die Wahrscheinlichkeit einer
Infektion nach derzeitigem Kenntnisstand bei einem Zeckenstich bei 1
zu 50 bis 1 zu 100. Die meisten Infektionen verlaufen ohne Symptome.
Nach etwa zehn Tagen können in einigen Fällen grippeähnliche Symptome

auftreten. Bei rund einem Drittel dieser Patienten kommt es nach
einer vorübergehenden Besserung zu einem erneuten Fieberanstieg und
einer zweiten Krankheitsphase.

Bei leichten Verläufen klagen die Patienten vorwiegend über starke
Kopfschmerzen. Bei schwereren Verläufen sind auch Gehirn und
Rückenmark beteiligt. Zu den Symptomen gehören
Koordinationsstörungen, Lähmungen, Sprach- und Sprechstörungen sowie

Bewusstseinsstörungen und epileptische Anfälle. Für rund ein Prozent

dieser Patienten endet die Krankheit tödlich. Auch sind bleibende
Spätfolgen möglich. «Rund zehn Prozent von über 500 befragten
Patientinnen und Patienten hatten auch nach über einem Jahr noch
Konzentrationsschwierigkeiten, Probleme mit der Balance oder beim
Gehen», erklärte Dobler zu Ergebnissen einer Untersuchung des RKI.

Werden auch andere gefährliche Krankheiten übertragen?

Zecken übertragen in Deutschland neben FSME etwa auch die
Lyme-Borreliose. Sie ist laut RKI wesentlich häufiger und kommt
deutschlandweit vor. Mehrere Hunderttausend Fälle gibt es jährlich.
Die meisten Infektionen verlaufen auch hier ohne Symptome. Im
Erkrankungsfall ist erstes Symptom oft eine größer werdende Rötung um

die Einstichstelle herum. Borreliose ist mit einer zweiwöchigen
Antibiotika-Gabe im frühen Stadium gut behandelbar. Der Erreger kann
sich aber bei einer im Frühstadium nicht behandelten Infektion auf
andere Gewebe und Organe ausbreiten und irreparable Langzeitschäden
verursachen, etwa an Nervensystem, Gelenken, Herz oder Haut.
Spätformen können Monate oder sogar Jahre nach dem Zeckenstich
auftreten.

Wo lauern Zecken?

Anders als häufig angenommen lassen sich die achtbeinigen
Spinnentiere nicht von Bäumen fallen, auch springen können sie nicht.
Sie sitzen vielmehr auf Grashalmen, im Gebüsch oder auf Totholz.
Kommt ein Tier oder ein Mensch vorbei, werden sie bei Kontakt
abgestreift und halten sich fest. Die meisten Zecken warten laut RKI
in einer Höhe von weniger als einem Meter, häufig sogar nur zwischen
10 und 50 Zentimeter über dem Boden.

Wandern im Zuge des Klimawandels neue Zeckenarten ein?

Ja. In Deutschland verbreitet sich zum Beispiel die ursprünglich
hauptsächlich in den Trocken- und Halbtrockengebieten Afrikas, Asiens
und Süd-Europas beheimatete Zeckenart Hyalomma rufipes. Die bis zu
zwei Zentimeter große Riesenzecke profitiert von den milderen
Wintern. Anders als der Gemeine Holzbock braucht sie kaum Wasser, hat
Augen und verfolgt aktiv potenzielle Opfer - wohl bis zu etwa 100
Meter weit. Vor allem aber kann diese Art schlimme Krankheiten
übertragen: Krim-Kongo-Fieber und Zecken-Fleckfieber. In Deutschland
spielen solche Infektionen bisher aber keine Rolle.

Weltweit sind über 900 Zeckenarten bekannt, in Deutschland sind
inzwischen mehr als 15 Arten heimisch.

Wie kann man sich schützen?

Zum einen empfiehlt die Ständige Impfkommission (Stiko) für Menschen
in Risikogebieten eine FSME-Impfung, die bei Menschen bis 60 Jahren
alle fünf und bei älteren Menschen alle drei Jahre aufgefrischt
werden muss. Die Experten haben allerdings eine «gewisse
Impfmüdigkeit» ausgemacht. Zum anderen hängt ein guter Schutz im
eigenen Kleiderschrank: Schon das Tragen langärmeliger Hemden, langer
Hosen und fester Schuhe kann Zecken abhalten. Es gibt zudem - ähnlich
wie gegen Mücken - chemische Abwehrmittel, die zeitlich beschränkt
wirken.

Nach einem Spaziergang in freier Natur, vor allem abseits breiter
Wege, ist es zudem immer ratsam, sich selbst und vor allem Kinder
nach Zecken abzusuchen, heißt es beim RKI. Die Parasiten setzen sich
besonders gern in die weichere Haut von Arm- und Kniebeugen, unter
Achseln, am Haaransatz oder im Genitalbereich.

Während die FSME verursachenden Viren im Stechapparat sitzen,
befinden sich Borrelien im Magen - übertragen werden sie darum anders
als die Viren erst nach einigen Stunden Saugzeit. Wird eine Zecke
innerhalb der ersten zwölf Stunden nach dem Andocken entfernt, ist
die Wahrscheinlichkeit dem RKI zufolge deutlich verringert, dass sie
Borrelien auf den Menschen überträgt.

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