Lehrerin im Rollstuhl unterrichtet Grundschüler im Sport Von Janet Binder, dpa

Seit einem Sportunfall während ihres Studiums ist ein Bein von Sina
Wiedemeier gelähmt. Trotzdem hielt sie an ihrem Traumberuf fest:
Sportlehrerin. Heute unterrichtet sie an einer Grundschule.

Nordholz (dpa) - Nach dem Abitur stand Sina Wiedemeiers Berufswunsch
fest: Sie wollte Sportlehrerin an einer Grundschule werden. «Ich habe
den Sport geliebt», sagt Wiedemeier, die fürs Handballspiel
lebte. Während ihres Lehramtsstudiums passierte es dann: In einer
Praxiseinheit stürzte die damals 23-Jährige unglücklich vom
Schwebebalken. Seitdem ist ihr linkes Bein vom Fuß bis zur
Hüfte gelähmt, sie sitzt im Rollstuhl. Seit zwei Jahren arbeitet die

30-Jährige dennoch als Sportlehrerin an der Grundschule Nordholz im
Landkreis Cuxhaven. Es sei ein langer und harter Weg bis dahin
gewesen, sagt sie und fügt hinzu: «Ich bin glücklich, dass ich mein
en
Traumjob ausüben kann.»

Auf ihrem Stundenplan stehen pro Woche 20 Stunden Sport und zwei
Stunden Mathematik, während der Arbeitszeit steht ihr
eine Assistenzkraft zur Seite. Stets dabei ist auch
ihre Assistenzhündin Nala. «Viele denken, dass Sportunterricht fü
r
mich nicht machbar ist, aber das ist ein Trugschluss», sagt die
Lehrerin. «Für mich ist es viel schwieriger, Mathe zu unterrichten.
Im Klassenzimmer gibt es viel mehr Barrieren.» Sina Wiedemeier hat
eine Hightech-Beinorthese, mit der sie kurze Strecken gehen kann.
Überanstrengt sie sich aber, kommt es zu unkontrollierbaren
Spastiken. Deshalb nutzt sie im Klassenzimmer ihren Rollstuhl. «Im

Sitzen ist es aber schwierig, an die Tafel zu schreiben oder zu den
Kindern an die Tische zu kommen.» 

In der Turnhalle dagegen kann sie sich auch mit dem Rollstuhl frei
bewegen. Sie unterrichtet Kinder der ersten und zweiten Klasse. «Wir
machen Lauf-, Fang- und Kooperationsspiele», sagt Sina Wiedemeier.
Gemeinsam mit ihrer Assistenzkraft und den Kindern baut sie dafür
Parcours auf. Bälle transportiert Wiedemeier in einem umgedrehten
Kasten auf dem Schoß, den Mattenwagen kann sie ebenfalls problemlos
schieben. Wenn die Kinder Rückwärts- und Vorwärtsrollen machen
sollen, leitet sie an. Die Schülerinnen und Schüler helfen sich dabei
gegenseitig. «Ich erkläre genau, wo welcher Handgriff gemacht werden
muss, und schaue, ob sie die richtigen Griffe anwenden.» Kinder, die
sich gut bewegen können, machen die Übungen zudem vor. «Der
Unterricht entspricht voll und ganz dem Lernplan», betont sie. 

Dass sie als Sportlehrerin arbeiten kann, war nach dem folgenschweren
Unfall vor fast acht Jahren nicht absehbar. «Man denkt, das Leben ist
vorbei», sagt Sina Wiedemeier rückblickend. Ein Dreivierteljahr war
sie im Krankenhaus und in der Reha. Nach ihrer Entlassung sollte sie
in eine Pflegeeinrichtung, an ein selbstständiges Leben war nicht zu
denken. Stattdessen zog sie zu einer befreundeten Physiotherapeutin.

Mit ihrer Hilfe stärkte sie in Reittherapiestunden ihren Rumpf so
gut, dass sie 2019 mit einer computergesteuerten Gelenkorthese erste
Gehversuche machen konnte. «Das war ein harter Prozess», sagt sie.

Aber es habe sich gelohnt. «Es ist so ein großes Geschenk, aufstehen
und auf Augenhöhe mit anderen reden zu können», betont sie.

Trotz aller Widerstände setzte sie ihr Studium fort. «Ich hatte mir
überlegt, ob ich statt Sport ein anderes Fach wählen oder Richtung
Sporttherapie gehen sollte.» Aber sie wollte dann doch nicht ihren
Traum aufgeben, sie wollte mit Kindern arbeiten und Sport
unterrichten. Während ihres Studiums seien ihr viele Steine in den
Weg gelegt worden, sagt sie. Aber sie biss sich durch. Ihre
Masterarbeit schrieb sie über ihren eigenen Fall: Wie man die
Gangqualität durch therapeutisches Reiten sportmedizinisch verbessern
kann. Ihr Referendariat schloss sie mit der Note 1,9 ab, seit zwei
Jahren arbeitet sie als Sport- und Mathematik-Lehrerin an der
Grundschule Nordholz. Ihre Verbeamtung steht kurz bevor. 

Die Grundschule ist seit 2004 inklusiv, lange bevor dies in
Niedersachsen verpflichtend wurde. Gedacht wurde dabei vor allem an
Kinder mit körperlichen und motorischen Einschränkungen. Eine
Lehrkraft im Rollstuhl habe die Schule vor Sina Wiedemeier nie
gehabt, sagt Schulrektorin Sabine Peters. Als sie Wiedermeier
kennengelernt habe, habe sie jedoch keinerlei Bedenken gehabt, sie im
Sportunterricht einzusetzen. «Im Gegenteil: Wir haben das als Chance
gesehen, zu schauen, wie wir den Sportunterricht an die inklusive
Schule anpassen und verbessern können», sagt Sabine Peters. Auch aus
der Elternschaft habe sie nicht eine Stimme gehört, die geäußert
hätte, dass es schwierig werden könnte. «Alle sind sehr positiv
gestimmt», betont Peters.

Sina Wiedemeier fühlt sich von ihrer Schulleitung und dem Kollegium
denn auch sehr gut unterstützt. Sie würde sich wünschen, dass mehr
Menschen mit Beeinträchtigungen als Lehrkräfte arbeiten könnten. Dies

sei aber nur an Schulen mit Barrierefreiheit möglich. Und daran
mangelt es ihrer Erfahrung nach noch erheblich. Die ersten
Bewerbungen nach ihrem Referendariat an diversen Grundschulen in
ihrem Landkreis musste sie wieder zurückziehen, weil keine einzige
für Lehrkräfte im Rollstuhl geeignet war.  

Wenn Sina Wiedemeier eine Klasse neu übernimmt, erklärt sie
kindgerecht, warum sie im Rollstuhl sitzt beziehungsweise eine
Orthese trägt. «Und dann ist das Thema durch. Die Kinder machen null
Unterschied, ob ich gehe oder sitze», betont sie. Sie sei sogar schon
von Eltern gefragt worden, ob sie einen Unfall gehabt und sich ihr
Bein gebrochen habe. «Die Kinder erzählen zu Hause nicht, dass ihre
Lehrerin im Rollstuhl sitzt. Für sie ist das gar kein Thema.» Im
Gegenteil, im Rollstuhl könne sie im wahrsten Sinne des Wortes
mit den Kindern auf Augenhöhe sprechen.   

 

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