Gefährlicher Trend: Kinderärzte warnen vor Einschlafhilfe Melatonin Von Mia Bucher, dpa
Bunte Gummibärchen mit Melatonin sollen Kindern einen schnellen
Schlaf ermöglichen - und Eltern einen stressfreien Abend. Auf Social
Media ist das Nahrungsergänzungsmittel ein Trend. Kinderärzte halten
das für riskant.
Berlin (dpa) - Heimlich mischt die Frau in dem TikTok-Video
Melatonin-Gummibärchen in eine Tüte mit Süßigkeiten und reicht sie
ihrem Kind. Schnitt, nächste Sequenz: Das Kind liegt in seinem Bett
und schläft tief und fest. Videos wie diese gibt es in den Sozialen
Medien zuhauf. Mit Titeln wie «Wie du dein Kind in unter 5 Minuten
zum Schlafen bringst» bewerben Eltern Nahrungsergänzungsmittel mit
Melatonin als absolutes Wundermittel für Kinder, die einfach nicht
einschlafen wollen.
Tatsächlich spielt Melatonin beim Einschlafen eine wesentliche Rolle.
Das natürliche Hormon wird in der Zirbeldrüse im menschlichen Gehirn
produziert und wird aktiviert, wenn es dunkel wird. «Vitamin D kennen
alle, das ist das Hormon des Tages», erklärt Kinderarzt Ekkehart
Paditz, der Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Schlafmedizin und
Schlafforschung (DGSM) ist. «Melatonin ist der Gegenspieler, das ist
das Hormon der Nacht.»
Im Internet und in Drogerien finden sich zahlreiche frei verkäufliche
Nahrungsergänzungsmittel mit Melatonin, die meisten für Erwachsene.
Sie versprechen schnelles Einschlafen und das Ende von
Schlafstörungen. Es gibt sie in Form von Tabletten, Sprays, Tees,
Tropfen und Gummibärchen.
Wenig über Melatonin-Stoffwechsel bei Säuglingen bekannt
Kinderarzt Paditz rät davon ab, den eigenen Kindern ohne Absprache
mit einem Arzt eines dieser Produkte zu geben. Bislang wisse man noch
zu wenig über die Abbauwege von Melatonin bei Säuglingen und kleinen
Kindern, sagt der Arzt. Sicher sei, dass der Melatonin-Stoffwechsel
bei ihnen langsamer laufe. Außerdem gebe es bei den in Studien
geprüften Nahrungsergänzungsmitteln erhebliche
Konzentrationsschwankungen. «Es wäre fatal, wenn Eltern Geld für
irgendwelche Tütchen ausgeben, die nicht über den Rezeptblock des
Arztes oder über die Apotheke kommen.»
Beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL)
wurden seit 2011 mehr als 700 melatoninhaltige Erzeugnisse angezeigt,
wie ein Sprecher auf Anfrage mitteilte. Das bedeute aber nicht, dass
jedes der Produkte auch auf den Markt gebracht worden sei.
In den USA gab es Paditz zufolge in den vergangenen Jahren mehrere
Todesfälle von Kleinkindern, die im zeitlichen Zusammenhang mit stark
erhöhten Melatonin-Werten standen. In einer US-Studie berichten
Forscher unter anderem von einem Fall, in dem Eltern ihrem drei
Monate alten Kind regelmäßig zwischen acht und zehn Dosen eines hoch
dosierten Melatonin-Produkts pro Tag gaben. Ob eine Überdosis des
Hormons zum Tod des Kindes führte, konnte nicht endgültig geklärt
werden.
Melatonin kann per Rezept verschrieben werden
Wenn Kinder unter ernstzunehmenden Schlafstörungen litten, sollten
Eltern sich nicht auf frei käufliche Mittelchen verlassen, meint
Paditz. «Eltern gehen damit ein ziemliches Risiko ein, dass
möglicherweise schwerwiegende Krankheiten übersehen werden.» Auch ein
Hirntumor etwa könne Schlafstörungen verursachen. Der Kinderarzt rät
daher: «Kinder gehören zum Kinderarzt.»
Für betroffene Kinder und Jugendliche kann Melatonin per Rezept
verschrieben werden. Seit einigen Jahren gibt es in Deutschland ein
entsprechendes Medikament für Kinder ab zwei Jahren. «Ein
zugelassenes Medikament, das über die Apotheke ausgereicht wird,
bietet natürlich eine viel höhere Sicherheit», sagt Paditz.
Von der Krankenkasse werden die Kosten für das Präparat nur in zwei
bestimmten Fällen übernommen. Das trifft zum einen auf Kinder mit
einer Autismus-Spektrums-Störung zu, bei denen laut Paditz zwischen
20 bis 40 Prozent unter Schlafstörungen leiden. Zum anderen werden
die Kosten bei Minderjährigen mit dem Smith-Magenis-Syndrom, einer
seltenen Erkrankung, bei der der Tag-Nacht-Rhythmus gestört ist,
übernommen.
Paditz zufolge sollte die Dosis generell so gering wie möglich sein.
Je nach Alter empfiehlt er, vor dem Zubettgehen zwischen 0,25 und 0,5
Milligramm des Melatonin-Medikaments einzunehmen.
Am Jahreskongress der DGSM, die zwischen dem 7. und 9. Dezember in
Berlin stattfindet, wollen er und seine Kolleginnen und Kollegen eine
medizinische Leitlinie zum Einsatz von Melatonin bei Kindern und
Jugendlichen mit Schlafstörungen vorstellen. Die Gummibärchen mit
Melatonin enthalten den Angaben der Hersteller zufolge zum Teil
zwischen 0,5 und 1 Milligramm Melatonin pro Fruchtgummi.
Kinderärzte empfehlen Einschlafroutinen
Das Medikament kommt in der Praxis nur selten zum Einsatz, sagt Jakob
Maske, Sprecher des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt*innen.
«Behandlungsbedürftige Schlafstörungen kommen vor allem bei schwer
chronisch kranken Kindern mit geistiger Behinderung vor, die in einem
jungen jugendlichen Alter Einschlafschwierigkeiten haben», sagt der
Kinderarzt. Er warne davor, Melatonin unkritisch einzusetzen.
Vielmehr sei wichtig, bei einem Arztbesuch herauszufinden, welche
Ursache die Schlafstörung haben könne. «Wir sehen immer wieder, dass
Kinder und Jugendliche Einschlafprobleme haben, weil sie eine
exzessive Handynutzung haben oder Filme vor dem Einschlafen schauen»,
sagt Maske. «Meistens erledigen sich die Probleme, wenn die Eltern
sich an die Tipps für die Einführung einer Schlafhygiene halten.»
Dazu gehört laut Paditz, Routinen zu entwickeln und vor dem Schlafen
zur Ruhe zu kommen. Schließlich spielten auch Stress, Sorgen und
Ängste eine Rolle beim Einschlafen. Eltern könnten Kindern am Bett
beruhigend über den Kopf streicheln, ihnen ein Buch vorlesen oder ein
Schlaflied singen.
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