Bund und Länder einigen sich über Finanzierung der Migrationskosten Von Ulrich Steinkohl, Michael Fischer, Martina Herzog, Theresa Münch und Sascha Meyer, dpa
Es hat bis in den frühen Morgen gedauert - doch dann hatten sich Bund
und Länder auf einen Migrationskompromiss verständigt. Das gilt auch
für die heiklen Finanzfragen. Zu anderen Punkten gelang eine Einigung
deutlich schneller.
Berlin (dpa) - Bund und Länder haben sich nach monatelangem Streit
über die Aufteilung der Flüchtlingskosten geeinigt und Maßnahmen zur
Verringerung der irregulären Migration nach Deutschland vereinbart.
Vorgesehen sind dabei auch Leistungseinschränkungen für Asylbewerber.
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sprach am frühen Dienstagmorgen nach
knapp neunstündigen Beratungen mit den Regierungschefinnen und -chefs
der Länder von einem «sehr historischen Moment». Hessens
Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) betonte, man habe einen Schritt
in die richtige Richtung gemacht. «Klar ist aber auch, dass ein Weg
aus sehr vielen Schritten besteht, und natürlich noch weitere
Schritte folgen müssen.»
Es sei gelungen, dass alle Ebenen des Staates eng zusammenarbeiten,
sagte Scholz. «Und das ist auch notwendig, das erwarten die
Bürgerinnen und Bürger von uns, dass wir das tun.» Niedersachsens
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) versicherte, man habe es am Ende
geschafft, «wirklich zu einem guten Gesamtergebnis zu kommen».
Er wünsche sich, dass dies nun durch eine Einigung zwischen
Bundesregierung und Union ergänzt werde. Der Beschluss von Bund und
Ländern biete dafür «eine sehr gute Grundlage». Dass es auch eine
Einigung in der umstrittenen Finanzierungsfrage gegeben habe, sei bis
zum frühen Morgen ungewiss und keine Selbstverständlichkeit gewesen.
Finanzierung der Flüchtlingskosten wird umgestellt
Bund und Länder einigten sich auf eine Systemumstellung bei der
Finanzierung der Flüchtlingskosten. Vom kommenden Jahr an zahlt der
Bund für jeden Asylerstantragssteller eine jährliche Pauschale von
7500 Euro und nicht mehr eine jährliche Gesamtsumme von derzeit rund
3,7 Milliarden Euro. Scholz sprach vom «Übergang zu einem atmenden
System» und erläuterte: «Mit steigenden Zahlen gibt's mehr Geld, mit
sinkenden Zahlen gibt's weniger.»
Hessens Ministerpräsident Rhein erklärte, die Länder könnten sich
immer vorstellen, vom Bund noch mehr Geld zu bekommen. Er erläuterte,
dass es zusammen mit Entlastungen um ein Volumen von insgesamt rund
3,5 Milliarden Euro für die Kommunen gehe. Es sei gelungen, «hier
Handlungsfähigkeit zu beweisen».
Weil rechnete vor, die Bundesregierung habe für das kommende Jahr 1,2
Milliarden Euro geben wollen, die Länder hätten eher 5 Milliarden
Euro gewollt. «Dass es gelungen ist, unter diesen Bedingungen
ziemlich genau auf der Mitte zueinander zu kommen, das ist zu früher
Morgenstunde wirklich ein Ausrufezeichen wert.» Für die Kommunen gebe
es 2024 sogar «einen wesentlichen zusätzlichen Erstattungsbetrag»,
weil bei den 3,7 Milliarden Euro für dieses Jahr eine Sonderzahlung
für Ukraine-Flüchtlinge enthalten sei, die man rausrechnen müsse.
Verringerung der Asylbewerberzahlen
Bund und Länder hielten fest, dass derzeit zu viele Menschen nach
Deutschland flüchteten. «Klare und zielgerichtete Maßnahmen gegen
unkontrollierte Zuwanderung» seien daher nötig. So will die
Bundesregierung prüfen, ob Asylverfahren außerhalb Europas möglich
sind. Asylverfahren sollen schneller abgewickelt werden als bisher,
dafür setzen sich Bund und Länder neue Zielmarken. Insbesondere bei
Menschen aus Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf
Prozent soll das Asylverfahren in drei Monaten abgeschlossen sein. An
den Kontrollen, die Deutschland derzeit an den Grenzen zur Schweiz,
Tschechien, Polen und Österreich durchführt, will man festhalten.
Asylbewerber in Deutschland sollen mindestens einen Teil ihrer
Leistungen künftig als Guthaben auf eine Bezahlkarte bekommen.
Leistungskürzungen für Asylbewerber
Wenn sich Verfahren hinziehen, sollen künftig nicht nur 18, sondern
36 Monate lang nur Grundleistungen nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz gezahlt werden. Aktuell haben
Asylbewerber eineinhalb Jahre lang Anspruch auf ein Dach über dem
Kopf sowie Nahrung, Kleidung, Gesundheitspflege und Gebrauchs- und
Verbrauchsgütern. Statt solcher Sachleistungen sind teils auch
Wertgutscheine oder Geldleistungen vorgesehen. Nach 18 Monaten
steigen die Sätze ungefähr auf Höhe der regulären Sozialhilfe. Dies
er
Schritt soll künftig später erfolgen, was im Effekt eine Kürzung der
staatlichen Leistungen bedeutet.
Streit in der Ministerpräsidentenrunde über Zusatzforderungen
Vor Beginn des Treffens im Kanzleramt hatte es bei den Beratungen der
Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten Streit beim
Migrationsthema gegeben. Die unionsgeführten Länder und das
grünengeführte Baden-Württemberg überrumpelten die SPD-Seite mit
einem Katalog von neuen Forderungen. Sie stellten sich unter anderem
hinter einen Vorschlag von NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU),
Asylverfahren auch außerhalb von Europa zu ermöglichen. Dies will der
Bund nun prüfen - ein Schritt, den SPD, Grüne und FDP ähnlich bereits
im Koalitionsvertrag vereinbart hatten.
Die Beratungen zogen sich drei Stunden länger hin als ursprünglich
geplant. Sie seien «nicht so wirklich erquicklich» gewesen, sagte
anschließend ein genervt wirkender Weil.
Kommission zur besseren Steuerung vereinbart
Bund und Länder beschlossen, eine Kommission zur besseren Steuerung
der Migration einzusetzen. Es soll ein breites gesellschaftliches
Bündnis gegründet werden, das gemeinsam Lösungen zur Steuerung der
Migration und zur Verbesserung der Integration mit dem Ziel der
Bewahrung des gesellschaftlichen Friedens erarbeiten soll. Daran
könnten zum Beispiel Kirchen und Gewerkschaften, Wissenschaftler und
auch Vertreter von Organisationen teilnehmen, die sich für die
Belange von Asylbewerbern einsetzen, hieß es.
Einigung bei Planungsbeschleunigung
Anders als beim Migrationsthema kamen Bund und Länder bei der
Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren ganz schnell
zusammen. Dies soll dafür sorgen, dass Windräder, Stromtrassen,
Bahnstrecken, Wohnungen oder Mobilfunkmasten einfacher und schneller
gebaut werden. Dazu sollen bürokratische und rechtliche Hürden
fallen. Das Paket umfasst laut Scholz an die 100 Einzelregelungen.
Weitere Vereinfachungen im Gesundheitswesen und für die
Wasserstoffindustrie sollten folgen, kündigte der Kanzler an. Das
Paket soll aus Sicht des Kanzleramts das Kernstück des von Scholz
vorangetriebenen Deutschlandpakts sein.
In den letzten Jahrzehnten hätten Bund und Länder «mit großer Liebe
und Zuneigung» immer mehr bremsende Vorschriften erfunden, sagte
Scholz. Jetzt gehe es darum, «dass nicht noch ein Politiker sagt,
alles soll schneller werden, sondern dass es tatsächlich passiert».
Umweltverbände befürchten aber, dass die Beschleunigung auf Kosten
der Natur erfolgt. Die beschlossenen Maßnahmen versprächen
Geschwindigkeit durch den einseitigen Abbau von Umweltstandards,
kritisierte der Naturschutzbund Deutschland. «Damit werden viele
Errungenschaften des Umweltschutzes der letzten Jahrzehnte aufs Spiel
gesetzt.»
Weitere Schritte zur Sicherung des Deutschlandtickets
Bei der Finanzierung des Deutschlandtickets im Nahverkehr
verständigten sich Bund und Länder auf weitere Schritte. In diesem
Jahr nicht verbrauchte Mittel sollen demnach 2024 für den Ausgleich
finanzieller Nachteile aus dem Ticket eingesetzt werden können.
Außerdem sollen die Verkehrsminister beauftragt werden, ein Konzept
zur Weiterführung des Tickets ab 2024 vorzulegen. In den Blick rückt
dabei auch der Preis von bisher 49 Euro im Monat, der von vornherein
als «Einführungspreis» bezeichnet worden war.
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