Nobelpreis-Forschung mit Potenzial: «Wir stehen erst ganz am Anfang» Von Walter Willems, dpa

Die Corona-Pandemie hat mRNA-Verfahren berühmt gemacht. Doch der auf
den Arbeiten der diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger beruhende
Ansatz könnte bei vielen Problemen helfen - etwa Krebs oder
Infektionskrankheiten.

Stockholm/Berlin (dpa) - Schlagartig rückte die Corona-Pandemie vor
drei Jahren eine bis dahin kaum bekannte Technologie ins Bewusstsein
der Öffentlichkeit. In der Rekordzeit von weit unter einem Jahr
wurden mRNA-Impfstoffe gegen Covid-19 entwickelt, getestet,
zugelassen und eingesetzt. Möglich wurde das beispiellose Tempo durch
die beharrliche Vorarbeit zweier Forschender der Universität von
Pennsylvania, die dafür nun den Nobelpreis für Medizin erhalten.

Entscheidend war die Hartnäckigkeit der in Ungarn geborenen
Biochemikerin Katalin Karikó (68) und des 64-jährigen US-Immunologen
Drew Weissman: Als die beiden bereits in der Boten-Substanz mRNA
Potenzial für die Medizin sahen, setzte noch kaum jemand auf diesen
Ansatz. Forschungsgelder waren rar.

Die mRNA übermittelt in der Zelle die Baupläne für Proteine von der
Erbsubstanz DNA an die Eiweißfabriken. Weil das Molekül extrem
schnell zerfällt und zudem vom Immunsystem angegriffen wird, wenn es
von außen in den Organismus gelangt, wurde das medizinische Potenzial
des Ansatzes lange verkannt. Karikó und Weissman zeigten, dass man
mRNA dem Zugriff des Immunsystems entziehen kann, wenn man einen
bestimmten Baustein austauscht.

Auf dieser Grundlage erforschten Pionierfirmen wie Biontech aus
Mainz, Curevac aus Tübingen und Moderna aus Cambridge (USA) das
medizinische Potenzial - zunächst gegen Krebs. Mit der
Corona-Pandemie konzentrierten sich die Firmen auf Covid-19, mit
ihrem Abebben rückten wieder andere Einsatzmöglichkeiten in den
Fokus, vor allem Infektionskrankheiten und Krebs.

«Die Technologie hat ein Riesenpotenzial», sagte Biontech-Mitgründer

Ugur Sahin 2021 der Deutschen Presse-Agentur. «mRNA-Verfahren haben
die Tür zu einer neuen Klasse von Arzneimitteln geöffnet, die bisher
ungelöste Herausforderungen in der Medizin adressieren können.»

Biontech prüft derzeit den Grippe-Impfstoff BNT161 in einer für die
Zulassung erforderlichen Phase-3-Studie. Konkurrent Moderna listet
auf seiner Website für diese Phase diverse Impfstoffe auf, auch gegen
das RS-Virus und das Cytomegalie-Virus (CMV). Auch gegen Tuberkulose,
Malaria und HIV wird der Ansatz geprüft.

Große Hoffnungen ruhen auf der Krebstherapie. Mit dem Verfahren könne
man für verschiedene Patienten schnell individuelle Impfstoffe
herstellen, sagt Niels Halama vom Deutschen Krebsforschungszentrum
(DKFZ). So kann die Charakterisierung eines individuellen Tumors
dessen zentrale Veränderungen ermitteln. Die mRNA kann dann die
Baupläne dieser Antigene in die Zellen tragen, so dass das
Immunsystem gezielt dagegen vorgehen kann.

Derzeit prüfen Dutzende Studien den Nutzen von mRNA gegen diverse
Tumore - von Melanomen über Lungen- , Prostata- und Brustkrebs bis
hin zu Karzinomen der Bauchspeicheldrüse. Gerade für diese schwer
behandelbaren Pankreas-Karzinome habe eine kleine US-Studie
vielversprechende Daten ergeben, sagt Halama: «Diese haben deutlich
gezeigt, dass die Impfung zusammen mit anderen Maßnahmen wie
Chemotherapie und Operation einen Nutzen bringen kann.»

Für die Studie hatten Mediziner bei 16 Patienten den Tumor entfernt
und das Gewebe zu Biontech geschickt, wo für jeden Teilnehmer ein
individueller mRNA-Impfstoff entwickelt wurde. Die Hälfte der
Patienten erlitt während des 18-monatigen Beobachtungszeitraums
keinen Rückfall - bemerkenswert angesichts der extrem schlechten
Prognose bei solchen Tumoren. «Wir wissen noch nicht, ob der Krebs
nie wieder oder mit großer Verzögerung zurückkehrt», sagt Halama.
«Die Daten zeigen aber, dass der Ansatz seine Berechtigung hat.»

Und es gibt weitere Anwendungsmöglichkeiten. Sahin berichtete 2021 im
Fachblatt «Science», dass mRNA-Wirkstoffe bei Mäusen möglicherweise

bei Autoimmun-Erkrankungen wie Multipler Sklerose (MS) helfen
könnten. Und ein Team um Weissman stellte 2022 in «Science» vor, dass

der Ansatz eine Herzfibrose, ein weit verbreitetes Kennzeichen von
Herzschwäche, bessern kann - ebenfalls erst bei Mäusen allerdings.

Curevac-Gründer Ingmar Hoerr sagt, die Vorarbeit von Karikó und
Weissman habe die Grundlage für eine Vielzahl von Therapien geliefert
- und viele weitere käem erst noch. «Wir stehen erst ganz am Anfang»,

so der Biologe. «Wir werden erleben, dass Medikamente gegen andere
Krankheiten entstehen - auch im Falle einer neuen Epidemie. «Und so
etwas werden wir wieder sehen, da bin ich mir relativ sicher.»

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