Heftige Debatte nach Merz-Äußerungen über Zahnarzt für Asylbewerber Von Jörg Ratzsch, dpa
CDU-Chef Merzt löst mit Äußerungen über Zahnbehandlungen für
Asylbewerber eine hitzige Debatte aus. Es hagelt Populismus-Vorwürfe
von SPD, Grünen und Linkspartei. Aus den eigenen Reihen kommt
zunächst Zustimmung. Die Gesetzeslage ist ziemlich eindeutig.
Berlin (dpa) - CDU-Chef Friedrich Merz hat mit harten Aussagen über
abgelehnte Asylbewerber, die sich in Deutschland nach seinen Worten
«die Zähne neu machen» lassen scharfe Kritik und eine erneute
Diskussion über seine Wortwahl ausgelöst. SPD, Grüne und Linkspartei
warfen ihm Populismus vor und forderten eine Entschuldigung. Von
Parteifreunden bekam er am Donnerstag zunächst Rückendeckung.
Merz: Deutsche Bürger kriegen keine Termine
Merz hatte am Mittwoch im «Welt-Talk» des Senders Welt gesagt, bei
dem es um Migranten ging: «Die werden doch wahnsinnig, die Leute,
wenn die sehen, dass 300 000 Asylbewerber abgelehnt sind, nicht
ausreisen, die vollen Leistungen bekommen, die volle Heilfürsorge
bekommen. Die sitzen beim Arzt und lassen sich die Zähne neu machen,
und die deutschen Bürger nebendran kriegen keine Termine.»
Laut Ausländerzentralregister waren Ende 2022 rund 304 000 Menschen
ausreisepflichtig, davon etwa 248 000 mit einer Duldung. Geduldete
sind Menschen, die zwar ausreisepflichtig sind, aber aus bestimmten
Gründen nicht abgeschoben werden können. Das kann etwa daran liegen,
dass sie keine Ausweisdokumente haben, krank sind oder ein
minderjähriges Kind haben, das eine Aufenthaltserlaubnis besitzt.
Die Unionsfraktion verbreitete das Video - zunächst ohne die Passage
mit den Zähnen, später in der ganzen Version noch einmal - auch auf
der Plattform X, vormals Twitter. «Wir müssen über die Pull-Faktoren
sprechen, die hier in Deutschland wirken. Wir haben massive Faktoren,
die dazu führen, dass über 30 Prozent der Asylbewerber aus ganz
Europa nach Deutschland kommen», sagte er demnach. Mit Pull-Faktoren
meint Merz solche, die eine Sogwirkung auf Migranten haben. Der
Koalition warf er vor, nicht zu handeln. «Was Sie hier machen, ist
eine Katastrophe für dieses Land.»
Faeser: «Erbärmlicher Populismus»
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb am Donnerstag auf X -
allerdings ohne direkt auf Merz Bezug zu nehmen: «Mein klares Ziel
sind Lösungen, die unser Land voranbringen - am besten gelingt uns
das gemeinsam. Mit heißer Luft und Populismus wird nur die Stimmung
im Land aufgeheizt.»
Bundesinnenministerin Nancy Faeser, SPD-Spitzenkandidatin für die
Hessen-Wahl in eineinhalb Wochen schrieb: «Das ist erbärmlicher
Populismus auf dem Rücken der Schwächsten. Wer so spricht, spielt
Menschen gegeneinander aus und stärkt nur die AfD». Sie wies Merz'
Aussagen als falsch zurück: Asylsuchende würden nur behandelt, wenn
sie akut erkrankt seien oder unter Schmerzen litten. Die
Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion Katja Mast
forderte in der «Rheinischen Post» eine Entschuldigung von Merz.
Zahnbehandlungen laut Gesetz kostenlos - Zahnersatz nur teilweise
Im Asylbewerberleistungsgesetz heißt es in Paragraf 4 zu Leistungen
bei Krankheit: «Zur Behandlung akuter Erkrankungen und
Schmerzzustände sind die erforderliche ärztliche und zahnärztliche
Behandlung einschließlich der Versorgung mit Arznei- und
Verbandmitteln sowie sonstiger zur Genesung, zur Besserung oder zur
Linderung von Krankheiten oder Krankheitsfolgen erforderlichen
Leistungen zu gewähren.» Eingeschränkt wird: «Eine Versorgung mit
Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen
Gründen unaufschiebbar ist.»
Nach den ersten 18 Monaten des Aufenthalts (sogenannte Wartezeit)
werden Asylbewerber und Geduldete von den gesetzlichen Krankenkassen
betreut und bekommen eine elektronische Gesundheitskarte. Damit
erhielten sie nahezu dieselben Leistungen erhalten wie gesetzlich
Krankenversicherte», heißt es beim Spitzenverband der Gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV).
Die Kassen bezahlen zwar in der Regel keine Brücken oder Kronen
komplett, sondern übernehmen 60 Prozent der Kosten für Zahnersatz.
Der Rest muss zugezahlt werden oder wird von einer privaten
Zusatzversicherung getragen. Allerdings gibt es für Menschen mit sehr
wenig Geld auch eine Härtefallregelung im Sozialgesetzbuch. In
Einzelfällen kann es dadurch auch zu einer Kostenübernahme durch die
Krankenkasse von bis zu 100 Prozent kommen, wie ein AOK-Sprecher
bestätigte.
«Dass sich Geflüchtete massenhaft in Deutschland die Zähne machen
lassen, wie Friedrich Merz gesagt hat, das geht im Regelfall nicht»,
sagte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Christoph Benz, der
«FAZ». Er könne Merz' Aussagen nicht nachvollziehen, sagte Benz zudem
der «Wirtschaftswoche».
«Für die Aussage, dass es in den Zahnarztpraxen aufgrund einer
erhöhten Inanspruchnahme durch Asylsuchende zu Terminschwierigkeiten
kommt, liegen uns zum aktuellen Zeitpunkt keine Hinweise vor», hieß
es von der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang warf dem CDU-Chef vor, «ganz
bewusst» Gruppen gegeneinander auszuspielen und dabei
Falschinformationen zu verbreiten. «So wird kein einziges Problem
gelöst, aber Hass geschürt», schrieb sie auf X. Das sei eines
«Vorsitzenden einer Volkspartei unwürdig». Auch die Linke schloss
sich der Kritik an.
Unterstützung aus den eigenen Reihen: Themen muss man ansprechen
Parteifreunde verteidigten den CDU-Chef unterdessen. «Friedrich Merz
spricht das an, was die Menschen auf der Straße sprechen», sagte der
stellvertretende CSU-Vorsitzende und Chef der christdemokratischen
europäischen Parteienfamilie EVP, Manfred Weber (CSU) im
Deutschlandfunk. «Wenn ich im Wahlkampf in Bayern unterwegs bin, sind
dass die Themen, die die Leute interessiert und bewegt.»
Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion, Tino Sorge (CDU),
sagte der «Rheinischen Post»: «Friedrich Merz hat Recht. Die
scheinheilige Empörung aus Reihen der Ampel sagt viel darüber aus,
wie mit kritischen Meinungen umgegangen wird.»
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sag
te
dem ARD-Hauptstadtstudio: «Alle Systeme sind am Limit. Das passiert
ja alles auch auf dem Rücken von Menschen, die helfen wollen - in
Schulen, in Kindergärten, in der Flüchtlingshilfe. Und diese
Überlastung sehen wir an vielen Stellen in Kommunen, auch in den
sozialen Sicherungssystemen. Ich glaube, das ist das, worauf
Friedrich Merz hinweisen wollte.»
Merz eckt immer wieder an
Der CDU-Chef war schon einige Male mit zugespitzten Wortmeldungen zur
Migration angeeckt - hatte sich aber gegen Populismusvorwürfe
verwahrt und davor gewarnt, heikle Themen nicht anzusprechen. «Wir
müssen auch in der Lage sein, mal Probleme zu adressieren. Auch mal
mit Formulierungen, die nicht jedem gefallen», sagte er bei einem
CDU-Grundsatzkonvent im Juni. Das sei nicht gleich rechts und nicht
gleich rassistisch «und vor allen Dingen nicht irgendwo AfD-Sprech.»
Merz räumte als Fehler ein, im Zusammenhang mit Ukraine-Flüchtlingen
von angeblichem «Sozialtourismus» gesprochen zu haben. Zugleich
betonte er bei dem CDU-Konvent im Juni: «Bei den Paschas bleibt's.»
Nach Silvester-Krawallen in Berlin hatte der CDU-Vorsitzende auf
Integrationsprobleme in Schulen hingewiesen - und darauf, dass Väter
es sich verbäten, dass Lehrerinnen «ihre Söhne, die kleinen Paschas,
da mal etwas zurechtweisen». Auch damals erntete er viel Kritik.
In diesen Debatten - die auch unionsintern geführt werden - klingt
auch immer wieder das Thema Kanzlerkandidatur durch und die Frage, ob
Merz der Richtige ist, wenn es darum geht, Kanzler Olaf Scholz (SPD)
bei der Bundestagswahl 2025 herauszufordern. Als potenzielle Anwärter
werden neben Merz auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik
Wüst (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU)
gehandelt. Die nächste reguläre Bundestagswahl steht im Herbst 2025
an.
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