Vom Wert des Lebens und Füreinanderdaseins - Schlegls Roman «Strom» Von Franziska Spiecker, dpa

Etwas gesellschaftlich Relevantes zu machen, treibt Tobias Schlegl an
- als Notfallsanitäter, aber auch als Autor. Sein neuer Roman «Strom»

dreht sich um Pflegekräfte auf einer Demenzstation, um Menschen, die
aufopferungsvoll helfen - allerdings nicht alle.

Hamburg (dpa) - Was macht ein Leben lebenswert? Und wer darf darüber
entscheiden? Es sind große Fragen, die Autor, Moderator und
Notfallsanitäter Tobias Schlegl in seinem neuen Roman «Strom»
behandelt. Fragen, die sich dort nicht nur, aber viel in Bezug auf
ältere, kranke Menschen stellen.

Denn Schlegls zweiter Roman beleuchtet die Arbeit von Pflegekräften
auf einer Geriatrie mit Schwerpunkt Demenz. «Wir kennen Serien, die
in der Notaufnahme spielen, wir kennen aus der Corona-Zeit jetzt die
Intensivstation. Aber ich glaube, keiner weiß, was so auf
Demenzstationen in der Klinik wirklich passiert», sagt der 45-Jährige
der Deutschen Presse-Agentur in Hamburg. Mit seinem Roman wolle er
diesen «verschlossenen Raum» öffnen und erfahrbar machen. Das gelingt

- auch durch den frischen Blick von Protagonistin Nora.

Die Anfang 20-Jährige macht genau wie Schlegl einst selbst im Rahmen
ihrer Ausbildung zur Notfallsanitäterin Station auf der Geriatrie mit
Schwerpunkt Demenz. Dort wäscht sie zum ersten Mal in ihrem Leben
einen Menschen, ist dabei, als Patientinnen und Patienten aus der
Demenzstation ausbrechen.

Seine eigenen Erfahrungen sind «das Fundament, auf dem das ganze Buch
fußt», erklärt Schlegl. Er habe im Nachhinein aber noch eine
Pflegefachkraft darüber lesen lassen, damit die Details passten -
auch wenn er selbst nicht jahrelang auf so einer Station gearbeitet
habe. Die zwei bis drei Wochen, die er dort während seiner von 2016
bis 2019 dauernden Notfallsanitäter-Ausbildung gearbeitet habe, waren
für den Wahl-Hamburger eindringlich: «Ich fand das mit die
intensivste Station, weil man auf der einen Seite sehr eigenwillige
Patienten hat, aber gleichzeitig auch sehr, sehr liebevolle
Patienten.»

Nicht selbst begegnet ist Schlegl einem Pfleger wie der Romanfigur
Frank, den Nora auf der Geriatrie trifft. Frank erlebt einen Rausch,
wenn er Leben rettet. Doch er misst den Leben seiner Patientinnen und
Patienten nicht viel Wert bei, setzt sie immer wieder aufs Spiel.

«Das ist einerseits reine Fiktion, andererseits aber auch nicht, weil
das beruht natürlich auf wahren Begebenheiten», sagt Schlegl. Dass
Pfleger Menschen das Leben nähmen, sei kein Einzelfall, sondern
passiere weltweit. «Deshalb bezieht sich die Geschichte nicht nur auf
den einen Fall, den wir alle kennen, mit dem Herrn, der in Oldenburg
und Delmenhorst gemordet hat.» Der Krankenpfleger Niels Högel wurde
2019 wegen Mordes in 85 Fällen vom Landgericht Oldenburg zu
lebenslanger Haft verurteilt.

Es sei ihm wichtig gewesen, Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken,
ohne ihm die größte Plattform zu bieten, sagt Schlegl. Für ihn sei
daher auch Nora die zentrale Protagonistin. Auf der Demenzstation
lernt die Auszubildende, die sich mit der Entscheidung über eine
ungewollte Schwangerschaft konfrontiert sieht, neben Frank auch den
langjährigen Pfleger Diddy kennen. Ähnlich wie die empathische Nora
kümmert sich Schlegls «heimlicher Star» fürsorglich um seine
Patienten. «Es war mir wichtig, dass dieses Gleichgewicht, dieses
Pendel auf jeden Fall in die positive Richtung schwingt und auch
zeigt: das ist einfach möglich, anders zu handeln als Frank.»

Für psychisch vorbelastete Pfleger wie Frank seien Kliniken ohne
richtige Fehlerkultur «ein extrem ungesunder Nährboden», meint
Schlegl. Doch auch Pflegekräfte ohne eine solche Vorbelastung müssen
in ihrem Arbeitsalltag mit Herausforderungen und Missständen kämpfen
- das zeigt der 240-seitige Roman eindrücklich. Sein Buch wollte
Schlegl, der einst als Moderator beim Musiksender Viva bekannt wurde,
am Montag in der Hamburger Laeiszhalle im Rahmen des Harbour Front
Literaturfestivals vorstellen.

Durch geschickte Perspektivwechsel schafft es Schlegl in «Strom»
nicht nur, Spannung aufzubauen. Er hebt dadurch auch einzelne
Passagen besonders hervor. Anders als der Rest des Buches werden
diese nicht aus der Sicht von Nora, Diddy oder Frank geschildert.
Dadurch bekommen zentrale Themen des Romans besondere Aufmerksamkeit,
darunter das Alleinsein im Alter beziehungsweise der Wert des
Füreinanderdaseins.

Schlegl wirft mit seinem Roman somit ein Schlaglicht auf eine ganze
Reihe gesellschaftlich relevanter Themen. Zu der zentralen Frage, ob
auch Menschen mit schweren Erkrankungen noch Lebensqualität haben
könnten, hat er eine eindeutige Haltung. Ohne mit den Erkrankten und
Angehörigen gesprochen zu haben, «darf man sich da überhaupt keine
Meinung selber zu bilden», sagt der 45-Jährige.

Bei ihm persönlich hat der Kontakt mit den Patientinnen und Patienten
zu einer Antwort beigetragen, die lebensbejahend ist: «Selbst mit
schweren Erkrankungen wie Demenz hat man definitiv noch Momente, die
konnte ich ja miterleben, in denen noch ganz viel Lebensfreude da
ist, in denen man weint und lacht und das Leben noch ganz intensiv
spüren kann.»

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