Deutlich spürbare Grippewelle droht - Appell zur Schutzimpfung Von Gisela Gross, dpa
Die Warnsignale sind da: Im Winter könnte laut Fachleuten eine
deutlich spürbare Grippewelle kommen. Auch wenn die Impfung die
Infektion nicht immer verhindern könne, sei sie keineswegs
überflüssig.
Berlin (dpa) - Influenzaviren konnten während der Sars-CoV-2-Pandemie
fast in Vergessenheit geraten: Grippewellen im klassischen Sinn
fielen wegen der in vielen Ländern verhängten Corona-Maßnahmen aus
oder verliefen anders als gewohnt. Nun sind Maske, Abstand und
Vorsicht für die meisten Menschen Geschichte. Auch die Grippe könnte
da wieder leichteres Spiel haben. «Vielen Kindern und Erwachsenen
fehlt die Immunität durch vorherige Infektionen in den
Pandemie-Jahren», sagt Folke Brinkmann, die die Sektion Pädiatrische
Pneumologie an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin des
Universitätsklinikums Schleswig-Holstein leitet.
In rund zwei Wochen beginnt die Grippesaison - im Zeitfenster von
Oktober bis Mitte Dezember raten Fachleute gefährdeten Gruppen wie
ab 60-Jährigen zur Grippeschutzimpfung. Rund 18,8 Millionen
Impfstoffdosen sind nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts bislang
freigegeben. Ihren Höhepunkt erreicht die Grippewelle meist erst nach
dem Jahreswechsel. Als Warnsignal werten mehrere Experten den Verlauf
der Grippesaison im australischen Winter. Diese gilt manchen als
Marker für das bevorstehende Geschehen in Europa. Generell lassen
sich der Verlauf und die Schwere der Welle nicht vorhersagen.
Australiens Zahlen deuteten darauf hin, dass auch hier mit einer
zumindest deutlich spürbaren Welle zu rechnen sei, sagte Markus
Beier, Vorsitzender des Hausärztinnen- und Hausärzteverbandes, am
Mittwoch in Berlin. Er appellierte an die Gruppen, die unter die
Empfehlung der Ständigen Impfkommission (Stiko) fallen, die Impfung
zu nutzen, um «möglichst schadlos» durch den Winter zu kommen.
In Australien gab es Beier zufolge in Teilen eine Impfmüdigkeit, und
Anzeichen dafür gebe es auch hier. In Beratungen zeige sich teils ein
gewisses Misstrauen nach der Diskussion um Corona-Impfstoffe, aber
auch der Wunsch nach Normalität nach der Pandemie. Es gehe den
Hausärzten nun nicht um Alarmismus, sagte Beier. «Es ist einfach so,
dass die steigende Anzahl der Fälle einfach das ambulante System an
sein Limit bringen wird und dann irgendwann auch das stationäre
System.»
Unterschätzte Krankheit
Laut Robert Koch-Institut (RKI) stecken sich während einer Welle je
nach Stärke schätzungsweise 5 bis 20 Prozent der Bevölkerung an, also
bis zu 16 Millionen Menschen. Wie bei Corona zeigt die Statistik
lediglich laborbestätigte Fälle. Aus Sicht von Experten nutzen die
Deutschen daher die Grippeschutzimpfung bisher viel zu wenig. Bei
Älteren werden 75 Prozent Geimpfte angestrebt, tatsächlich ließ sich
in der Saison 2020/21 bei den ab 60-Jährigen jedoch weniger als jeder
Zweite gegen Grippe impfen.
Der Begriff Grippe wird umgangssprachlich auch manchmal leichtfertig
bei harmlosen Beschwerden wie Unwohlsein und Schnupfen verwendet, die
durch ganz andere Erreger hervorgerufen werden. Die echte Influenza
hat jedoch ernstere Konsequenzen, bei manchen Patienten kommt es zu
Komplikationen. Bei der heftigsten Grippewelle seit Jahrzehnten in
Deutschland in der Saison 2017/18 starben nach Schätzungen etwa 25
000 Menschen. Die Schwere der Wellen kann von Saison zu Saison ganz
unterschiedlich ausfallen.
Was die Grippeschutzimpfung kann - und was nicht
Die Impfung sei die wichtigste Maßnahme gegen die Erkrankung, auch
wenn sie keinen hundertprozentigen Schutz vor einer Infektion biete,
schreibt das RKI. Das unterstreicht Nicola Buhlinger-Göpfarte, erste
stellvertretende Vorsitzende des Hausärztinnen- und
Hausärzteverbandes: Man dürfe den Menschen nicht das falsche
Versprechen geben, dass sie dank Impfung nicht krank würden. Vielmehr
müsse man Patienten erklären, dass die Immunisierung Schlimmeres
verhindert habe: «Sie sind nicht auf der Intensivstation gelandet.
Sie hatten keine Pneunomie.» Fachleute betonten zudem den Nutzen der
Impfung zum Vermeiden von Grippe-Folgeerkrankungen des Herzens.
Australiens Grippewelle betraf viele Kinder
In Australien sticht insbesondere ins Auge, dass Kinder und
Jugendliche häufig betroffen waren. Viele hatten so schwere Symptome,
dass sie auf die Intensivstation kamen, wie der australische
«Guardian» im Juli berichtete. Sowohl in Australien als auch in
Neuseeland setzte die Grippewelle außerdem viel früher ein als
gewöhnlich. Experten sind überzeugt, dass vor allem die Aufhebung der
strengen Corona-Maßnahmen die Grippewelle beflügelte.
«Kinder sind zum Glück nur selten schwer betroffen, aber bei sehr
hohen Infektionszahlen erkranken natürlich anteilig auch mehr Kinder
und auch mehr Kinder schwer», erklärt Brinkmann. Kinder unter fünf
Jahren und vorerkrankte Kinder hätten am häufigsten schwere Verläufe.
Selten könnten aber auch gesunde Kinder schwer erkranken.
Der kommende Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung
für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Florian Hoffmann, hält sich
wegen der vielen Unwägbarkeiten mit Prognosen für Deutschland zurück
- die Entwicklung in Australien müsse aber ernstgenommen werden. Er
mahnte dringend zeitnahe Impfungen der Risikogruppen und aller
Beschäftigten im Gesundheitswesen an. «Dies ist die einzige
Möglichkeit, den Verlauf dieser Welle abzumildern», sagte der
Oberarzt im Dr. von Haunerschen Kinderspital in München.
Wem die Grippeschutzimpfung empfohlen wird
Die Stiko rät nicht allen Bundesbürgern zu der jährlich nötigen
Impfung. Nur Menschen ab 60, Schwangeren sowie Kindern (ab sechs
Monaten) und Erwachsenen mit bestimmten Vorerkrankungen. Außerdem
etwa Gesunden mit höherem Risiko durch ihren Job, etwa Ärztinnen und
Ärzten und Pflegekräften. Verwendet werden sollen Vierfachimpfstoffe
mit aktueller, von der WHO empfohlener Antigenkombination. Diese
ändert sich jedes Jahr, weil Grippeviren sehr wandlungsfähig sind.
Für Ältere sollen besser wirksame Hochdosis-Impfstoffe genutzt
werden. Bei den Gruppen gibt es Überschneidungen zur Stiko-Empfehlung
für die neue angepasste Corona-Auffrischimpfung. Wer möchte, kann
sich beide Vakzine daher gleichzeitig geben lassen.
RKI will hinterher Bilanz ziehen
Das RKI will wie üblich erst im Nachhinein die Schwere der Welle
beurteilen. Es betont, dass sich zum Beispiel von einem schweren
Verlauf in einem Staat nicht auf einen ähnlichen Verlauf in einem
anderen Staat schließen lasse. Die Schwere hänge wesentlich von der
Grundimmunität in der Bevölkerung und den jeweils in den Vorjahren
verbreiteten Subtypen ab.
In Deutschland werden gegen Grippe meist sogenannte Totimpfstoffe
verwendet, die die Krankheit nicht auslösen können. Möglich sind aber
Impfreaktionen mit erkältungsähnlichen Symptomen. Eine echte Grippe
setzt typischerweise plötzlich ein: mit zum Beispiel hohem Fieber,
schmerzenden Muskeln, Kopfschmerzen, ausgeprägtem Krankheitsgefühl.
Hinzu kommt in der Regel trockener Reizhusten.
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