Das Elend der Straßenkatzen - und ein Traumjob wird zum Alptraum Von Thomas Strünkelnberg und Irena Güttel, dpa
Straßenkatzen in Deutschland? Viele Menschen scheinen das nicht zu
wissen. Heruntergekommene Katzen sieht man doch nur im Ausland. Doch
die Not dieser Tiere ist groß, fast alle sind krank. Und wenn ein
Jungtier keine Chance mehr hat, kann der Grund noch ein anderer sein.
Hannover/Nürnberg (dpa) - Die kleinen Kätzchen sind struppig, sie
blicken misstrauisch aus ihrer Transportbox. Kein Wunder, sind sie
doch eingefangen und aus ihrer vertrauten Umgebung gerissen worden.
Aber aus gutem Grund: Die beiden Kater Flitzi und Stöpsel, Mitte Mai
und Anfang Juli geboren, sind Straßenkatzen - abgemagert, krank und
voller Parasiten. Ihr Elend lässt sich kaum vermitteln, das ist das
Dilemma: Denn im Tierheim Burgdorf bei Hannover, dessen Helferinnen
und Helfer nächtelang unterwegs sind, um Straßenkatzen einzufangen,
werden sie aufgepäppelt und wirken schnell so, wie kleine Katzen
immer wirken: einfach süß.
Aber die Streuner, die auf der Straße leben, sind gebeutelt. Sie
hungern, weil sie kaum in der Lage sind, genug für sich zu jagen, sie
geben Krankheiten weiter und haben auf ihren Streifzügen oft Unfälle.
Verletzt verstecken sie sich, ihre Wunden eitern und sind irgendwann
voller Fliegenmaden, wie Diandra Boczek, die Leiterin des Tierheims,
sagt. Bundesweit gebe es mindestens zwei Millionen Straßenkatzen,
fast alle seien krank und unterernährt, die meisten würden nicht alt,
schätzt Lea Schmitz, die Sprecherin des Deutschen Tierschutzbundes.
«Mittlerweile ist man nur noch wütend», sagt Boczek. Anfangs sei sie
wegen der hohen Zahlen erschrocken gewesen. «Dann war da nur noch
Wut.» Wut auf gedankenlose oder gleichgültige Katzenhalter, die ihre
Tiere unkastriert nach draußen ließen. Denn die Straßenkatzen, das
seien meist die Nachkommen dieser sogenannten Freigängerkatzen. Und
für deren Wohlergehen «fühlt sich niemand verantwortlich». Täglic
h
erhalte sie Anrufe von Menschen, die ihre Katzen vermissten - oft
seien diese weder kastriert noch registriert und hätten auch keinen
Mikrochip mit Kontaktdaten unter der Haut. Das mache sie fassungslos.
Denn so wächst das Heer der Straßenkatzen unaufhörlich. Etwa in
Niedersachsen geht der Landestierschutzverband von mindestens 200 000
Katzen ohne menschliche Betreuung aus - Tendenz steigend. Auch in
Bayern sind die vielen Straßenkatzen ein Problem, vor allem auf dem
Land. Etwa 300 000 könnten es dem bayerischen Tierschutzbund zufolge
im größten deutschen Flächenland sein. Genaue Zahlen habe sie nicht,
die Tiere seien scheu und mieden Menschen, sagte Präsidentin Ilona
Wojahn. «Sie leben im Verborgenen, oft in Industriebrachen, in
verlassenen Gebäuden, auf Friedhöfen, Schrebergärten und so weiter.
»
Umweltschützer verweisen auch auf die Schäden, die freilaufende
Katzen bei Wildtierpopulationen verursachen können. Betroffen seien
nicht nur Vögel, sondern auch Fledermäuse, Siebenschläfer und die
Haselmaus oder Reptilien wie die Zauneidechse, so etwa das Thüringer
Landesamt für Naturschutz. Die meisten Singvogelpopulationen hätten
zwar ausgefeilte Vermeidungsstrategien entwickelt und verkrafteten in
der Regel selbst beträchtliche Verluste. Bei geschwächten
Populationen könnten Katzen aber unter Umständen zum Erlöschen
lokaler Vorkommen beitragen.
Streunende Katzen - nach Erfahrung von Katja Hofrichter kennen viele
Menschen diese nur aus dem Ausland. Dass auch hier Katzen unter
erbärmlichen Bedingungen auf der Straße lebten, sei vielen unbekannt.
Seit drei Jahren arbeitet sie ehrenamtlich bei der Katzenhilfe im
Nürnberger Land, sucht Pflegestellen für kranke Tiere, begleitet
diese zum Tierarzt und nimmt selbst geschwächte Katzen bei sich auf.
«Es ist eigentlich uferlos», sagt Hofrichter. Sobald sie eine Katze
aufgepäppelt habe, komme die nächste. Ähnlich ist es im Nürnberger
Tierheim, wo rund 120 Katzen auf ein neues Zuhause warten.
Tierheime und Tierschutzvereine kommen nach Einschätzung des
Präsidenten des Deutschen Tierschutzbundes, Thomas Schröder, bei
Kastration und Versorgung der Tiere an ihre Grenzen. «In diesem Jahr
sind wir alle abgesoffen», sagt die Vorsitzende der Katzenhilfe
Hannover, Frauke Ruhmann. Ein Grund: die Corona-Pandemie und der
zweite Lockdown, als sich viele Menschen ein Haustier anschafften,
darunter auch Katzen. Viele dieser Tiere seien dann bald auf der
Straße gelandet, oft nicht kastriert. Ein Grund dafür: Viele
Katzenbesitzer scheuen die gestiegenen Tierarztkosten.
Die Lage sei lange bekannt, aber niemand fühle sich verantwortlich,
kritisiert Boczek. «Sie wurden politisch und behördlich im Stich
gelassen.» Das Ergebnis: Fälle wie in Burgdorf, wo das Tierheim an
einem Hotspot rund 30 Katzen in schlechtem Zustand einfangen muss,
darunter Flitzi und Stöpsel. Zehn Katzen hätten die Helfer bisher
erwischt, nicht alle hätten überlebt: «Es ist eine Katastrophe.» Da
s
Tierheim sei viele Jahre ihr Traumjob gewesen, sagt die 30-Jährige -
«jetzt verfolgt mich mein Job im Traum».
Und doch ist etwas in Bewegung geraten: Eine Initiative der
Regierungsfraktionen von SPD und Grünen im niedersächsischen Landtag
will das Wirrwarr der kommunalen Regelungen mit einer landesweiten
Katzenschutzverordnung vereinheitlichen. Damit sollen künftig alle
Katzen, die sich draußen aufhalten, gekennzeichnet, registriert und
kastriert werden. Aber: «Jetzt stockt es wieder», kritisiert Ruhmann.
Ohnehin gebe es bundesweit einen Flickenteppich von Verordnungen - 89
Prozent der Städte und Kreise hätten keine Regelung, sagt Schmitz.
In Bayern gibt es nach Angaben von Wojahn bisher erst in sechs
Kommunen wirksame Katzenschutzverordnungen, die unter anderem eine
Kastrationspflicht vorsehen. Deshalb fordert der bayerische
Tierschutzbund eine landesweite Regelung - auch mit Blick auf die
Landtagswahlen Anfang Oktober.
Doch noch etwas macht den Tierschützern zu schaffen: Wo Straßenkatzen
auf engem Raum zusammenleben, droht Inzucht - wiederhole sich das
über mehrere Generationen, dann «haben wir chancenlose kleine Mäuse
wie Mikkel», sagt Ruhmann. Mikkel ist ein kleiner Kater, neun bis
zehn Wochen alt, unterernährt, taub, große Augen und schneeweißes
Fell - und er hat Schmerzen. In der Tierklinik stellt sich heraus:
Sein Dickdarm arbeitet nicht, er leidet an Gendefekten - vermutlich
die Folge von Inzucht. «Es war eine Frage der Zeit, ihm war nicht zu
helfen», sagt Ruhmann. Aus der Narkose lassen ihn die Tierschützer
aus Mitleid nicht mehr aufwachen.
Es gibt aber auch Erfolgsgeschichten: Viele Jungtiere ließen sich
vermitteln, sagt Boczek. Und dann ist da eine schwarz-weiße Katze,
eine einstige Straßenkatze, die vermittelt, aber dann vernachlässigt
worden ist. Schließlich findet sie den Rückweg zum Tierheim, fordert
lautstark ihr Futter - «und geht nicht mehr weg». Ein schlaues Tier.
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