Schutz vor Demenz: Wie sich das Alzheimer-Risiko beeinflussen lässt Von Sandra Trauner, dpa

Forscher kennen rund ein Dutzend Faktoren, die Demenz begünstigen.
Wer sie vermeidet, kann das Risiko etwa für die Alzheimer-Krankheit
senken. Vor allem ein Punkt rückt zunehmend ins Visier der
Prävention.

Frankfurt/Greifswald/Köln (dpa) - Mehr Fisch essen und
Kreuzworträtsel lösen? So einfach ist es mit der Alzheimer-Vorbeugung
leider nicht. Dennoch kann jeder Einzelne ein Stück weit die
Wahrscheinlichkeit beeinflussen, an einer Demenz zu erkranken oder
zumindest deren Verlauf verlangsamen. Studien zeigen, dass Prävention
möglich ist. Das ist vor allem deshalb eine gute Nachricht, weil eine
Heilung nach wie vor nicht in Sicht ist.

«Wir wissen heute, dass Präventionsmaßnahmen unter Berücksichtigung

von Risikofaktoren das Fortschreiten der Krankheit positiv
beeinflussen und das individuelle Demenz-Risiko senken können», sagt
der Leiter des Kölner Alzheimer Präventionszentrums, Frank Jessen.
«Man geht davon aus, dass ein gesunder, aktiver Lebensstil bis zu 40
Prozent des Risikos ausmacht, ob man eine Demenz bekommt oder nicht.»

Eine internationale Forschergruppe (The Lancet Commission on Dementia
and Prevention) hat 2020 zwölf Risikofaktoren aufgelistet, die das
Alzheimer-Risiko erhöhen. Im frühen Lebensalter zählt dazu schlechte

Bildung. Im mittleren Alter gehen Hörverlust, Bluthochdruck,
Schädel-Hirn-Verletzungen, schädlicher Alkoholkonsum und Übergewicht

mit einer höheren Gefährdung einher. Im höheren Alter steigern
demnach Rauchen, Depression, soziale Isolation, körperliche
Inaktivität, Diabetes und Luftverschmutzung die Wahrscheinlichkeit.

Die Liste beruht auf epidemiologischen Daten. Als Gebrauchsanweisung
für den Einzelnen tauge sie nur bedingt, sagt Präventionsforscher
Jochen René Thyrian vom Deutschen Zentrum für Neurodegenerative
Erkrankungen (DZNE) in Greifswald. Zum einen sind nicht alle Faktoren
beeinflussbar - ein Unfall mit Kopfverletzung lässt sich nachträglich
nicht korrigieren. Zum anderen ist nicht immer klar, wie der
Zusammenhang zustande kommt: Sozialer Rückzug könne zum Beispiel
ebenso eine Folge von Demenz sein wie zu ihrer Entstehung beitragen.

«Es gibt aber auch Faktoren, die sind klar und eindeutig belegt - und
sie sind beeinflussbar», sagt Thyrian. Dazu zählen vor allem gesunde
Ernährung, Bewegung, kein Übergewicht und Nichtrauchen. Was sich
sicher positiv auswirke, sei kognitive Stimulierung. Das könnten
Kreuzworträtsel oder Sudokus sein, gemeint sei aber jede Form der
«kulturellen Interaktion» von Lesen über Fernsehen bis zu
Unterhaltungen.

«Was bei der Alzheimer-Prophylaxe zunehmend in den Fokus rückt, ist
das Thema soziale Aktivität», sagt Thyrian. Den Beleg dafür habe die

Corona-Pandemie geliefert: Durch die strikten Corona-Regeln in
Altenheimen habe sich die Demenz vieler Bewohner verschlechtert: «Das
Fehlen sozialer Aktivitäten und emotionaler Kontakte hat zu einer
gravierenden Verschlechterung der kognitiven Leistungsfähigkeit und
des gesundheitlichen Zustands geführt.»

Der Kölner Experte Jessen hebt drei Faktoren hervor, die besonders
wichtig sind - und erklärt den Zusammenhang. Das eine ist gutes
Hören. «Das Gehirn braucht Input», sagt der Psychiater. Wer schlecht

hört, bekommt weniger Input und hat ein höheres Alzheimer-Risiko.
Ebenso selbstverständlich, wie ein Brille zu kaufen, wenn man
schlecht sieht, sollte ein Hörgerät sein.

Ein zweiter Punkt ist guter Schlaf. Eine chronische Schlafstörung
erhöhe das Demenz-Risiko, so Jessen. Im Schlaf liefen im Gehirn
Reinigungsprozesse ab. Dabei würden auch Amyloid-Plaques abgebaut,
die an der Entstehung der Alzheimer-Demenz beteiligt sind.

Zu Kopfverletzungen erklärt Jessen, dass es nicht nur um schwere
Verletzungen wie bei einem Autounfall geht, sondern auch um häufige
und leichte Verletzungen, wie sie bei manchen Sportarten vorkommen.
«Profi-Fußballer, die viel Kopfbälle trainieren, aber auch Boxer
haben ein erhöhtes Demenz-Risiko», sagt Jessen.

Risikofaktoren meiden kann zwar vor Demenz schützen - dabei gehe es
aber um statistische Wahrscheinlichkeiten, sagt Thyrian. Die
konkreten Folgen für eine Einzelperson stünden auf einem anderen
Blatt, «dafür ist der Mensch zu komplex». «Es gibt kaum Studien, di
e
dieses komplexe Geschehen so abbilden, dass man einen eindeutigen
Nachweis bekommt.»

Außerdem wird das individuelle Erkrankungsrisiko von vielen Faktoren
beeinflusst. Genetisch vererbt werden nur seltene Formen von Demenz,
etwa die familiäre Alzheimer-Krankheit. «Bei anderen Demenzen ist die
Genetik nur selten der alleinige Auslöser, obwohl es zu Häufungen in
der engen Verwandtschaft kommen kann», erläutert Thyrian. Ursache
dafür sei aber nicht, dass Familienmitglieder eine ähnliche
genetische Veranlagung haben. Sie teilten vielmehr eine soziale
Prägung, etwa ähnliche Lebensgewohnheiten.

Epidemiologisch betrachtet ließen sich durch das Vermeiden der
Risikofaktoren wohl tatsächlich viele Fälle von Alzheimer und anderen
Demenzformen verhindern. Darauf deutet die sogenannte Finger-Studie
aus Finnland hin, bei der eine Gruppe alter Menschen zwei Jahre lang
Ernährungs- und Gesundheitsberatung sowie körperliches und geistiges
Training bekam. Im Gegensatz zur Kontrollgruppe sahen die Forscher
«kleine, aber signifikante positive Effekte».

Zehn Jahre nach der Finger-Studie will die Agewell-Studie die
Ergebnisse in Deutschland prüfen. «Die Studie ist explizit so
konzipiert, dass im Erfolgsfall Empfehlungen zu einer Implementation
in die reguläre Versorgungslandschaft gegeben werden», schreiben die
Initiatoren um Steffi Riedel-Heller von der Universität Leipzig. 1152
ältere Menschen mit erhöhtem Demenzrisiko wurden dafür in Leipzig,
Greifswald, München und Kiel rekrutiert. Ergebnisse werden noch in
diesem Jahr erwartet.

Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren in
Deutschland 2021 rund 1,8 Millionen Menschen über 65 Jahren an Demenz
erkrankt. Wie stark diese Zahl ansteigt, hängt auch davon ab, wie
sich die Risikofaktoren in der Bevölkerung entwickeln.
DZNE-Forscherin Iris Blotenberg und Kollegen haben das berechnet.
«Unsere Berechnungen ergeben ein Präventionspotenzial von 38
Prozent», schrieben sie im «Deutschen Ärzteblatt International».
«Das
heißt unter Annahme eines kausalen Zusammenhangs kann mehr als jeder
dritte Demenzfall auf die betrachteten Risikofaktoren zurückgeführt
werden.»

Gelänge es, die beeinflussbaren Risikofaktoren um 15 Prozent zu
reduzieren, so die Modellrechnung, könnten von den erwarteten zwei
Millionen Krankheitsfällen im Jahr 2033 theoretisch etwa 138 000
verzögert oder vermieden werden. Bei 30 Prozent wären es sogar
265 000 Fälle. «Diese Zahlen machen deutlich, dass sich stärkere
Anstrengungen zur Demenzprävention lohnen können», heißt es.

Während allgemeine Ratschlage wie «Lebe gesund!» in früheren
Lebensphasen oft verpuffen, versucht manch einer bei den ersten
Demenz-Symptomen mit «Gehirn-Jogging» und stundenlangem Sudoku-Lösen

gegenzusteuern. Im Prinzip sei das richtig, findet Jessen.

Relevant werde Prophylaxe in der Phase, wenn erste Symptome
aufträten: leichte Gedächtnisstörungen, erste Unsicherheiten mit der

Orientierung, Schwierigkeiten bei komplexen Aufgaben - während die
Selbstständigkeit noch nicht beeinträchtigt sei. «Wichtig ist
kognitive Aktivierung insbesondere auch nach dem Ausscheiden aus dem
Berufsleben», sagt der Prophylaxe-Experte.

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