Die Qualen der Gallebären: Folter-Farmen in Vietnam vor dem Ende Von Chris Humphrey, Bac Pham und Carola Frentzen, dpa
Bärengalle wird in der traditionellen chinesischen Medizin gegen
allerlei Leiden eingesetzt. Um den begehrten Saft zu gewinnen, müssen
Bären unvorstellbare Qualen durchmachen. Aber in Vietnam verbuchen
Tierschützer Erfolge - und hoffen, dass andere Länder nachziehen.
Ninh Binh (dpa) - Khoi sitzt geduldig in seinem Futtergehege und
wartet auf Leckerlis seiner Pflegerin. Als sie kommt, richtet sich
der große Asiatische Schwarzbär auf und frisst Tierschützerin Emily
Lloyd aus der Hand. Im Bärenwald nahe der Stadt Ninh Binh im Norden
Vietnams darf sich Khoi endlich von den Qualen früherer Jahre
erholen. Er wirkt ruhig, aber die deutlich sichtbare Narbe auf seinem
Kopf sowie das unberechenbare Verhalten vieler Artgenossen in der
Auffangstation sind ein deutliches Zeichen für das schreckliche
Martyrium, das die Tiere in der Vergangenheit durchlitten haben.
Die 45 Bären in dem von der Organisation Vier Pfoten International
betriebenen «Bear Sanctuary» sind Überlebende der grausamen
Bärengalle-Industrie in dem südostasiatischen Land. Farmen, auf denen
die Tiere - die auch als Kragenbären oder Mondbären bekannt sind - in
viel zu engen Metallkäfigen dahinsiechen, waren lange überall
verbreitet. Häufig wurden sie als Babys angeliefert, nachdem Wilderer
ihre Mütter getötet und die Jungen gefangen hatten. Die Bären leiden
nicht nur körperlich, sondern auch psychisch ihr Leben lang.
Bei dem gnadenlosen Geschäft geht es um die traditionelle chinesische
Medizin (TCM) und den Glauben, dass bestimmte tierische «Zutaten»
verschiedenste Leiden lindern können. Auch in Europa kommt der Saft
Berichten zufolge in TCM-Arzneien vor. Bärengalle enthält
Ursodesoxycholsäure (UDCA). Studien zufolge kann UDCA tatsächlich als
Arzneistoff bei der Auflösung kleiner Gallensteine und diverser
Lebererkrankungen helfen. Jedoch gibt es pflanzliche und synthetische
Alternativen.
Dennoch setzen viele Asiaten schon lange auch bei anderen Beschwerden
auf Bärengalle - etwa bei Erkältungen, Prellungen oder
Gelenkschmerzen. Deshalb die riesige Nachfrage. «Die Anwendung
breitete sich schnell auf andere Bereiche aus, etwa bei der
Krebsbehandlung oder zur Schmerzlinderung, wofür es aber keinerlei
wissenschaftliche Beweise gibt», sagt Harold Browning,
Tierschutzberater bei Animals Asia.
Ursprünglich wurde Bärengalle nur aus den Gallenblasen einiger wilder
Bären gewonnen. Aber als in den 1990er Jahren die Nachfrage stieg,
schossen in ganz Vietnam - sowie anderen Ländern der Region - Farmen
aus dem Boden, auf denen neben Asiatischen Schwarzbären auch
Malaienbären (Sonnenbären) gehalten wurden. Beide Arten werden von
der Weltnaturschutzunion (IUCN) als «gefährdet» eingestuft.
«Wenn die Bären zu uns kommen, leiden sie meist unter einer ganzen
Reihe gesundheitlicher Probleme, insbesondere Gallenblaseninfektionen
und Entzündungen, die sie für den Rest ihres Lebens beeinträchtigen
»,
erzählt Vier-Pfoten-Mitarbeiterin Lloyd. Zudem litten sie häufig
unter Lebererkrankungen, Bluthochdruck und Nierenproblemen. «Es
dauert jeden Tag eine Stunde, bis wir ihre Medikamente für den
nächsten Tag vorbereitet haben», sagt Lloyd.
Im Bärenwald haben die geretteten Tiere Zugang zu halbnatürlichen
Innen- und Außengehegen. Nachdem sie jahrelang in engen Käfigen
eingesperrt waren, können sie nun artgerecht in Wasserbecken
planschen, in der Sonne dösen, auf Plattformen klettern, nach Nahrung
suchen oder sich in Bärenhäusern mit Innenhöhlen verstecken.
Die Zustände auf den Farmen sind hingegen barbarisch. Den Bären wird
ihr Gallensaft abgezapft, indem regelmäßig die Gallenblase mittels
einer Nadel direkt durch die Bauchdecke punktiert wird. Zwar werden
sie zumeist betäubt, aber unsachgemäß und meist nur schwach. Die
Folge: Bei der Prozedur erleiden sie unvorstellbare Schmerzen.
Die Käfige sind oft kaum größer als die Tiere selbst. Manche Bären
können sich nicht einmal ausstrecken. Die furchtbaren
Haltungsbedingungen sowie falsche Ernährung und Bewegungsmangel
führten zu Mobilitätsproblemen, Muskelschwund und Fettleibigkeit,
heißt es auf der Webseite von Vier Pfoten. Aufgrund der ständigen
Langeweile oder um der Pein irgendwie zu entkommen, kauten Gallebären
auch oft an den Käfigstangen und brächen sich dabei die Zähne ab.
Manche Farmer glauben dabei selbst gar nicht an die Wirksamkeit des
begehrten Saftes. «Ich weiß nicht, ob Bärengalle anderen hilft, aber
bei mir habe ich keinen Effekt gesehen, mein Gesundheitszustand hat
sich nach der Einnahme nicht verbessert», sagte Huynh Van Trien, der
in den 1990er Jahren fünf Bären für seinen Betrieb in der Provinz
Long An gekauft hatte. Vier sind inzwischen tot, den letzten
Überlebenden hat Trien vor kurzem an ein Wildschutzgebiet abgegeben.
Tierschützer hoffen, dass die Behörden die Bärengalle-Industrie schon
bald komplett dichtmachen. Bereits 2005 hatte Vietnam den Verkauf und
die Gewinnung von Bärengalle unter Strafe gestellt. Bis 2025 soll es
nach den Plänen der Regierung keine Bärenfarmen im Land mehr geben.
Bis jetzt ist es aber immer noch erlaubt, Bären zu halten, solange
sie vor 2005 registriert wurden. Diesbezügliche Kontrollen und
Strafverfolgung wurden aber lange sehr lax gehandhabt.
Dennoch: Die Zahl der Gallebären ist deutlich gesunken. Im Mai 2023
gab es laut Vier Pfoten landesweit noch 228 Bären auf den notorischen
Farmen, davon die Hälfte in der Hauptstadt Hanoi. Zum Vergleich: 2005
waren es noch 4500 Bären. «Obwohl es sich um ein riesiges Unterfangen
handelt, wird das Ende der Bärenfarmen in Vietnam ein klares Signal
an andere Regionen senden», ist Tuan Bendixsen überzeugt, Direktor
von Animals Asia Vietnam. «Diese Industrie kann beendet werden, wenn
wir alle zusammenarbeiten.»
Noch aber geht das Grauen für viele Tausend Gallebären in Asien
weiter, unter anderem in Laos und Myanmar. Spitzenreiter ist aber
China, wo Schätzungen zufolge mehr als 10 000 Tieren täglich Galle
abgezapft wird.
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