Hirnschaden nach Corona-Impfung - Wie eine Familie damit lebt Von Birgit Reichert und Harald Tittel , dpa

Millionen haben sich gegen Corona impfen lassen und nur leichte
Nebenwirkungen verspürt. In wenigen Fällen aber kam es zu schweren
Schädigungen, die bei den Betroffenen bis heute das Leben auf den
Kopf stellen. So bei Familie Klöckner in Trier.

Trier/Mainz (dpa/lrs) - Seit einer Corona-Impfung Anfang März 2021
ist bei Familie Klöckner in Trier alles anders. Mandy Klöckner,
damals 46 Jahre alt, gehörte als Erzieherin in einem Kindergarten zu
einer Gruppe, die relativ früh nach dem Impfstart geimpft wurde. Sie
bekam den Impfstoff des Herstellers Astrazeneca - und erlitt einen
schweren Impfschaden: Im Gehirn kam es zu einer Sinusvenenthrombose,
einer gefährlichen Verstopfung der Venen, mit Blutplättchenmangel, an
der sie fast gestorben wäre.

«Sie lag vier Wochen auf Intensiv im künstlichen Koma und hat um ihr
Leben gekämpft», erzählt ihr Mann Alexander Klöckner. Es folgten me
hr
als eineinhalb Jahre Krankenhaus und Reha, bis sie im Oktober 2022
wieder nach Hause kam - und ein neues Leben zwischen Betreuung und
Therapie organisiert werden musste. Ihr Impfschaden ist laut
Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung offiziell anerkannt -
als einer von bisher insgesamt neun Fällen in Rheinland-Pfalz.

Nach Angaben des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die
Sicherheit von Impfstoffen zuständig ist, hat es mehr als 192
Millionen Impfungen mit zugelassenen Impfstoffen gegen Corona
gegeben. Insgesamt 205 Verdachtsfälle einer Thrombose mit einer
Verminderung der Zahl der Blutplättchen nach Gabe von Vaxzevria
(Astrazeneca) seien bis Ende März gemeldet worden.

Heute sitzt Mandy Klöckner zu Hause am Esstisch, aber nichts ist mehr
wie es war. «Sie ist rund um die Uhr auf fremde Hilfe angewiesen»,
sagt ihr Mann. Tagsüber seien Betreuungskräfte bei seiner Frau. Und
ansonsten kümmerten er und sein Sohn Jan sich um die heute
49-Jährige. «Das Leben ist komplett auf den Kopf gestellt. Es dreht
sich alles nur um Therapie und Organisation.»

Sie könne nie mehr arbeiten gehen, nie mehr Autofahren oder ihren
gewohnten Tagesabläufen nachkommen. «Vor dem Ereignis war sie immer
sehr selbstständig und ist gerade durchs Leben gegangen. Und sie
hatte immer alles im Griff», sagt ihr Mann (50), der bei der Trierer
Berufsfeuerwehr arbeitet, und zeigt Fotos auf seinem Handy aus
glücklichen Tagen.

«Es muss immer jemand bei ihr sein», sagt ihr Sohn Jan (23), der an
der Universität Trier BWL studiert. Sonst sei die Gefahr zu groß,
dass seine Mutter etwas Unüberlegtes mache. «Sie ist sich der
Tragweite ihrer Handlungen nicht bewusst. Sie ist in Teilbereichen
mental auf dem Stand eines Kindes», sagt er. Auf die Frage, was sie
am Tag am liebsten mache, sagt sie: «Skip-Bo spielen. Und Pik Dame,
das mag ich auch.» Ihr Blick geht immer wieder ins Leere.

Auch wenn heute ein wenig Routine eingekehrt sei - die letzten gut
zwei Jahre haben bei Vater und Sohn Spuren hinterlassen. «Ich war
wirklich zwei Jahre im Tunnel», sagt Alexander Klöckner. «Entweder
ich war Arbeiten oder ich war im Krankenhaus oder bei der Reha.» Ohne
seinen Sohn, der sich um bürokratische und juristische Dinge
gekümmert habe, hätte er es nicht geschafft. Beide hätten in der Zeit

auch psychotherapeutische Hilfe in Anspruch nehmen müssen.

Denn Mandy Klöckner musste viel durchmachen: zwei Operationen, weil
der Hirndruck zu stark war. Die Ärzte gaben ihr eine Überlebenschance
von 10 bis 30 Prozent. Dann die Rekonstruktion der Schädeldecke mit
einem Implantat aus einem 3D-Drucker in Australien. Und in der Reha
musste sie erst stehen, dann gehen und sprechen neu lernen.

Die Berufsgenossenschaft habe den Impfschaden als Arbeitsunfall
anerkannt, sagt Jan Klöckner. Das habe sehr geholfen, um die Kosten
für die Reha und auch den behindertengerechten Umbau des Hauses zu
finanzieren. «Wir wollten ja nicht, dass sie in ein Pflegeheim
kommt», sagt Alexander Klöckner.

Beide Männer würden sich gerne mit anderen Betroffenen austauschen,
auch mit Blick auf eine mögliche spätere Klage gegen Astrazeneca auf
Schadenersatz. Sie haben eine E-Mail-Adresse eingerichtet, an die
Interessierte schreiben können: impfung.tr@icloud.com. «Vielleicht
wissen die anderen Leute nicht, dass sie einen Anspruch bei der
Berufsgenossenschaft hätten. Und vielleicht wissen sie auch was, was
wir nicht wissen», sagt Jan Klöckner.

Dass eine Klage gegen das britisch-schwedische Unternehmen
Astrazeneca schwierig werden könnte, darüber sind sich die Klöckners

bewusst. Bisher sind mehrere Impfschaden-Klagen in erster Instanz
abgewiesen worden - mit der Begründung, der Nutzen der Impfung für
die Allgemeinheit sei höher als das Risiko eines möglichen
Impfschadens.

«Man muss Astrazeneca nachweisen, dass sie zum Zeitpunkt der Impfung
Kenntnis hatten, dass es diese Nebenwirkung (der Thrombosen) in einem
signifikanten Maß gibt. Der aktuelle Stand ist, dass Astrazeneca nach
eigenen Angaben es nicht wusste und damit aus der Haftung raus ist»,
sagt Jan Klöckner, der sich intensiv mit der Materie beschäftigt hat.

Fakt ist, dass nach mehreren Fällen von Thrombosen infolge einer
Astrazeneca-Impfung in Deutschland am 19. März 2021 Impfungen mit dem
Vakzin vorübergehend ausgesetzt worden waren. Später empfahl die
Ständige Impfkommission (Stiko) den Stoff in Deutschland nur noch für
Menschen über 60 Jahren. An Gerichten in Deutschland sind mehrere
Klagen auf Schadenersatz gegen Hersteller von Corona-Impfstoffen
wegen möglicher Impfschäden anhängig. Eine rechtskräftige
Entscheidung bisher ist bundesweit nicht bekannt.

Für Alexander Klöckner gibt es «eine gesellschaftliche und politische

Verantwortung» auf Entschädigung. «Ich bin weder ein Impfgegner noch

ein Skeptiker. Wir sind alle dreifach geimpft. Auch Mandy. Sie hat im
Krankenhaus ihre zweite Impfung bekommen mit Biontech und in der Reha
die dritte.» Er verstehe, dass alles in der Corona-Pandemie sehr
schnell gehen musste. «Aber ich finde es fatal, wenn jetzt für die,
die Schaden erlitten haben, nicht eingestanden wird mit allen
Mitteln», sagt er.

In Rheinland-Pfalz sind bislang 559 Anträge wegen möglicher
gesundheitlicher Schäden nach einer Corona-Impfung gestellt worden,
wie das Landesamtes für Soziales, Jugend und Versorgung in Mainz
mitteilt. In 167 Fällen wurde der Antrag abgelehnt, 16 weitere hätten
sich erledigt, 367 Fälle seien noch in Bearbeitung. In den
anerkannten Fällen ging es demnach viermal um den Impfstoff von
Astrazeneca, dreimal um den von Johnson&Johnson und zweimal um das
Vakzin von Biontech, wie eine Sprecherin sagt.

Ende 2022 haben Mandy und Alexander Klöckner zum zweiten Mal
geheiratet. Er habe ihr mit einem Blumenstrauß vor dem Rollstuhl
knieend noch mal einen Antrag gemacht. Und ob sie gleich ja gesagt
habe? «Ja!», sagt Mandy Klöckner. Und lächelt.