) Verbände: Generelles Verbot von PFAS-Chemikalien gefährdet Klimaziele
In der EU könnte bald eine riesige Chemikalien-Gruppe verboten sein.
Bei einem umfassenden Verbot drohe der Energie- und Mobilitätswende
eine Vollbremsung, warnen Industrieverbände. Unterstützung bekommen
sie aus der Regierung.
Frankfurt/Main/Berlin (dpa) - Große deutsche Industrieverbände warnen
vor einer Gefährdung der EU-Klimaziele bei einem umfassenden Verbot
sogenannter Ewigkeits-Chemikalien. Kein Windrad, kein E-Auto, kein
Energiespeicher, keine Halbleiter - ohne PFAS-Chemikalien ließen sich
Schlüsseltechnologien auf dem Weg zur Klimaneutralität nicht
produzieren, hieß es in einer Mitteilung von Autoindustrie (VDA),
Maschinenbau (VDMA) sowie Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), die
der Deutschen Presse-Agentur vorliegt.
Auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) plädiert für
einen differenzierten Umgang mit der Chemikaliengruppe. In der
Europäischen Union wird über ein mögliches Verbot von PFAS
diskutiert, die wegen ihrer Langlebigkeit auch Ewigkeits-Chemikalien
genannt werden.
Zu der Chemikaliengruppe zählen geschätzt über 10 000 einzelne
Substanzen, die in Alltagsprodukten wie Anoraks, Pfannen oder
Kosmetik verarbeitet sind. In der Industrie werden sie etwa in
Dichtungen, Isolierungen oder Kabeln eingesetzt. Auch
Lithium-Ionen-Batterien zum Beispiel für E-Autos oder
Wasserstofftechnologien sind den Angaben zufolge auf PFAS angewiesen.
Die Präsidentin des Automobilverbandes VDA, Hildegard Müller, warnte,
ein pauschales PFAS-Verbot drohe zum «Klimaschutz-Boomerang» zu
werden. Ohne die Chemikalien seien heute weder die bestehenden
Fahrzeuge noch zukünftige Fahrzeugtechnologien denkbar.
Maschinenbau-Präsident Karl Haeusgen zufolge wären «viele grüne
Technologien, von Windenergieanlagen über die Wasserstofferzeugung
bis hin zur Produktion von Brennstoffzellen» gefährdet.
Habeck sagte der Deutschen Presse-Agentur in Berlin: «Bessere
Regulierung dort, wo es für den Verbraucherschutz notwendig ist, aber
keine Überregulierung für die Wirtschaft, wo es Wachstum und
Technologieentwicklung hemmt. Konkret heiße das: Da, wo diese
Chemikalien nicht sicher für Mensch und Umwelt verwendet werden und
gut durch andere Stoffe ersetzt werden können, sollten wir den
schnellen Ausstieg befördern. Das gilt vor allem da, wo sie
verbrauchernah eingesetzt werden.»
Zugleich dürfe aber nicht die Erneuerung der Industrie gefährdet
werden, warnte der Grünen-Politiker. PFAS spielten eine zentrale
Rolle für Technologien der Zukunft wie Halbleiter, Elektrolyseure und
elektrische Antriebe. «Hier lassen sich PFAS auch nicht einfach
ersetzen und hier dürfen wir die Entwicklung von Technologien nicht
durch Überregulierung verhindern, zumal der Einsatz in geschlossenen
Systemen in der Produktion erfolgt.»
Zuspruch erhielt Habeck von der FDP-Bundestagsfraktion. «Statt warmer
Worte erwarten wir vom Wirtschaftsminister aber nun auch, dass er
seinen Einfluss nutzt und das Umweltministerium in die Pflicht
nimmt», sagte die Sprecherin der Fraktion für Umwelt und
Verbraucherschutz, Judith Skudelny, der dpa. «Habeck muss aktiv der
bislang einseitig auf potenzielle Umweltrisiken abstellenden
Argumentation des bei PFAS in der Bundesregierung federführenden
Bundesumweltministeriums entgegenwirken.»
Die Staatssekretärin im Bundesumweltministerium, Christiane Rohleder
(Grüne), erinnerte an die Risiken der Chemikalien. «PFAS sind extrem
langlebig und reichern sich in Menschen, Tieren und Umwelt an»,
erklärte sie. «Nach EU-weiten Untersuchungen von Jugendlichen
zwischen 2016 und 2022 wurden über alle Studien hinweg bei 15 Prozent
der Teilnehmenden die als tolerierbar angesehenen Werte im Blut
überschritten, bei einzelnen Studien sogar bei über 20 Prozent.» Es
sei deshalb richtig, dort, wo es Alternativen gebe, einen Ausstieg
aus der Verwendung von PFAS zu suchen. Die auf EU-Ebene geplanten
Beschränkungen zielten nicht auf Totalverbote. «Vielmehr wird es ein
differenziertes Vorgehen geben, damit Mensch und Umwelt wirksam
geschützt werden und gleichzeitig der Weg für die anderen
gesellschaftlichen Transformationsprozesse frei bleibt.»
Mittelfristig setze sie auf die Innovationskraft der Industrie, um
«neue und nachhaltige Lösungen ohne PFAS» zu entwickeln.
Die drei Industrieverbände fordern, Stoffe, für die es zurzeit noch
keinen Ersatz gebe, sollten der Industrie weiter zur Verfügung
stehen. Das sollte auch für Substanzen gelten, von denen kein Risiko
für Mensch und Umwelt ausgehe. PFAS mit Risiko sollten kontinuierlich
ersetzt werden, wie es bereits üblich sei. Die Stoffe müssten
differenziert und risikobasiert betrachtet werden, sagte
ZVEI-Präsident Gunther Kegel.
In der EU wird über ein mögliches Verbot der Chemikaliengruppe
diskutiert. Deutschland und andere Länder hatten vorgeschlagen, die
Herstellung, Verwendung und das Inverkehrbringen von PFAS fast
komplett zu verbieten. Je nach Anwendung seien Übergangsfristen von
bis zu dreizehneinhalb Jahren vorgesehen. Für einige wenige Bereiche
gäbe es unbegrenzte Ausnahmen. Wegen der enormen Vielfalt an
Verbindungen sei ein Großteil der Stoffe bislang noch nicht
untersucht. Es gehe also um eine Art Vorsichtsmaßnahme. Die meisten
der gut untersuchten Stoffe gelten der Europäische Umweltagentur
(EEA) zufolge als mittel- bis hochtoxisch.
Die EU-Chemikalienagentur ECHA will nach Ablauf einer öffentlichen
sechsmonatigen Konsultation, die am 25. September endet, ein
mögliches Verbot beurteilen. Die Entscheidung trifft die Europäische
Kommission schließlich gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten.
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