«China plus eins» - Warum Indien für Deutschland wichtiger wird Von Andreas Hoenig und Anne-Sophie Galli, dpa
Handel, Energie, Klimaschutz: Darum geht es bei einem dreitägigen
Besuch von Wirtschafts- und Klimaschutzminister Habeck in Indien.
Welche Bedeutung Indien hat, welche Probleme es gibt - und warum die
Reise auch ein Signal in Richtung China ist.
Berlin/Neu Delhi (dpa) - Zum ersten Mal seit mehr als zehn Jahren ist
mit Robert Habeck (Grüne) ein Bundeswirtschaftsminister zu Besuch in
Indien. Dahinter steht: Indien wird für Deutschland immer wichtiger.
Das gilt vor allem beim Bestreben, in Asien nicht zu abhängig von
China zu werden und Lieferwege breiter aufzustellen. Außerdem geht es
um Energie- und Klimapolitik. Auf Habecks Programm von Donnerstag bis
Samstag stehen politische Gespräche und Firmenbesuche in Neu Delhi
und Mumbai sowie in Goa ein G20-Energieministertreffen.
Welche Bedeutung hat Indien für die deutsche Wirtschaft?
Indien hat China als bevölkerungsreichstes Land abgelöst. Mit rund
1,4 Milliarden Einwohnern ist es auch die größte Demokratie der Welt
und hat wachsenden politischen und wirtschaftlichen Einfluss - gerade
im Indopazifik, also dem Raum rund um den Indischen Ozean sowie Teile
des Pazifiks. Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Indien ist
zuletzt deutlich gestiegen, im vergangenen Jahr lag es bei rund 30
Milliarden Euro. Indien lag damit auf Rang 24 der wichtigsten
deutschen Handelspartner. Zum Vergleich: Größter Handelspartner war
China, mit einem Handelsvolumen von rund 299 Milliarden Euro.
Die Reise Habecks ist ein Signal in Richtung China - dort war er noch
nicht. Die neue China-Strategie der Bundesregierung sieht im Kern
vor: «De-Risking». Einseitige Abhängigkeiten von China etwa bei
Rohstoffen sollen verhindert werden, Firmen sollen Lieferwege breiter
aufstellen. Hier kommt auch Indien ins Spiel. Auf einer
Asien-Pazifik-Konferenz der deutschen Wirtschaft in Singapur im
vergangenen November machte die Formel «China plus X» die Runde -
oder: «China plus 1». Habeck sagte vor dem Abflug nach Indien: «Wir
wollen ja die deutschen Handelsbeziehungen breiter aufstellen.
Breiter aufstellen heißt, nicht immer nur nach China zu schauen.»
Welche Erwartungen sind mit der Reise Habecks verbunden?
Zum letzten Mal war nach Ministeriumsangaben 2012 ein deutscher
Wirtschaftsminister in Indien, damals der FDP-Politiker Philipp
Rösler. Habecks Ziel ist es, die wirtschaftliche Zusammenarbeit zu
vertiefen. Mit Interesse verfolgt würden außerdem Bestrebungen
Indiens, «grüne» Wasserstoffproduktion auch für den Export aufzubau
en
- auf Basis erneuerbarer Energien hergestellter «grüner» Wasserstoff
soll die Schlüsseltechnologie sein, um Produktionsprozesse etwa in
der Stahlindustrie klimafreundlich umzustellen. Deutschland wird viel
Wasserstoff importieren müssen.
Außerdem dürfte es bei dem Besuch um die Verhandlungen der EU mit
Indien über ein Freihandelsabkommen geben. Habeck räumte ein: «Das
ist sehr viel komplizierter als mit anderen Regionen der Welt.» Denn
traditionell schütze Indien eher seinen Markt, die
Investitionsbedingungen dort seien manchmal komplizierter. Habeck
dürfte auch dafür werben, dass Indien einem von Bundeskanzler Olaf
Scholz (SPD) initiierten internationalen «Klimaclub» für einen
ehrgeizigen Kampf gegen die Erderwärmung beitritt. Ebenfalls in
Indien ist derzeit Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD), um für
Deutschland als attraktives Einwanderungsziel zu werben.
Wie geht es der indischen Wirtschaft?
Indiens Wirtschaft wächst dieses Jahr nach Prognosen des
Internationalen Währungsfonds (IWF) um 5,9 Prozent - mehr als andere
große Volkswirtschaften. Prognosen etwa von Goldman Sachs zufolge
soll das Land bis zum Jahr 2075 die zweitgrößte Volkswirtschaft
werden - nach China und vor den USA. Mehr als ein Viertel der
indischen Bevölkerung ist unter 25 Jahre alt.
Das Land hofft, von Lieferkettenverlagerungen profitieren zu können.
Um Neuansiedlungen zu unterstützen, werden großzügige Subventionen
gewährt - das Programm «Production Linked Incentives» ist die
indische Antwort auf das milliardenschwere US-Subventionsprogramm
Inflation Reduction Act. Erste Erfolge sind bereits sichtbar. So
stieg die Produktion von Elektronikartikeln deutlich.
Was exportiert Indien nach Deutschland?
Textilien, Tee und Gewürze sind laut Anne Krieckhaus von der
Deutsch-Indischen Handelskammer Exportklassiker aus Indien. Aus
Indien stammten auch verschiedene Teile, die in deutschen Autos
verbaut würden. Außerdem kämen aus dem Land, das als «Apotheke der
Welt» bekannt ist, ein Großteil der Masern-Mumps-Röteln-Impfungen
sowie Arzneimittel beziehungsweise Bestandteile davon. Deutsche
Unternehmen beziehen zudem laut Geschäftsführer Dirk Matter von der
Handelskammer IT-Dienstleistungen aus Indien. Nach Angaben der
bundeseigenen Außenwirtschaftsgesellschaft Germany Trade & Invest
liefert Indien auch Maschinen und Elektronik.
Warum ist Indien für deutsche Firmen attraktiv?
«Indien bietet für deutsche Unternehmen eine einzigartige Kombination
aus Marktgröße, Marktpotenzial und Talentpool», sagte Kirsten
Schoder-Steinmüller, Vizepräsidentin der Deutsche Industrie- und
Handelskammer. Die Produktion deutscher Unternehmen in Indien werde
in den nächsten Jahren sowohl für den lokalen Markt wie für den
Export in andere Länder und Regionen an Bedeutung gewinnen. Deutsche
Firmen seien in Indien vor allem in der Automobil-, Maschinenbau- und
Chemiebranche aktiv. Auch erneuerbare Energien und «grüner»
Wasserstoff sowie Logistik und Infrastruktur würden zu attraktiveren
Geschäftsfeldern. Wolfgang Niedermark von der Hauptgeschäftsführung
des Industrieverbandes BDI sagte, Indien habe einen hohen Stellenwert
bei Anstrengungen der deutschen Industrie, sich in Lieferketten
breiter aufzustellen und weniger abhängig zu sein.
Nach einer Umfrage der Deutsch-Indischen Handelskammer unter
deutschen Firmen, die in Indien aktiv sind, wurden als wichtigste
Standortfaktoren genannt: politische Stabilität, Verfügbarkeit
exzellente Fachkräfte und relativ niedrige Lohnkosten. Deutschland
sei der siebtgrößte ausländische Direktinvestor in Indien. Deutsche
Unternehmen investieren beispielsweise im indischen «Silicon Valley»
Bengaluru: Continental eröffnete dort im vergangenen Jahr für mehr
als 100 Millionen Euro ein neues technisches Center, SAP und Siemens
Healthineers bauen dort derzeit je einen Campus.
Was sind die größten Probleme für deutsche Firmen in Indien?
Die Regierung von Premierminister Narendra Modi wirbt mit
Bürokratieabbau und Investitionsanreizen, um den Produktionsstandort
zu stärken. Deutsche Wirtschaftsverbände sehen aber noch viel zu tun:
«Strukturelle Probleme wie Korruption, überbordende Bürokratie und
Mängel in der Infrastruktur, als auch politische Themen wie
wachsender Nationalismus und das schwache Bekenntnis zu
internationalen Normen sind die größten Herausforderungen für
deutsche Unternehmen in Indien», so Niedermark. Zudem erhebe
Indien in mehreren Sektoren weiterhin hohe Zölle auf Waren aus
Europa. Deswegen wäre ein Freihandelsabkommen mit weitreichendem
Zoll-Abbau von großer Bedeutung.
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