Hype um purzelnde Kilos: Abnehmmittel «Wegovy» kommt nach Deutschland Von Gisela Gross und Steffen Trumpf, dpa

Abspecken und das Gewicht dann auch halten: Das versprechen bestimmte
Abnehmspritzen. Nach einem Hype in den USA kommen sie nun auch in
Deutschland auf den Markt. Was kann «Wegovy» - und für wen ist es
gedacht?

Berlin (dpa) - Schluss mit Jo-Jo-Effekt und Kilofrust? Ein
appetitzügelndes Medikament stellt adipösen und manchen
übergewichtigen Menschen eine Gewichtsabnahme und -kontrolle in
Aussicht. Ärztinnen und Ärzte in Deutschland können die Spritzen zur

Eigenanwendung ab Montag (17.7.) verschreiben. Dazu Fragen und
Antworten.

Um was für ein Präparat geht es?

Um «Wegovy», ein verschreibungspflichtiges Medikament zum Abnehmen
und Halten des Gewichts. Erhältlich ist es bislang in den USA,
Dänemark und Norwegen. Ab Montag können Ärzte es nach Angaben des
Herstellers Novo Nordisk auch in Deutschland Patienten mit Adipositas
verschreiben, Apotheken können es dann auch beim Großhandel
bestellen. Novo Nordisk rechnet mit einer hohen Nachfrage und einem
begrenzten Angebot.

Wie funktioniert es?

Patienten können sich «Wegovy» aus einem Fertigpen, der ein bisschen

aussieht wie ein Textmarker, einmal pro Woche selbst unter die Haut
spritzen: am Bauch, Oberschenkel oder Oberarm. An der
Injektionslösung mit dem Wirkstoff Semaglutid hat sich in den USA
auch wegen so mancher Promi-Äußerung großes Interesse entwickelt.
Novo Nordisk spricht von Hunderttausenden Nutzern.

Für welche Patienten kommt «Wegovy» in Frage?

Gedacht ist das Präparat für Erwachsene mit einem Body-Mass-Index
(BMI) ab 30, also Adipositas. Der BMI wird aus Größe und Gewicht
errechnet. Wer als Mann zum Beispiel 1,80 Meter groß ist und 100 Kilo
wiegt, überschreitet die 30er-Marke knapp. Daneben kann das Mittel
auch bei Übergewichtigen (BMI ab 27) mit mindestens einer
gewichtsbedingten Begleiterkrankung wie Diabetes Typ 2 eingesetzt
werden. Und bei Jugendlichen ab einem Alter von 12 Jahren mit
Adipositas oder einem Gewicht von mehr als 60 Kilo. Die Spritzen
allein sollen es allerdings bei keiner dieser Gruppen richten: Sie
sollen vielmehr eine Ergänzung zu Diät und Sport sein.

Wie funktioniert der Wirkstoff?

Semaglutid ahmt die Wirkung des körpereigenen Hormons GLP-1 nach. «Es
wird im Gehirn sozusagen der Impuls gesetzt, dass man satt sei», sagt
der Präsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft, Jens Aberle.
Klinischen Studien zufolge reduziere der Wirkstoff die
Energieaufnahme und steigere das Sättigungs- und Völlegefühl, heißt

es in einem Papier der EU-Arzneimittelbehörde EMA. Hungergefühle
würden vermindert, Heißhungerattacken seltener und weniger stark. Wer
zu häufig einen Jieper auf Pommes und dergleichen hat, kann diesen
offenbar auch in den Griff bekommen: Die Vorliebe für besonders
fetthaltige Nahrungsmittel werde verringert.

Wie ist die Erwartungshaltung in Deutschland?

«Die Nachfrage ist nach wie vor riesig», sagt Endokrinologe Aberle.
Das betreffe «Wegovy», aber auch das oft in einem Atemzug genannte
Diabetes-Medikament «Ozempic» mit geringerer Semaglutid-Dosis.
«Ozempic» ist zwar nicht als Abnehmpräparat zugelassen, es kann im
sogenannten Off-Label-Use aber auch zu dem Zweck abgegeben werden.
Auch vor dem Hintergrund traten Lieferengpässe auf. Laut Aberle hat
der Hersteller 200 000 «Wegovy»-Pens für das zweite Halbjahr in
Deutschland gesichert: «Das ist gut bemessen, damit könnte man eine
erhebliche Zahl von Patienten versorgen.»

Wie viel und wie schnell kann man damit abnehmen?

Laut einer Studie im «New England Journal of Medicine» mit insgesamt

fast 2000 Teilnehmern hatten «Wegovy»-Probanden nach 68 Wochen im
Schnitt 15 Prozent abgenommen. Die Vergleichsgruppe erreichte mit
einem Scheinmedikament nur einen Verlust von gut zwei Prozent. Von
der Anwendung durch Normalgewichtige, die zum Beispiel vor einem
Strandurlaub ein paar Pölsterchen loswerden wollen, raten Fachleute
klar ab. Das Verhältnis von Nutzen und Risiko stimme dann nicht. «Ein

gewissenhafter Arzt würde Normalgewichtigen das Mittel nicht
verschreiben», sagt Aberle. Hinzu kommt die Gefahr, dass Kranke
schwerer oder nicht an ihre Medikamente kommen, wenn es einen
übermäßigen Run darauf durch Gesunde gibt.

Wer trägt die Kosten?

Kassenpatienten in Deutschland, die «Wegovy» nutzen möchten, müss
en
dafür zunächst selbst bezahlen. Insbesondere Arzneimittel, die der
Abmagerung, dem Zügeln des Appetits und zur Regulierung des
Körpergewichts dienen, sind nach bisherigen Regelungen von der
Verordnungsmöglichkeit zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung
ausgeschlossen. «Die Regelung wird hoffentlich bald geändert, so dass
zumindest einige Adipositas-Patienten auf Kassenrezept damit versorgt
werden können», sagt Aberle. Die Deutsche Adipositas-Gesellschaft
setzt sich für eine Kostenübernahme in Fällen ein, in denen «Wegovy
»
medizinisch angezeigt ist, etwa wenn andere Therapieoptionen nicht
helfen.

Was wird die Therapie kosten?

Novo Nordisk gibt den Apothekenabgabepreis einer 4-Wochen-Ration für
die höchste Dosis (2,4 mg) mit gut 300 Euro an. Das sei zu viel für
Selbstzahler, vor allem weil das Medikament nur so lange wirkt, wie
es eingenommen wird, sagt Aberle. Der Mediziner rechnet in diesem
Jahr auch noch mit Studienergebnissen zu der Frage, inwieweit
«Wegovy» beim Vorbeugen einiger Adipositas-Folgeerkrankungen hilft.
Diese könnten womöglich Argumente für eine Kostenübernahme liefern.


Wie sehen mögliche Nebenwirkungen aus?

In bisherigen Studien berichteten Probanden am häufigsten von
Übelkeit, Durchfall, Verstopfung und Erbrechen. Wegen derartiger
Magen-Darm-Nebenwirkungen soll die Dosis des Medikaments über mehrere
Wochen bis auf 2,4 mg gesteigert werden. In vier klinischen Studien
wurden 2650 Erwachsene mit «Wegovy» behandelt, die Dauer betrug 68
Wochen. Der Hersteller nennt auf seiner Webseite auch noch mögliche
Nebenwirkungen wie unter anderem Entzündungen der Bauchspeicheldrüse,
Gallensteine, ein Risiko für niedrigen Blutzucker und Sehstörungen
bei Typ-2-Diabetikern. Der Sicherheitsausschuss der EMA prüft zudem
gerade Daten unter anderem zu «Wegovy» über das Risiko von
Selbstmordgedanken und Gedanken an Selbstverletzung. Allerdings ist
laut EMA noch nicht klar, ob die gemeldeten Fälle mit den
Arzneimitteln selbst oder mit den Grunderkrankungen der Patienten
oder anderen Faktoren zusammenhängen.

Wer sollte «Wegovy» nicht nehmen?

Für eine Reihe von Menschen mit bestimmten Erkrankungen ist die
Wirksamkeit nicht untersucht, etwa bei Diabetes Typ 1. Während der
Schwangerschaft und Stillzeit darf das Präparat nach EMA-Angaben
nicht verwendet werden. Wer ein Kind bekommen wolle, müsse Semaglutid
mit einem Vorlauf von mindestens zwei Monaten absetzen. Laut
Hersteller sollen auch jene Menschen «Wegovy» nicht bekommen, die
schon selbst oder in der Familie eine bestimmte Form von
Schilddrüsenkrebs hatten. Das gelte auch bei ernsten allergischen
Reaktionen auf Semaglutid oder andere Inhaltsstoffe. Der Hersteller
weist außerdem darauf hin, dass das Medikament die Wirkweise anderer
Medikamente beeinflussen könne, weil es die Magenentleerung
verlangsame.

Gibt es Alternativen?

Weitere ähnliche Medikamente dürften hinzukommen, erwartet Aberle.
Spätestens Anfang 2024 könnte nach seinen Worten etwa das
Typ-2-Diabetes-Medikament «Mounjaro» auch für den Einsatz gegen
Adipositas zugelassen werden. Es sei in der Adipositas-Therapie nach
bisherigen Erkenntnissen noch wirksamer als «Wegovy». Weitere
Wirkstoffe seien in der Entwicklung.

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