Essstörung und Ängste: Viele Jugendliche kämpfen mit Corona-Folgen Von Sabina Crisan, dpa
Keine Treffen mit Gleichaltrigen, Hobbys fielen weg: Die
Corona-Pandemie hat vielen Jugendlichen zu schaffen gemacht. Die Zahl
der psychischen Erkrankungen ist seitdem stark angestiegen. Der Weg
nach der Erkrankung zurück ins alte Leben ist oft lang.
München (dpa/lby) - Helena* erzählt ganz nüchtern vom Abrutschen in
ihre Krankheit: Zuerst konnte sie wegen des corona-bedingten
Lockdowns keinen Sport mehr machen und nahm zu. Dann stieß sie auf
Workout-Videos im Internet, die oft zum Abnehmen anregen. «Ich hatte
die Zeit, ich hatte keine Freunde mehr, keine Hobbys mehr, deswegen
habe ich mich mit meiner Essstörung beschäftigt», erzählt die
15-Jährige aus dem Allgäu. Helena ist eine von vielen Jugendlichen
in Bayern, die während der Pandemie eine psychische Störung
entwickelt habt - und nun oft mühevoll dagegen ankämpft.
So haben die als repräsentativ für den Freistaat geltenden
Abrechnungsdaten der Krankenkasse DAK gezeigt, dass die Zahl neu
diagnostizierter psychischer Erkrankungen und Verhaltensstörungen bei
Jugendlichen im Alter von 15 bis 17 Jahren zwischen 2019 zu 2021
massiv gestiegen ist. So legten neu diagnostizierte Angststörungen um
45 Prozent zu, gefolgt von emotionalen Störungen (+30 Prozent) sowie
Depressionen (+25 Prozent). Im Vergleich zum Vorpandemiejahr 2019
stieg zudem die Zahl der jugendlichen Mädchen, bei denen Essstörungen
wie Magersucht oder Bulimie («Ess-Brech-Sucht») neu diagnostiziert
wurden, im Jahr 2021 um 130 Prozent.
Bei Helena begann die Essstörung mit gesunder Ernährung, wurde dann
aber zu exzessivem Sport, Aufstehen um halb fünf Uhr morgens und
Erbrechen nach den Mahlzeiten. Ihre fünfköpfige Familie bemerkte das
zunächst nicht. Ihre Mutter hielt ihre Bemühungen um Bewegung und
Struktur sogar für ein positives Zeichen, «wir haben das noch
belobigt am Anfang». Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass ihre
Tochter in Wirklichkeit in eine Essstörung abgleitet.
Bei Maria, einer weiteren Jugendlichen, die während der Pandemie
große Probleme entwickelte, zeigten sich die ersten Anzeichen einer
sozialen Phobie schon vor Corona darin, dass sie in den Sommerferien
nicht mehr ins Schwimmbad gehen oder mit ihrer Familie Fahrrad fahren
wollte. Sie zog sich immer mehr zurück. Daher war es anfangs eine
Erleichterung, während des Lockdowns nicht zur Schule gehen zu
müssen, wie die 14-Jährige erzählt. Doch als die Lockerungen
begannen, fiel es ihr schwerer als je zuvor.
Inzwischen zeigen diverse Studien, dass die psychische Gesundheit von
Kindern und Jugendlichen vor allem aufgrund der Isolation und des
fehlenden Kontakts zu Gleichaltrigen gelitten hat. Die Folge: Die
Nachfrage nach Psychotherapeutinnen und -therapeuten, die Kinder und
Jugendliche behandeln, lag im vergangenen Sommer um 48 Prozent höher
als in der Vor-Corona-Zeit, wie eine Ende April veröffentlichte
Umfrage der Deutschen Psychotherapeutenvereinigung ergab.
Monatelange Wartezeiten sind dadurch vielerorts der Normalzustand. Es
gebe zu wenig stationäre Behandlungsplätze, zu wenig Therapeuten, zu
wenig Therapieplätze, sagt der Chefarzt Psychosomatik und
Psychotherapie der Schön Klinik Roseneck, Ulrich Voderholzer. Was dem
Experten für Angst-, Zwangs-, Depressions- und Essstörungen besonders
gegen den Strich geht: Oft würden die Jugendlichen dann mit
Antidepressiva behandelt, obwohl die Psychotherapie im Vordergrund
stehen sollte.
«Sehr verzweifelt» sei sie gewesen, weil viele Kliniken, bei denen
sie sich angemeldet hatte, lange Wartezeiten hatten, erzählt Maria.
Nach monatelanger Suche bekam sie letzten Sommer einen Platz in einer
Klinik. Nach einigen Monaten scheiterte ein Versuch, nach Zuhause
zurückzukehren. Seither lebt sie wieder in der Klinik. Immerhin
besucht sie inzwischen zumindest eine Schule in der Nähe - ein paar
Stunden am Tag, dreimal in der Woche. Es ist ein Anfang.
Helena musste gegen einen weiteren Widerstand kämpfen, um Hilfe zu
bekommen: Ihr Kinderarzt schätzte die Situation falsch ein und
befeuerte die damals 14-Jährige nach ihren eigenen Worten, «dass ich
sozusagen nicht krank genug sei». Erst mit starkem Untergewicht
landete sie schließlich in einem Krankenhaus. «Wer soll denn etwas
tun, wenn der Fachmann es nicht wirklich ernst nimmt?», fragt ihre
Mutter sich bis heute wütend.
In der Klinik übte Helena wieder «normal» zu essen, erst allein mit
einem Arzt, dann im Speisesaal - und schließlich zu Hause. Dennoch
war die Heimkehr nach einem halben Jahr Klinikaufenthalt nicht
einfach, wie die 15-Jährige erzählt. Die Familie habe gelernt, «ohne
mich zu leben». Inzwischen freue sie sich aber darauf, wieder Jazz
und Ballett tanzen zu können - und auf eine Zeit, in der sie alles
nachholen und wieder Spaß mit ihren Freunden haben könne. Auch Maria,
die immer noch in der Klinik ist, freut sich darauf, endlich wieder
ein «normales Leben» zu führen.
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