Krankenhausexperte Busse: Man kann Spezialisierungen steuern Von Christopher Kissmann, dpa
Die Landesregierung will die Krankenhauslandschaft in Sachsen-Anhalt
neu aufstellen. Dafür hat sie ein Gutachten erstellen lassen. Sind
die Ansätze für die Umsetzung realistisch? Was muss jetzt passieren?
Magdeburg (dpa/sa) - Reinhard Busse ist Professor für Management im
Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin. Die Deutsche
Presse-Agentur hat den Gesundheitsökonom gefragt, wie eine
Krankenhausreform in Sachsen-Anhalt aussehen könnte. Anfang April war
in Magdeburg ein Gutachten zur Zukunft der Krankenhauslandschaft in
Sachsen-Anhalt vorgestellt worden, das die Landesregierung in Auftrag
gegeben hatte.
Frage: Herr Prof. Busse, Gutachter empfehlen Sachsen-Anhalt, die
Basisversorgung bei der stationären Versorgung wohnortnah zu
organisieren und schwere Fälle stärker an großen Kliniken zu
konzentrieren. Schon jetzt gibt es mehrere Krankenhäuser in Magdeburg
und Halle, im ländlichen Raum aber werden die Wege zum Teil immer
weiter. Wie ist das zu lösen?
Antwort: Die Beobachtung stimmt, aber sie wird immer so
interpretiert, als ob der ländliche Raum benachteiligt wäre.
Eigentlich muss man das mal umdrehen und sagen: Wir haben insgesamt
ein Problem mit zu vielen kleinen Krankenhäusern in Deutschland - und
das insbesondere in den Städten. Die Stadtbevölkerung hat vielleicht
das Gefühl, privilegiert zu sein und die Landbevölkerung das Gefühl,
benachteiligt zu sein. Entscheidend ist aber, dass die Patienten im
richtigen Krankenhaus behandelt werden. Es nützt nichts, wenn
Menschen in der Stadt einen kurzen Weg haben, aber im falschen
Krankenhaus behandelt werden. Und es wäre auch falsch, jetzt auf dem
Land mehr Krankenhäuser aufzumachen.
Frage: Im Bereich der Notfallversorgung verweist das Gutachten auf
Defizite bei der Behandlung von Schlaganfällen und Herzinfarkten. Wie
kann es gelingen, Patientinnen und Patienten dort zu behandeln, wo es
sinnvoll ist?
Antwort: Wir wissen, dass die meiste Zeit verloren geht, bis die 112
gerufen wird. Da müssen wir Aufklärung in der Bevölkerung betreiben.
Für den Weg zum Krankenhaus ist auch eine gute Dichte bei den
Rettungswachen wichtig. Helfen können zudem Rettungshubschrauber. Es
ist unverständlich, dass wir kaum Rettungshubschrauber haben, die
nachts und bei schlechtem Wetter fliegen können. Das ist in Ländern
wie Dänemark, Norwegen und Schweiz ganz anders. Das gehört dazu. Und
letztlich ist aber auch wichtig, dass man tatsächlich in das richtige
Krankenhaus kommt. Wenn ich einen Schlaganfall habe, ist es nicht
sinnvoll, ins Krankenhaus zu kommen, das nur zehn Minuten weg ist,
wenn das für eine Behandlung aber gar nicht ausgestattet ist. Man
muss die ganze Kette betrachten.
Frage: Die Kliniken sollen sich insgesamt stärker spezialisieren. Wie
muss die Politik diesen Prozess steuern?
Antwort: Die Länder haben die Aufgabe, die Krankenhausplanung zu
machen. Sie behaupten auch, dass sie das tun. Aber de facto läuft das
nicht gut. Ein Gesundheitsministerium überlegt sich häufig nur: Wie
viele Krankenhäuser brauchen wir? Und denkt, je mehr, desto besser.
Und dann wird zumeist geplant, welche Fachabteilungen man braucht.
Anschließend kriegt das Krankenhaus einen sogenannten
Feststellungsbescheid. Da steht aber nicht detailliert genug drin,
welche Leistung das Krankenhaus erbringen darf. Das muss viel
spezifischer ausfallen. Nicht nur Fachabteilungen sollten hier
aufgeführt werden, sondern einzelne Leistungsgruppen, etwa «Eingriffe
an der Wirbelsäule» oder «Brustkrebs». Mit festem Willen kann man
Spezialisierungen auch steuern.
Frage: Die Zahl der Fälle ist nach der Corona-Pandemie in vielen
Kliniken gesunken. Was bedeutet dieser Trend?
Antwort: In Deutschland haben wir insgesamt zu viele Behandlungen im
Krankenhaus. Wir haben im Schnitt 50 Prozent mehr vollstationäre
Krankenhausfälle pro Einwohner als unsere Nachbarn. Es gibt Länder
wie die Niederlande, die haben fast dreimal weniger Fälle. Und das
liegt natürlich nicht primär daran, dass die jetzt alle gesünder sind
in den Niederlanden, sondern dass die eben viel mehr ambulant
behandeln. Blinddarmoperationen oder Leistenbruchoperationen müssen
nicht immer vollstationär gemacht werden. Die werden in vielen
Ländern, etwa in Dänemark, ganz überwiegend ambulant gemacht. Auch
bei Krebsbehandlungen kann man Reformen einleiten.
Frage: Welche?
Antwort: Der komplexe Eingriff, die initiale Behandlung, muss
natürlich in einem spezialisierten Krankenhaus erfolgen,
beispielsweise bei Krebs der Bauchspeicheldrüse. Da kann man durchaus
auch von der Altmark nach Magdeburg fahren. Muss ich dann aber auch
immer für die hoffentlich ambulant erfolgende Folgebehandlung nach
Magdeburg fahren? Oder kann das kleinere Krankenhaus in Stendal oder
in Salzwedel dies auch übernehmen? Auf so etwas müssen sich die
kleinen Krankenhäuser mehr einstellen, als Satellitenstationen
angedockt an die Unikliniken. Die Krankenhäuser müssen insgesamt viel
mehr miteinander kooperieren und sich mehr als Netzwerk statt als
Konkurrenz verstehen.
Frage: Die Finanzierung der Geburtshilfe ist oft nicht auskömmlich.
Es gibt immer wieder Schließungen in Sachsen-Anhalt. Müssen sich die
Leute damit abfinden, dass Kinder nicht mehr nahe der eigenen
Heimatstadt geboren werden? Oder sollte der Staat diesen Bereich
anders finanzieren?
Antwort: Jede Familie wünscht sich eine Geburt, die ohne
Komplikationen verläuft. Das Besondere an der Geburtshilfe ist ja
aber, dass es um die komplizierten Fälle geht. Bei bekannten
Risikogeburten kann man die Situation vorher einschätzen und dafür
sorgen, dass die Geburt eben nicht in einem kleinen Haus stattfindet,
sondern in einem Zentrum. Das Problem ist, dass etwa die Hälfte aller
Komplikationen, die während der Geburt passieren, bei einer bis dahin
stinknormalen Schwangerschaft vorkommen. Wenn wir auch da gute
Ergebnisse haben möchten, dass eben die Kinder, im schwersten Fall
sogar die Mütter, nicht mehr sterben, wird man nicht umhinkommen,
Geburten an zentralen Orten durchzuführen. Dort ist mehr Expertise
und die ist oft innerhalb von Sekunden vonnöten, etwa beim
Nabelschnurvorfall. Bei denjenigen, wo es unkompliziert läuft, können
Mutter und Kind ja schnell nach Hause. Das muss die Politik den
Menschen immer wieder erklären.
Frage: Ein großes Thema ist der Fachkräftemangel. Welche
Lösungsansätze sehen Sie?
Antwort: Wir haben in den letzten 20 Jahren kaum bemerkt, dass die
Anzahl der im Gesundheitswesen arbeitenden Personen in Deutschland um
50 Prozent angestiegen ist. Wir hatten im Jahr 2000 vier Millionen
Beschäftigte, jetzt sind es sechs. Mit der Umstrukturierung der
Krankenhäuser hin zu mehr ambulanten Eingriffen und kürzeren,
zielgerichteten stationären Aufenthalten kann man Personal
freisetzen. Es hat dann die Zeit, sich um die verbleibenden,
tatsächlich stationär zu behandelnden Patienten zu kümmern. Insofern
muss das Fachkräfteproblem mit dem Qualitätsproblem betrachtet
werden. Die Puzzleteile sind da ganz eng miteinander verbunden.
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