Nie mehr «rote Kachel»: Das stille Ende der Corona-Warn-App Von Christoph Dernbach und Albert Otti, dpa

Mit 48 Millionen Downloads gehört die Corona-Warn-App zu den
populärsten Smartphone-Anwendungen in Deutschland. Doch ob das
Programm tatsächlich einen wirksamen Beitrag zur Eindämmung der
Pandemie geleistet hat, bleibt umstritten.

Berlin (dpa) - In den ersten Monaten der Corona-Pandemie vor über
drei Jahren gab es noch keine Impfstoffe. Experten rieten besorgten
Bürgern vor allem, sich mit Masken zu schützen. Große Hoffnungen
setzten die Bundesregierung und das Robert Koch-Institut (RKI) aber
auch auf die Corona-Warn-App, die am 16. Juni 2020 in den Stores von
Apple und Google veröffentlicht wurde. Knapp drei Jahre später wird
die offizielle Corona-Warn-App des Bundes in den «Schlafmodus»
versetzt und damit faktisch nutzlos. Zeit für eine Bilanz:

Wie hat die Corona-Warn-App funktioniert?

Die App hat mit Hilfe von Bluetooth-Signalen ermittelt, welche
Smartphones einander nahegekommen sind. Wurden Nutzerinnen oder
Nutzer positiv auf Corona getestet, konnten sie das Testergebnis in
der App teilen, damit andere User, die sich in ihrer Nähe aufgehalten
hatten, mit der berühmten «roten Kachel» gewarnt werden. Ziel war es,

die Infektionsketten möglichst schnell zu unterbinden, indem die
Gewarnten rasch reagieren. Sie sollten sich dann selbst testen lassen
und sich bei Bedarf dann auch isolieren.

Warum wurde nicht auf das Ortungssystem GPS gesetzt?

Zu Beginn der Debatte wurde tatsächlich überlegt, ob nicht klassische
Ortungsinformationen wie GPS ausgewertet werden sollen. Damit wäre
aber keine punktgenaue Erfassung einer riskanten Begegnung möglich
gewesen. Außerdem warnten Datenschützer davor, dass damit sensible
Standortprofile entstanden wären. «Die Corona-Warn-App hat gezeigt,
wie eine Kontakt-Verfolgung anonym, sicher und ohne Massenüberwachung
erfolgreich umgesetzt werden kann», sagt rückblickend Linus Neumann,
Sprecher des Chaos Computer Clubs (CCC). «Eine Massenüberwachung
hätte die App keinen Deut effektiver gemacht. Ganz im Gegenteil: Sie
wäre einfach nicht installiert worden.»

Wie viele Menschen in Deutschland haben die App aktiv genutzt?

Verbindliche Zahlen gibt es nur für die Downloads, nämlich knapp 48,7
Millionen. Da etliche User die App beispielsweise nach einem
Handywechsel mehrfach installiert haben oder manche die App auch
wieder deaktiviert haben, liegt die Zahl der aktiven Anwenderinnen
und Anwender niedriger. Sie dürfte nach RKI-Schätzungen in den
Spitzenzeiten bei rund 33 Millionen gelegen haben. Dieser Wert ist im
internationalen Vergleich sehr hoch. Die Bundesregierung hatte sich
allerdings erhofft, dass bis zu 60 Prozent der Bevölkerung die App
verwenden, also rund 50 Millionen.

Welchen Beitrag hat die App bei der Pandemiebekämpfung gespielt?

Eine umfassende wissenschaftliche Bewertung steht in dieser Frage
noch aus. Einige Zahlen stehen aber schon fest: Rund neun Millionen
Menschen haben ihre Testergebnisse über die Corona-Warn-App geteilt.
Mehr als 60 Millionen Mal wurden PCR-Testergebnisse an die App
übermittelt, die Resultate von Antigen-Schnelltests wurden mehr als
180 Millionen Mal über die App an die Nutzer gesendet.

Was hat die App über die Pandemie hinaus bewirkt?

Das Ökosystem der App hat nach Einschätzung von Experten maßgeblich
zur Digitalisierung des Gesundheitswesens in Deutschland beigetragen,
beispielsweise in den Gesundheitsämtern oder den Testlaboren.
Neuartig war auch, dass ein großes Projekt mit offenem Quellcode
entwickelt wurde. «Die Corona-Warn-App war mehr als nur eine
Pandemie-App», sagt die Bundestagsabgeordnete Anke Domscheit-Berg
(Linke). «Sie war ein großartiges Beispiel für eine neue Art,
Software der öffentlichen Hand zu entwickeln: als Open Source und in
einem wirklich offenen Prozess, gemeinsam mit der kompetenten
Zivilgesellschaft. Nur so konnte sie zur weltweit erfolgreichsten
Corona-App werden.» Domscheit-Berg bemängelt aber, dass die Änderung

nicht von Dauer gewesen sei. Weder die alte noch die neue
Bundesregierung habe diesen fortschrittlichen Ansatz je bei einem
anderen Software-Projekt wiederholt.

Wie teuer war die App?

Die Abschlussrechnung steht ebenfalls noch aus. Die Kosten dürften
aber bei über 220 Millionen Euro liegen, deutlich mehr als
ursprünglich geplant. Die Mittel flossen vor allem an den
Softwarekonzern SAP und die Deutsche Telekom (T-Systems) für die
Entwicklung und Wartung der App sowie den Betrieb eines Call-Centers
für die Anwender.

Ob sich dieser Aufwand gelohnt hat, ist umstritten. Andrew Ullmann,
der gesundheitspolitischer Sprecher der FDP Bundestagsfraktion, sagt:
«Die Corona-Warn-App war nicht der Gamechanger der Pandemie. Keiner
kann bisher genau sagen, wie viele Erkrankungen durch sie verhindert
wurden.» Die App habe aber auch einen Beitrag geleistet. «Sie hat vor
allem angedeutet, was im Bereich der Digitalisierung im
Gesundheitswesen machbar ist, wenn man den Willen hat und die Mittel
dazu bereitstellt. Am Ende müssen wir uns aber auch die Frage
stellen, ob die Kosten im Verhältnis standen. Hier habe ich mir noch
keine endgültige Meinung gebildet.»

Für SAP-Technikchef Jürgen Müller steht dagegen fest, dass die App
zusammen mit anderen Tools maßgeblich dazu beigetragen hat, dass die
Menschen in Deutschland «die Pandemie gemeinsam gemeistert haben».
«Für mich ist (die Corona-Warn-App) ein weiterer Beweis dafür, dass
Technologie allen zugute kommt», schrieb Müller im Netzwerk LinkedIn.

Warum wird die App nun in den «Schlafmodus» versetzt?

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte, ein aktiver
Weiterbetrieb ergebe keinen Sinn «bei der geringen Inzidenz, die wir
zurzeit haben». Außerdem gebe es eine hohe Bevölkerungsimmunität, s
o
dass die Krankheit nicht mehr so schwer verlaufe. Der Minister
appelliert aber an die User, die App nicht von ihren Smartphones zu
löschen. «Es kann sehr gut sein, dass wir sie für Covid wieder nutzen

müssen. Es kann aber auch sein, dass wir sie weiterentwickeln für
andere Infektionskrankheiten.»

Welche neuen Gefahren drohen denn?

Dass eine neue Pandemie bevorsteht, ist aus Sicht der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) nicht nur eine Frage der Zeit,
sondern auch der Vorbereitung. Deshalb hat die UN-Gesundheitsbehörde
in Genf eine Reihe von Krankheiten besonders im Auge, die entweder
das größte Potenzial für Epidemien oder gar Pandemien haben oder fü
r
die noch keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen wurden. Darunter
sind bekannte Namen wie Ebola, Zika, Covid-19 und Lassafieber, sowie
die Atemwegserkrankungen MERS-CoV und SARS. Außerdem: das
Krim-Kongo-Fieber und das Rifttalfieber, bei denen Blutungen
auftreten können, sowie das Gehirnhautentzündung verursachende
Nipah-Virus. Ganz unten auf der Liste steht der ominöse Eintrag
«Krankheit X». Damit ist eine Erkrankung gemeint, die bislang nicht
im Menschen beobachtet wurde und deshalb noch nicht als
Pandemie-Kandidatin bekannt ist. Laut der WHO werden 60 Prozent aller
neuen Infektionskrankheiten von Tieren zu Menschen übertragen.

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