Langes Warten auf Psychotherapie mit Norden

Wer an Depressionen oder an einer Angststörung leidet, braucht
schnelle Hilfe - und bekommt sie oft nicht. Häufig dauert es Monate
bis zum Beginn einer Behandlung. Zwar ist die Zahl der Therapeuten
gestiegen, aber die der Diagnosen noch stärker.

Kiel (dpa/lno) - Menschen mit psychischen Störungen müssen oft viele
Wochen warten, bis sie eine umfassende Therapie beginnen können. «Wir
gehen davon aus, dass es im Durchschnitt 22 Wochen sind», sagte der
Präsident der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein, Clemens
Veltrup, der Deutschen Presse-Agentur. «Das ist natürlich sehr
problematisch, denn in der Wartezeit werden die Betroffenen immer
depressiver oder immer ängstlicher, viele ziehen sich immer mehr aus
ihrem Alltagsleben zurück.»

Das könne dazu führen, dass eine ambulante Behandlung nicht mehr
ausreicht und weitergehende Maßnahmen nötig werden, um die Störung zu

bewältigen. «Aber meine Kollegen haben nicht mehr Möglichkeiten,
zusätzlich Patienten zu behandeln.»

Veltrup zufolge gibt es im Land knapp 750 sogenannte Kassensitze für
Psychotherapie, wobei insgesamt 1050 psychologische Psychotherapeuten
im ambulanten Bereich tätig seien. Hinzu komme die stationäre
Behandlung. «Man kann davon ausgehen, dass jede ambulant tätige
Psychotherapeutin und jeder Psychotherapeut pro Quartal etwa 50
Patienten behandelt.»

Laut Veltrup leidet ein Viertel bis ein Drittel der Erwachsenen unter
einer psychischen Störung. Bei Kindern seien es etwa 20 Prozent.
Hochgerechnet auf die Einwohnerzahl wären des mehr als 700 000
Betroffene in Schleswig-Holstein, die aber nicht alle unbedingt
psychotherapeutisch behandelt werden müssten. Dies hänge von der
jeweiligen psychodiagnostischen Einschätzung ab, sagte Veltrup.

Besonders häufig bei Erwachsenen seien Störungen in Verbindung mit
Alkoholkonsum, depressive und Angsterkrankungen. Bei Kindern seien es
auch Angsterkrankungen und ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit- und
Hyperaktivitätsstörung) besonders bei Jungen sowie Essstörungen vor
allem bei Mädchen.

Die Zahl der Therapeuten habe in den vergangenen Jahren und
Jahrzehnten durchaus deutlich zugenommen, sagte Veltrup. So seien
2019 bundesweit 800 Kassensitze dazugekommen. Die psychologischen
Psychotherapeuten stellten mittlerweile nach den Hausärzten die
zweitstärkste Facharztgruppe. Aber es würden auch immer mehr
psychische Störungen diagnostiziert. Deshalb sollte die weitere
Bedarfsplanung überarbeitet werden - was auch im Koalitionsvertrag
auf Bundesebene vereinbart worden sei.

Die Kassenärztliche Vereinigung bemühe sich sehr, alle Kassensitze zu
besetzen, sagte Veltrup. Aktuell sei nur ein halber Sitz im Kreis
Segeberg offen. «Aber die Nachfrage nach Psychotherapie ist eben auch
enorm - die Kollegen sagen, dass sie diese nicht in einem für sie
angemessenen Zeitraum befriedigen können.»

Mit Corona sei in Kindern und Jugendlichen plötzlich eine
Hochrisikogruppe entstanden, sagte Veltrup. Gerade im ländlichen Raum
sei es schwierig, einen Psychotherapeuten in der Nähe zu finden.

Es gebe auch noch approbierte Psychotherapeuten ohne Kassensitz, die
über ein Kostenerstattungsverfahren Patienten behandeln können, sagte
Veltrup. «Aber damit tun sich die gesetzlichen Krankenkassen
natürlich sehr schwer, weil das zusätzliche Kosten verursacht.» Zudem

seien auch diese Kollegen wegen der großen Nachfrage überlaufen.

«Insgesamt sind wir mit dem bestehenden System nicht in der Lage, dem
Bedarf in angemessener Zeit zu entsprechen», resümierte Veltrup. «Das

ist in anderen Bereichen nicht anders, aber psychisch gestörte
Menschen sind halt in einer akuten Notlage.»

2011 habe die gesetzliche Krankenversicherung deutschlandweit 16 bis
17 Millionen Behandlungen abgerechnet; nun seien es 20 Millionen. «Es
wird also mehr Psychotherapie angeboten, aber es reicht weiter
nicht.»

Es gehe nicht nur um mehr Personal, sondern auch darum, wie man
Menschen helfen kann, sich weniger belastet zu fühlen, nicht so viel
Stress und Überforderung zu empfinden. «Wahrscheinlich kann man
primärpräventiv noch viel mehr tun als bisher, gerade auch im
beruflichen Umfeld, sagte Veltrup.

Eine Möglichkeit sei auch, gruppenpsychotherapeutische Angebote
deutlich auszuweiten. «Mehrere Menschen mit gleichartigen Problemen
zusammenzubringen ist eine Möglichkeit, insgesamt mehr Betroffenen zu
helfen.»

Nach Veltrups Beobachtung erkennen Hausärzte psychische Störungen
heute wohl auch eher als in der Vergangenheit. Zudem werde das Thema
nicht mehr so tabuisiert. «Betroffene berichten offener darüber, was
mit ihnen lost ist.» Insofern sei auch deswegen der Bedarf an
psychotherapeutischer Unterstützung gestiegen.

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