WHO: Vogelgrippe-Risiko für Menschen wächst Von Christiane Oelrich und Christopher Hirsch, dpa

Kein Zweifel: das sich ausbreitende Vogelgrippe-Virus H5N1 hat
Pandemiepotenzial für Menschen. Die WHO bereitet sich darauf vor,
aber jedes Land muss selbst etwas tun, um die Gefahr einzudämmen.

Genf/Greifswald (dpa) - Mit der Ausweitung der Vogelgrippe wächst die
Gefahr für eine Ausbreitung unter Menschen - davor warnt die
Weltgesundheitsorganisation (WHO). «Das ist kein Anlass zur Panik»,
sagte die Direktorin der WHO-Abteilung für die Vorbereitung auf
Infektionsgefahren, Sylvie Briand, am Mittwoch in Genf. «Aber wir
müssen prüfen, wie gut wir vorbereitet sind.»

Die Vogelgrippe grassiert derzeit in bislang nicht bekanntem Ausmaß:
Außer in Australien und der Antarktis gibt es auf allen Kontinenten
Nachweise. Zig Millionen Tiere starben bereits, insbesondere
Seevögel. Zudem ist das Virus bei rund 30 Säugetierarten entdeckt
worden. Es hat Nerze, Füchse, Waschbären, Marder, Bären und andere
Tiere infiziert und getötet. Auch bei einem Schweinswal in der Ostsee
war das Virus im vergangenen Sommer nachgewiesen worden, wie Timm
Harder vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) bei Greifswald sagt.

«Das Virus breitet sich nicht nur aus, es überspringt auch leichter
die Artenschranken», sagte Briand. «Das stellt ein höheres Risiko
auch für Menschen dar.» Je stärker ein Virus sich ausbreite, desto
höher sei auch die Gefahr, dass es sich verändere und für den
Menschen gefährlicher werden könne.

Der WHO wurden seit den ersten tödlichen H5N1-Fällen bei Menschen i
n
Hongkong 1997 insgesamt 873 Fälle gemeldet. 458 der Infizierten
starben, sagte der niederländische Virologe Ron Fouchier. Er warnte
aber davor, daraus abzuleiten, dass das Virus beim Menschen oft zum
Tod führt. Denn Ansteckungen ohne oder mit milden Symptome würden in
der Regel nicht gemeldet und daher bei der Berechnung nicht gezählt.

«Eine Pandemie steht vielleicht nicht direkt vor der Tür, aber es
wäre keine schlechte Idee, die Notfallpläne zu überprüfen», sagte
er.
Bei der derzeit kursierenden H5N1-Entwicklungslinie 2.3.4.4b ist nach
FLI-Angaben erst ein Todesfall bei Menschen erfasst: Im Oktober starb
eine 38-jährige Chinesin nach Kontakt zu infiziertem Hausgeflügel.

Vorarbeiten für einen Impfstoff für potenzielle Massenimpfungen
liefen zwar, sagte Richard Webby vom St. Jude Kinderkrankenhaus in
Memphis in den USA. Aber ohne die genaue Art zu kennen, die sich im
Menschen vermehren kann, sei es nur möglich, die ersten Bausteine für
Impfstoffe anzufertigen.

Das Ebola- und das Mpox-Virus sowie höchstwahrscheinlich auch das
Coronavirus Sars-CoV-2 sind alle von Tieren auf den Menschen
übergesprungen. Warum wächst die Gefahr solcher Zoonosen? «Das hat
mit dem menschlichen Verhalten zu tun», sagt Tierärztin May Hokan von
der Umweltstiftung WWF der Deutschen Presse-Agentur. Die Ausweitung
der Wohngebiete, des Straßennetzes, die Entwaldung - das schränke den
Lebensraum wilder Tiere immer mehr ein. Wichtig seien mehr
Schutzgebiete als Rückzugsraum für Wildtiere.

Abgesehen von der Gefahr für den Menschen ist die Wissenschaft auch
so über die Ausbreitung des Virus unter Wildvögeln besorgt: Das Drama
sei, dass das Virus viele Arten befalle. «Es löscht ganze Kolonien
aus, wir müssen mit schweren Folgen für die Biodiversität rechnen»,

sagte Wildtier-Expertin Ursula Höfle von der Universität Kastilien-La
Mancha in Spanien in einem früheren WHO-Seminar.

Die Gesundheit von Mensch, Tier und Umwelt müsse auf allen
Regierungsebenen viel stärker zusammengedacht werden, verlangt die
WHO. Sie treibt den Ansatz One Health (Eine Gesundheit) mit der
Vernetzung mit den UN-Organisationen für Agrar (FAO), Umwelt
(UNEP) und Tiergesundheit (WOAH) voran und hat Regierungen in aller
Welt aufgerufen, diesen Grundsatz in ihrer eigenen Politik
umzusetzen. Sie sei zuversichtlich, dass dieses Bewusstsein nach der
Covid-Pandemie auch in der deutschen Politik angekommen sei, sagte
Hokan. «Es wird sich zeigen, wie das umgesetzt wird», sagte sie.

Mareike Petersen vom Verein ProVieh fordert, die Tierhaltung müsse
dringend geändert werden, auf kleinere Gruppen. Das verringere die
Ausbreitung von Krankheiten und erlaube den Tieren arteigene
Verhaltensweisen auszuleben: freies Laufen, Flattern und ungestörtes
Ruhen. Die Bedeutung der Geflügelhaltung hält auch FLI-Experte Harder
für zentral. Dort gebe es die größten Schnittstellen mit dem Menschen

und das Risiko, dass das Virus direkt auf den Menschen überspringe.

«Wir dürfen nicht nachlassen in unseren Aktivitäten, dem Virus auf
der Spur zu bleiben und vor allen Dingen die Infektionen aus
Haltungen - klein oder groß - herauszuhalten», sagte er der dpa. Er
leitet das Nationale Referenzlabor für Aviäre Influenza am FLI. In
Deutschland sei das Infektionsgeschehen zurzeit geringer als bei
früheren Infektionswellen während der kalten Jahreszeit. Das könne
ein Hinweis auf eine Teilimmunität sein, die sich inzwischen bei
einigen Vögeln herausgebildet habe.

Jahrelang grassierte die Vogelgrippe hierzulande im Zusammenhang mit
dem Vogelzug nur saisonal. Zuletzt gab es ganzjährig Infektionen. Das
FLI registriere derzeit etwa 20 bis 40 Fälle bei Wildvögeln in
Deutschland pro Woche. «Erstmal deutet sich da kein Nachlassen an»,
sagte Harder.