Warum Querdenker darauf pochen, von Anfang an recht gehabt zu haben Von Sebastian Fischer, dpa

Querdenker wollen einen Strich unter die Corona-Pandemie ziehen und
behaupten, schon immer alles richtig vorhergesagt zu haben - etwa zur
Wirksamkeit von Impfung oder Masken. Das ist reines Wunschdenken.

Berlin (dpa) - Nachrichten über das Coronavirus stehen schon lange
nicht mehr täglich auf den Titelblättern der Zeitungen. Masken werden
nur von wenigen noch in der Öffentlichkeit getragen, die Zahl neuer
Impfungen scheint weitestgehend zu stagnieren. Nach mehr als drei
Jahren Pandemie ist bei vielen die Sehnsucht nach einem Schlussstrich
groß. Doch eine abschließende Aufarbeitung gab es bisher nicht.

In diese Bilanz-Leerstelle stoßen Querdenker und Impfgegner. Glaubt
man ihrer Argumentation, dann wollen sie es etwa in Sachen Masken
oder Impfungen schon immer richtig gewusst haben. Die am häufigsten
gestreute Erzählung: Mit den Corona-Impfungen sei allen ein
unberechenbares Medikament aufgezwungen worden. Sie selbst hätten
hingegen schon immer gesagt, die Mittel - oft von ihnen als
«Giftspritze» oder «Genspritze» bezeichnet - seien gefährlich bis

tödlich. Sie behaupten: Was einst als Verschwörungsmythos
gebrandmarkt worden sei, werde mittlerweile als Fakt anerkannt.

«Obwohl damals noch gar keine Daten vorlagen, hat sich dieses Milieu
von Anfang an darauf eingeschossen, dass die Impfung des Teufels
sei», sagt die Psychologin Lea Frühwirth vom Center für Monitoring,
Analyse und Strategie (Cemas). Das Institut untersucht
Radikalisierungstendenzen und Verschwörungserzählungen im Netz.

Dieses Bild, auf das sich die Anhänger noch jetzt beziehen, sei aber
nicht aufgrund von Fachkenntnis und der Prüfung von Fakten
entstanden, so Frühwirth. Sondern rein aus einem Bauchgefühl. «Wenn
nun zufällig ein Ergebnis herauskommt, von dem sie zwei Jahre zuvor
ausgegangen sind, dann ist das der Fall eines blinden Huhns, das auch
mal ein Korn findet», sagt die Cemas-Wissenschaftlerin.

Anlässlich des International Fact-Checking Days am Sonntag (2. April)
hat die Deutsche Presse-Agentur (dpa) drei weit verbreitete Thesen
aus dem Querdenken- und Impfgegner-Umfeld unter die Lupe genommen:

1. Behauptung: Überall habe es geheißen, die Corona-Impfung habe
keine Nebenwirkungen. Das Gegenteil zeige sich nun an vielen
Impfschäden.

Bewertung: Ungenau.

Fakten: Ja, es gab vereinzelt Stimmen wie die des damaligen
SPD-Bundestagsabgeordneten und späteren Bundesgesundheitsministers
Karl Lauterbach, die von «nebenwirkungsfreien Impfungen» sprachen.
Doch Forscherinnen und Wissenschaftler haben grundsätzlich von Anfang
an deutlich gemacht, dass es keine Mittel ohne Nebenwirkungen gibt.
Auch liegt deren Wirksamkeit nicht bei 100 Prozent. Das ist zum
Beispiel bei Grippe-Impfungen so - und eben auch bei Covid-Impfungen.

Der damalige Präsident des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar
Wieler, etwa sagte mehrere Wochen, bevor überhaupt der erste Piks
gesetzt wurde: Nicht nur die Schutzwirkung der Impfung sei zu
beobachten, sondern auch mögliche Nebenwirkungen.

Diese werden nicht etwa unter den Teppich gekehrt, sondern von Anfang
an vom zuständigen Paul-Ehrlich-Institut (PEI) registriert und
ausgewertet. Im jüngsten PEI-Bericht für den Zeitraum bis Ende
Oktober 2022 ist von knapp 51 000 Verdachtsfällen auf schwere
Nebenwirkungen nach einer der rund 188 Millionen Impfungen die Rede.
Wichtig dabei ist aber: Verdachtsfälle sind keine nachgewiesenen
Nebenwirkungen - und schon gar keine Impfschäden. Impfreaktionen
stünden «oftmals im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen

Zusammenhang mit einer Impfung», so das PEI.

Nach Recherchen der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» sind bis Mitte
März in 13 der 16 Bundesländer 6600 Anträge auf Versorgungsleistungen

nach einem Corona-Impfschaden eingegangen. Davon anerkannt wurden
demnach 284. Zu diesem Zeitpunkt hatten in diesen 13 Ländern knapp 62
Millionen Menschen mindestens eine Covid-Impfung erhalten.

Berichte über schwerwiegende gesundheitliche Folgen nach einer
Impfung sind durchaus wichtig, um die Aufmerksamkeit für das Thema zu
erhöhen. Dabei darf aber nicht übersehen werden, wie selten solche
Einzelfälle tatsächlich sind und wie sehr eine Impfung vor möglichen

schweren Schäden nach einer Covid-Erkrankung schützt. «Unter dem
Strich bleibt das sehr gute Nutzen-Risiko-Verhältnis zugunsten der
Impfung bestehen», erklärte etwa der Direktor der Klinik für
Infektiologie der Berliner Charité, Leif Erik Sander, jüngst auf
Twitter.

2. Behauptung: Eine Studie des renommierten Forschungsnetzwerks
Cochrane beweist, dass Masken nicht gegen Corona schützen.

Bewertung: Falsch.

Fakten: Dies sei eine falsche und irreführende Interpretation der
Überblicksstudie, schreibt Cochrane sogar selbst Mitte März. Richtig
ist, dass die Studienmacher diverse wissenschaftliche Analysen zur
Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen betrachtet haben: Neben Quarantäne
und Händewaschen war das auch das allgemeine Maskentragen in der
Bevölkerung - aber eben nicht das individuelle Maskentragen, wenn man
etwa einer covid-infizierten Person gegenübersteht.

Für dieses Szenario kommt schon Ende 2021 eine Studie des
Max-Planck-Instituts für Dynamik und Selbstorganisation zu dem
Schluss, dass Masken das Corona-Risiko erheblich senken können:
Tragen eine infizierte und eine nicht-infizierte Person gut sitzende
FFP2-Masken, beträgt das maximale Ansteckungsrisiko nach 20 Minuten
demnach selbst auf kürzeste Distanz in einem Raum kaum mehr als ein
Promille.

3. Behauptung: Die Impfung hat noch nie etwas genützt - auch nicht
gegen schwere Covid-Verläufe.

Bewertung: Falsch.

Fakten: Es stimmt, dass sich auch Geimpfte mit dem Coronavirus
infizieren, im Krankenhaus landen oder gar an Covid-19 sterben
können. In der Zeit nach der letzten Impfung lässt nach
wissenschaftlichen Erkenntnissen die Schutzwirkung nach.

Das RKI schreibt Anfang März: Mehrere Monate nach einer Impfung könne
eine Infektion oder milde Verlaufsform von Covid-19 «inzwischen nur
noch in geringem Maße» verhindert werden. Doch nach Auswertung der
Corona-Fälle unter Einbeziehung des Impfstatus um den Jahreswechsel
2022/2023 sei festzustellen, «dass der kleine Anteil der ungeimpften
Bevölkerung einen verhältnismäßig großen Teil der Covid-19-Fäll
e mit
schwerem Verlauf stellt». Wochenlang machten in der Vergangenheit
Ungeimpfte die Mehrheit der Covid-Fälle auf Intensivstationen aus.

Konkret schreibt das RKI in einem Papier von Mitte Januar: Die
Wirksamkeit der Grundimmunisierung (zwei Impfungen) gegen einen
Krankenhausaufenthalt wegen Covid-19 liege im Schnitt bei gut 55
Prozent, nach einer dritten Dosis bei mehr als 81 Prozent und nach
insgesamt vier Impfungen bei knapp 96 Prozent. Das gelte auch für die
aktuell kursierende Omikron-Variante.

Warum klammern sich Querdenker an ihre Erzählung?

Seinerzeit musste die Politik immer wieder Entscheidungen treffen,
als wissenschaftliche Daten und Erfahrungen zum Coronavirus noch
knapp waren - der Zeitdruck aber extrem hoch war. Im Rückblick ist
immer zu fragen: Gab es damals schon die Informationen, die heute
vorliegen? Würden sie dazu führen, dass jetzt anders entschieden
würde? Vom April 2020 in Erinnerung geblieben ist etwa die Aussage
des früheren Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU), dass man einander
in ein paar Monaten wahrscheinlich viel werde verzeihen müssen.

Die Querdenken-Szene hat hingegen früh darauf gepocht, exklusiver
Träger der Wahrheit zu sein. Diejenigen, die wissenschaftliche
Hinweise als elementar betrachteten, waren für sie «Schlafschafe». Im

Querdenken-Milieu hat sich eine Gruppenideologie mit sozialen
Bindungen aufgebaut. In dieser Blase bekamen Anhänger ihre
Bestätigung. Alte Freundschaften gingen womöglich in die Brüche.

«Die Fallhöhe, nun doch zugeben zu müssen, sich geirrt zu haben, ist

enorm hoch», sagt Cemas-Expertin Frühwirth im dpa-Gespräch. Auch habe

die Gesellschaft diese Menschen als «Covidioten» verlacht, was ein
Umkehren zusätzlich erschwere. Wie solle man da gesichtswahrend
herauskommen? «Also halten sie an ihrem Bild fest und schreiben
notfalls alles um, damit sie am Ende doch irgendwie recht hatten.»

Das Festhalten an der Desinformation über Impfungen hält das
Protestpotenzial in der Szene künstlich aufrecht. «Man darf nicht
unterschätzen, wie wirkmächtig allein die Wiederholung dieser
Narrative ist und wie emotional anschlussfähig», sagt Frühwirth.

Dabei werden auch Misstrauen und Aggression geschürt - gegen Politik,
Medien und Wissenschaft. Wut paart sich dann mit dem Gefühl von
Hilflosigkeit gegenüber einer angeblichen Verschwörung. Mit der
Erzählung, die Regierung wolle einen zu Tode spritzen, schaffe man
eine Legitimation dafür, sich zu wehren. Darin liegt Frühwirth
zufolge Gewaltpotenzial: «Ich würde das auf jeden Fall als gefährli
ch
beurteilen, insbesondere auch, weil wir es lange einfach nicht ernst
genommen haben.»