Sorge vor einem Überspringen der Vogelgrippe auf den Menschen

Die weltweite Vogelgrippe-Welle hat auch unter Säugetieren viele
Opfer gefordert. Die WHO will nun über das Risiko für den Menschen
informieren. Nicht nur der Umweg über andere Säugetiere birgt Gefahr.

Greifswald/Genf (dpa) - Angesichts der Sorge vor einem möglichen
Überspringen des weltweit grassierenden Vogelgrippe-Virus auf den
Menschen hat ein Experte die Bedeutung von Geflügelhaltungen betont.
Zwar verdiene auch die mögliche Anpassung an Säugetiere wie etwa
Seelöwen sehr große Aufmerksamkeit, sagte Timm Harder vom
Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) bei Greifswald der Deutschen
Presse-Agentur. Geflügelhaltungen böten allerdings die größten
Schnittstellen mit dem Menschen. Hier gebe es immer ein Risiko, dass
das Virus direkt auf den Menschen überspringe.

Am Mittwoch wollte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in einer
Online-Veranstaltung über die Entwicklung des H5N1-Virus und das
Risiko für den Menschen informieren.

«Wir dürfen nicht nachlassen in unseren Aktivitäten, dem Virus auf
der Spur zu bleiben und vor allen Dingen die Infektionen aus
Haltungen - klein oder groß - herauszuhalten», sagte Harder, der das
Nationale Referenzlabor für Aviäre Influenza am FLI leitet. Je größ
er
die Verbreitung des Virus sei, desto wahrscheinlicher sei ein
tatsächliches Überspringen. Deshalb müsse es um die Reduzierung der
Infektionen gehen. «Das ist das Ziel der Tierseuchenbekämpfung.»

Bei Wildvögeln, die sehr mobil und unterschiedlich seien, sei eine
Prävention ungleich schwieriger. «Es ist schon eine besondere
Situation, die wir eigentlich weltweit haben, und die so noch nicht
aufgetreten ist.» Die Vogelgrippe grassiert derzeit in bislang nicht
bekanntem Ausmaß: Außer in Australien und der Antarktis gibt es auf
allen Kontinenten Nachweise. Zig Millionen Tiere starben bereits,
insbesondere Seevögel.

Bekannt ist, dass die kursierende H5N1-Entwicklungslinie 2.3.4.4b
auch Säugetiere wie Nerze, Füchse, Waschbären, Marder und Bären
infiziert und tötet. Sorge bereitet Experten vor allem das
massenhafte Sterben von Nerzen einer spanischen Farm und von Robben
in verschiedenen Teilen der Welt.

Für beide Phänomene gebe es Hinweise oder zumindest die Vermutung,
dass sich das Virus direkt zwischen den Säugetieren verbreitet hat,
sagte Harder. In diesem Fall wäre von einem höheren Risiko auch für
den Menschen auszugehen. Bisher ist weltweit erst ein auf 2.3.4.4b
zurückgehender Todesfall erfasst: Die im Oktober gestorbene
38-jährige Chinesin hatte Kontakt zu infiziertem Hausgeflügel.

Die Auswirkung des Virus auf die Artenvielfalt ist laut Harder noch
nicht abzuschätzen. Im Herbst war erstmals auch Südamerika betroffen,
wo etwa viele Pelikane starben. Hier seien inzwischen auch Pinguine
infiziert worden. Gefahr bestehe auch für die antarktischen
Pinguin-Kolonien. «Es können sogar Wale betroffen sein», sagte
Harder. Das zeige der Nachweis bei einem Schweinswal in der Ostsee im
vergangenen Sommer.

Das derzeitige Infektionsgeschehen in Deutschland beschrieb Harder
als stetig, aber geringer im Vergleich zu früheren Infektionswellen
während der kalten Jahreszeit. Das könne ein Hinweis auf eine
Teilimmunität sein, die sich inzwischen bei einigen Vögeln
herausgebildet habe.

Jahrelang grassierte die Vogelgrippe hierzulande im Zusammenhang mit
dem Vogelzug nur saisonal. Zuletzt gab es ganzjährig Infektionen. Das
FLI registriere derzeit etwa 20 bis 40 Fälle bei Wildvögeln in
Deutschland pro Woche. «Erstmal deutet sich da kein Nachlassen an»,
sagte Harder.