IOC macht Weg frei für Russlands Rückkehr in den Weltsport Christian Hollmann und Andreas Schirmer, dpa

Das Internationale Olympische Komitee hat die Wiederzulassung
russischer und belarussischer Sportler als neutrale Athleten
empfohlen. Einen Beschluss zur Olympia-Teilnahme vertagt das IOC.

Lausanne (dpa) - Thomas Bach hielt sich eng an sein Manuskript, als
er Athleten aus Russland und Belarus den Weg zurück auf die
internationale Sportbühne bahnte. Nach dem Willen seines
Internationalen Olympischen Komitees sollen die seit Beginn des
Kriegs in der Ukraine ausgeschlossenen Sportler beider Länder als
neutrale Athleten wieder an Wettbewerben in aller Welt teilnehmen
dürfen. Athleten mit Verbindung zu Militär und Sicherheitsorganen
sowie Mannschaften sollen dem Beschluss der IOC-Spitze vom Dienstag
zufolge aber weiter ausgesperrt bleiben.

Eine Entscheidung über eine Teilnahme-Erlaubnis für Russen und
Belarussen für die Olympischen Spiele 2024 in Paris werde erst später
getroffen, betonte IOC-Präsident Bach.  «Das ist jetzt nicht der
passende Zeitpunkt», sagte der 69-Jährige, nachdem er knapp 20
Minuten lang die IOC-Empfehlungen an die Weltverbände und
Sportveranstalter verlesen hatte. 

Nach dem Willen des olympischen Dachverbands dürfen weiterhin keine
internationalen Wettbewerbe in Russland und Belarus stattfinden.
Regierungsvertreter aus beiden Ländern dürfen nicht zu Wettkämpfen
eingeladen werden. 

Athletinnen und Athleten müssen auf Flagge, Hymne und Symbole ihrer
Heimatnationen verzichten und sich an die Anti-Doping-Bestimmungen
halten. Sie dürfen nur an Wettbewerben teilnehmen, wenn sie den
Angriffskrieg Russlands in der Ukraine nicht aktiv unterstützen. «Wir
stehen zu unseren olympischen Werten», sagte Bach.

Widerstand gegen den Kurs des IOC gibt es vor allem aus der Ukraine
und einer Reihe von westlichen Ländern. Die Ukraine verweist darauf,
dass viele russische Spitzensportler auch Angehörige des russischen
Militärs sind. In einer Schalte von IOC-Chef Bach mit Nationalen
Olympischen Komitees am Vorabend der IOC-Beratungen erinnerte der
ukrainische Sportminister Wadym Gutzajt daran, dass bereits 262
ukrainische Sportler und Trainer im Krieg mit Russland getötet worden
seien.

Die Ukraine droht auch mit dem Boykott internationaler Wettbewerbe
bis hin zu Olympia, um Aufeinandertreffen mit Athleten aus Russland
und Belarus zu vermeiden. Der Deutsche Olympische Sportbund stellte
sich hinter die Forderungen nach einer Fortsetzung des Banns gegen
Russland und Belarus. «Aber wir akzeptieren, dass wir mit dieser
Haltung einer Minderheit im internationalen Sport angehören. Es ist
nun umso wichtiger, dass die strikten Voraussetzungen glaubhaft
umgesetzt und bei Verstößen Sanktionen verhängt werden», teilte der

DOSB am Dienstag mit.

Einen Olympia-Boykott schließt der Dachverband aber «aus
grundsätzlichen Erwägungen aus», wie Verbandschef Thomas Weikert den

Zeitungen der Funke Mediengruppe sagte.

«Die Entscheidung des IOC ist ein Schlag ins Gesicht der ukrainischen
Sportlerinnen und Sportler», sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser
(SPD).  Es gebe keinen Grund für eine Rückkehr Russlands in den
Weltsport. «Wer den Kriegstreiber Russland internationale Wettbewerbe
für seine Propaganda nutzen lässt, der schadet der olympischen Idee
von Frieden und Völkerverständigung», ergänzte Faeser. 

Auch die Vereinigung Athleten Deutschland reagierte in einer
Stellungnahme «enttäuscht von der erwartbaren Empfehlung». Eine
Wiederzulassung sei nicht geeignet, die Instrumentalisierung des
Sports und der Athleten für Putins Kriegspropaganda zu unterbinden.

Bereits im Februar hatten die Sportminister aus 35 Ländern in einer
gemeinsamen Erklärung den weiteren Ausschluss russischer und
belarussischer Sportler gefordert. Neben Deutschland hatten auch
andere Top-Sportnationen wie Großbritannien, die USA, Australien,
Japan und Frankreich diese Haltung unterstützt. 

Das IOC hatte diese Rufe als unzulässige Einmischung der Politik in
die Belange des Sports zuletzt immer wieder scharf zurückgewiesen.
«Es ist nicht Sache der Regierungen zu entscheiden, welche Athleten
an welchen internationalen Wettkämpfen teilnehmen dürfen», hieß es
in
einem IOC-Statement. «Wenn die Politik entscheidet, wer an den
Olympischen Spielen teilnehmen darf oder nicht, wäre das das Ende des
Sports auf der Welt», bekräftigte Bach.

Aus anderen Teilen der Welt erhält das IOC Rückendeckung für eine
Aufhebung des seit Beginn des Krieges geltenden Banns. Vor allem in
Afrika, Asien, Südamerika und Ozeanien findet die Rückkehr von Russen
und Belarussen viele Befürworter. «Wir können die Tür für einen
Dialog öffnen und friedensstiftend wirken», sagte IOC-Boss Bach.

Mit der Vorgabe einer einheitlichen Linie will das IOC laut Bach ein
«totales Tohuwabohu» im Weltsport vermeiden. Doch das scheint in der
Praxis ziemlich schwierig. Der Leichtathletik-Weltverband verlängerte
gerade den Ausschluss von Russen und Belarussen wegen des Krieges. Im
Boxen dagegen durften Athletinnen und Athleten aus den beiden Ländern
zuletzt bei der Amateur-WM sogar unter ihrer Landesflagge starten und
im Falle eines Sieges auch die Nationalhymne hören.

Eine Zerreißprobe erleben gerade auch die Fechter. Der Weltverband
hat mit großer Mehrheit die Zulassung von Russen und Belarussen für
die Olympia-Qualifikation beschlossen. Mehr als 300 aktive und
ehemalige Fechter sprachen sich in einem am Dienstag veröffentlichten
Brief gegen diesen Schritt aus. Mehrere Länder, darunter auch
Deutschland, traten als Gastgeber von internationalen Veranstaltungen
zurück.

Das IOC hatte auch damit argumentiert, dass ein Ausschluss von Russen
und Belarussen aufgrund ihrer Nationalität eine Diskriminierung
darstellen würde. Dabei berief sich das IOC auch auf die Feststellung
von zwei UN-Expertinnen. 

Ein vom DOSB in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten zu einer
menschenrechtlichen Abwägung widersprach indes der IOC-Linie. Demnach
wäre ein Ausschluss russischer Sportler trotz der Ungleichbehandlung
aufgrund von Nationalität «nicht als Verstoß gegen internationale
Diskriminierungsverbote zu klassifizieren und somit zulässig».