Haftstrafe für Pathologen wegen Fehldiagnosen - Ungewissheit bleibt

Hat ein Pathologe fahrlässig oder vorsätzlich gehandelt, als er bei
Proben fälschlicherweise eine Krebserkrankung ausgeschlossen hatte?
Diese Frage stand in einem Prozess vor dem Landgericht Saarbrücken im
Mittelpunkt.

Saarbrücken (dpa/lrs) - Wegen falscher Diagnosen mit fatalen Folgen
ist ein Pathologe vom Landgericht Saarbrücken zu einer Haftstrafe von
sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Dabei handelt es
sich um eine Gesamtfreiheitsstrafe aus insgesamt drei Prozessen. Das
Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Im aktuellen Fall sah das Gericht am Dienstag den Tatvorwurf des
Totschlags und in einem anderen Fall der fahrlässigen
Körperverletzung als erwiesen an. Der heute 64-jährige Deutsche soll
2019 bei Untersuchungen von Proben in zwei Fällen einen Hautkrebs
ausgeschlossen haben. Ein Fehler mit möglicherweise massiven
Konsequenzen für die Betroffenen - denn Ärzte und Patienten hatten
sich auf das Ergebnis verlassen und daher keine weiteren
medizinischen Behandlungen eingeleitet.

Einer der beiden Patienten (Jahrgang 1952) starb ein Jahr später. Bei
dem anderen Mann (45) wurde die bösartige Erkrankung erst bei einer
erneuten Hautveränderung 2020 festgestellt. Die Prognose dieses
Mannes, der in dem Verfahren als Nebenkläger auftrat, sei laut
Gutachter nun deutlich schlechter.

Laut Staatsanwaltschaft und Gericht war dem Pathologen bewusst
gewesen, dass er aufgrund einer Suchterkrankung und Depression nicht
in der Lage gewesen war, den Facharztstandard einzuhalten. In seinem
Institut in St. Ingbert wurden bis zu 50 000 Proben im Jahr
untersucht. Im August 2018 stellte er selbst einen Antrag auf
Berufsunfähigkeit. «Spätestens ab diesem Zeitpunkt kommt ein Vorsatz

in Betracht», sagte der Vorsitzende Richter Andreas Lauer am
Dienstag. Gleichwohl dürfe man nicht von einem Automatismus ausgehen.

Da im Fall des Nebenklägers die Diagnose nicht «glasklar» gewesen sei

und laut Gutachter weitere Untersuchungen hätten folgen müssen, habe
die Kammer hier eine Fahrlässigkeit zugebilligt. Im Fall des
verstorbenen Patienten jedoch habe eine Fehldiagnose vorgelegen. Dies
erschien der Kammer als «grober Verstoß gegen den ärztlichen
Standard» und sie ging von Totschlag aus. Zugute halten müsse man dem
Angeklagten, dass er zumindest die objektiven Sachverhalte eingeräumt
und die Fehldiagnosen gestanden habe.

Die Staatsanwaltschaft hatte acht Jahre Haft wegen versuchten und
vollendeten Totschlags gefordert. Die Verteidigung plädierte auf
fahrlässige Körperverletzung und Körperverletzung mit Todesfolge und

eine Gesamtstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Weil ihr
Mandant bereits seit Februar 2020 in Haft und «gesundheitlich sehr
angeschlagen» sei, hatte sie zudem die Aufhebung des Haftbefehls
gefordert. Dieser wird laut Urteil aber aufrechterhalten. Die
Nebenklage sah zum Zeitpunkt der Tat keine Fahrlässigkeit mehr
vorliegen, sondern zumindest einen bedingten Vorsatz.

Bereits im Juli 2022 war der Angeklagte aufgrund von falschen
Diagnosen mit gravierenden Folgen für die Betroffenen wegen
fahrlässiger Tötung, schwerer und fahrlässiger Körperverletzung
verurteilt worden. Unter Einbeziehung eines vorangegangenen Urteils
aus dem Jahr 2020 wegen Betrugs und Bestechung im Gesundheitswesen
hatte die Gesamtfreiheitsstrafe zuletzt bei fünf Jahren und drei
Monaten gelegen.

Der Vorsitzende Richter betonte am Dienstag, dass die Kammer die
lange Verfahrensdauer im Blick habe - und zwar nicht nur für den
Angeklagten, sondern vor allem auch für den Nebenkläger. Für ihn
bleibe die Unsicherheit, dass sich Metastasen bilden könnten und es
nur deswegen soweit kommen konnte, weil der Arzt fahrlässig gehandelt
habe und die richtige Diagnose nicht rechtzeitig genug gestellt
worden sei. «Das bleibt ungewiss, damit muss der Betroffene leben.»