Bandwurmsatz und «Denglisch»: Reden im Bundestag teils unverständlich Von Jan Christoph Freybott, dpa

Eine Studie stellt den Abgeordneten in Sachen Verständlichkeit ein
durchwachsenes Zeugnis aus. Statt klarer Sprache wimmelt es in
Bundestagsreden vor Fremdwörtern und Fachchinesisch.

Berlin (dpa) - Als der zwanzigste Bundestag im Oktober 2021 erstmals
zusammentrat, gab es von der Chefin eine klare Ansage. «Politik ist
nur dann gut, wenn sie auch verständlich ist», sagte Präsidentin
Bärbel Bas (SPD) in ihrer Antrittsrede. Nur wer verständlich spreche,
könne auch jene noch erreichen, die sich von «der Politik» nicht mehr

angesprochen fühlten. «Wir können über unsere Sprache zeigen, dass

wir das Wohl aller im Blick haben», sagte Bas. Für ihre Worte erntete
sie Applaus aus allen Reihen.

Doch an der Verständlichkeit im Bundestag hapert es, wie eine
Untersuchung der Universität Hohenheim zeigt. Zwar sind die
Forscherinnen und Forscher im Großen und Ganzen zufrieden mit den
Reden. So sind sie etwa verständlicher als die der Dax-Vorstände auf
ihren Hauptversammlungen, wie Co-Autor Frank Brettschneider sagte.
«Dennoch ist bei einigen noch Luft nach oben.»

Brettschneider und sein Team nahmen sich für ihre Untersuchung 96
Reden aus der Haushaltsdebatte vom vergangenen September vor und
prüften sie auf Verständlichkeit. «Fremdwörter und Fachwörter,
Wortkomposita und Nominalisierungen, Anglizismen und «Denglisch»,
lange Sätze - all das erschwert die Verständlichkeit», sagte
Co-Autorin Claudia Thoms. Aus derlei Kriterien entwickelten
Brettschneider und sein Team den sogenannten Verständlichkeitsindex,
der die Ergebnisse vergleichbar machen soll.

Ihre Ergebnisse zeigen: Einige Politikerinnen und Politiker liegen
mit ihren Reden schon nah am Optimum, aber die Streuung ist groß. Die
nach den Index-Kriterien verständlichste Rede hielt die
Linken-Politikerin Gesine Lötzsch mit 19,5 von 20 möglichen Punkten.
Aus dem Kabinett schnitten die damalige Verteidigungsministerin
Christine Lambrecht (SPD), Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinker
(FDP) und Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) am besten ab. Die
wenigsten Punkte erreichte mit 7,9 die Rede der CDU-Politikerin
Kerstin Vieregge. Zum Vergleich: Doktorarbeiten der
Politikwissenschaft kommen im Schnitt auf 4,3 Zähler.

Es gibt einen Trend, den das Team beklagt: immer mehr «Denglisch»,
also das Mischen von deutscher und englischer Sprache. Von
«Gamechanger-Instrumenten» ist da die Rede oder vom
«out-of-the-box-denken». Das Englische sickert immer tiefer ins
Deutsche ein, wie auch die Neuaufnahmen von Wörtern im Duden zeigen.

Derlei Anglizismen könnten in der politischen Debatte dazu dienen,
sich und seiner Partei einen modernen Anstrich zu verleihen, sagte
Marcus Maurer, Professor für politische Kommunikation an der
Universität Mainz. Es gebe sicherlich Begriffe, die Politikerinnen
und Politiker vermeiden sollten. Allerdings sei die Verständlichkeit
bis ins letzte Wort nicht das oberste Ziel der Abgeordneten.

«Die Reden richten sich an die Öffentlichkeit, allerdings stehen
dazwischen die Medien», sagte Maurer. In deren Berichterstattung
müssten sie mit ihren Reden vordringen. «Und die Abgeordneten haben
Erfahrung damit, was man sagen muss, um am Abend in den Tagesthemen
vorzukommen», sagte Maurer. Zu emotionalisieren oder den politischen
Gegner zu attackieren, das gehört ihm zufolge zu den bewährten
Methoden. «Studien zeigen, dass das Klima rauer wird im Parlament.»

Zu den häufigsten Verstößen gegen die Verständlichkeitsregeln zäh
lt
Brettschneiders Team auch «Wortungetüme»: lange, zusammengesetzte
Wörter, die gerne für Gesetze bemüht werden. Als Beispiel werden das

«Bundeswehrbeschaffungsbeschleunigungsgesetz» oder das
«SprinD-Freiheitsgesetz» genannt.

Wie verständlich die Debatten im Bundestag sind, hängt Maurer zufolge
auch von ihrer Art ab. Über Fachdebatten werde kaum berichtet,
weshalb sich Abgeordnete weniger um ihre Verständlichkeit bemühen
müssten. «Bei der Generaldebatte ist die Verständlichkeit vermutlich

hoch, allerdings geht es da weniger um die Sache als um den
Schlagabtausch», sagte Maurer.

Dieses Entweder-oder ist nicht, was sich Bärbel Bas in ihrer
Antrittsrede vorgestellt hatte. Im Gegenteil forderte sie, auch die
schwierigen juristischen Fragen so zu übersetzen, dass jeder und jede
folgen kann. «Wir brauchen dazu Worte, bei denen Zuhören Freude
macht.»