Der Aprilscherz in der Krise Von Lukas Fortkord, dpa

Am 1. April legt man andere gerne mit einer Flunkerei herein. Wer
regelmäßig die Unwahrheit sagt, verspielt jedoch Vertrauen. Mit
bestimmten Unwahrheiten kann man Mitmenschen aber etwas Gutes tun.

Berlin (dpa) - Flunkern, foppen, scherzen oder veräppeln: Am 1. April
wird gern aufs Korn genommen. Doch sind Lügen eigentlich gleich
Lügen? Und worin unterscheiden sie sich?

Ursprung

Schon bei der Tradition des Aprilscherzes scheiden sich die Geister.
Eine klare Herkunftsgeschichte gibt es nicht. Allerdings ist eine
Annahme laut Kulturwissenschaftler Gunther Hirschfelder von der
Universität Regensburg weit verbreitet: Eine Kalenderreform von Karl
IX. in Frankreich soll der Auslöser für den alljährlichen Lügentag

gewesen sein. Der Monarch verschob 1564 den Jahreswechsel vom 1.
April auf den 1. Januar. Alle, die aus Unwissenheit oder Tradition
weiter am 1. April Neujahr feierten, wurden als Narren verspottet.

Theorie des Geistes

Ab wann beginnen wir eigentlich zu lügen? Dafür braucht es bestimmte
geistige Voraussetzungen, erklärt Philipp Gerlach, Professor für
Allgemeine und Sozialpsychologie an der Hochschule Fresenius in
Hamburg. «Wenn ich lüge, dann muss ich nicht nur die Absicht haben,
ich muss auch wissen, was ich weiß. Und ich muss wissen, was die
andere Person weiß.» «Theory of Mind» (Theorie des Geistes) nennt
sich das. Sie umschreibt die Fähigkeit, sich in jemand anderen
hineinversetzen zu können und Dinge aus dem Blickwinkel des anderen
zu sehen. Die meisten Kinder entwickeln diese Eigenschaft laut
Gerlach bereits vor Grundschulbeginn.

Schwarze und weiße Lügen

Steigt man tiefer in die Materie ein, tun sich Unterschiede beim
Lügen auf. Der wichtigste liegt schon in der Intention: «Es gibt
nämlich verschiedene Arten von Lügen. Also man unterscheidet zum
Beispiel im Englischen insbesondere zwischen «white» und «black
lies», den weißen und schwarzen Lügen», sagt Psychologieprofessor
Gerlach. Die schwarzen seien bösartige Lügen - solche, mit denen man
sich selbst auf Kosten einer anderen Person bereichere.

Unter weißen Lügen werden gemeinhin sozialverträgliche Unwahrheiten
verstanden. Gerlach: «Angenommen meine Frau hatte den schlechtesten
Tag des Jahres und war noch beim Friseur. Dieser Moment ist dann
nicht die beste Gelegenheit, um zu sagen, dass mir der Haarschnitt
nicht gefällt.» Dann lüge man nicht, um zu schaden oder um sich zu
bereichern, sondern um der Person zu helfen.

Aprilscherz oder Fake News?

Vor allem im Internet kursieren Unwahrheiten in großer Menge. Der
Psychologe Thilo Hartmann sieht im 1. April einen kulturellen Rahmen,
der ausnahmsweise bewusstes Lügen rechtfertigt: «Wenn das nicht jeden
Tag stattfindet und wir uns darauf einigen, dass es an diesem Tag
okay ist, jemanden vorzuführen oder aufs Korn zu nehmen, dann ist das
auch durchaus okay und für die meisten ja auch lustig.»

Grundsätzlich sei lügen aber sehr kritisch zu sehen, ordnet
Psychologe Gerlach ein. Wer lüge, spiegele seinem Gegenüber eine
falsche Vertraulichkeit vor, oftmals um sich selbst besserzustellen.
«Und wer häufig lügt, dem wird nicht mehr geglaubt. Also mit anderen

Worten: Man setzt seine Reputation aufs Spiel, um kurzfristig etwas
Lukratives zu erreichen», sagt Gerlach.

Der Aprilscherz heute

Oft sind Aprilscherze politisch unkorrekt, derb und gehen auf Kosten
einzelner. Doch hat der Scherz in den vergangenen Jahrhunderten auch
Hierarchien durchbrochen, sagt Kulturwissenschaftler Hirschfelder.
«Vor 100 Jahren war das Hausmädchen noch Opfer des Aprilscherzes.
Gegenüber ihrem Hausherrn durfte sie allerdings noch lange keinen
machen.» Heute sehe das anders aus.

Die moderne Gesellschaft habe den Humor quasi ausgelagert, sagt
Hirschfelder. «Wir haben die Produktion von Witz und Scherz an eine
professionelle Reflexionselite delegiert, und die heißt dann
meinetwegen Mario Barth oder so.» Comedians seien heute dafür
zuständig, Witze zu machen. «Das heißt, wir sind von einer
Gesellschaft, die selber witzig ist, zu einer Gesellschaft geworden,
die sich Witze einkauft.» Kaum jemand traue sich deshalb noch, selbst
Witze zu machen.

Auch deshalb stecke der Aprilscherz in der Krise. «Ich habe den
Eindruck, dass wir an einem der üblichen Wendepunkte in der Kultur
sind, wo wir eine ganze Reihe von Kulturmustern verlieren und neue
bekommen», sagt Hirschfelder. Das gelte auch für Feiertage wie etwa
Pfingsten oder den von manchem gefürchteten Freitag, den 13.

Bis ins 21. Jahrhundert hinein hatte der Aprilscherz Konjunktur, auch
in den Medien. In Zeiten digitaler Meetings und sozialer Medien sei
er aber nur noch eingeschränkt zeitgemäß, betont Hirschfelder. «Der

Aprilscherz wird sich entweder verändern oder verschwinden. Aber wie
alles andere in der Kultur kann er nicht so bleiben, wie er ist.»