Bericht: Bevölkerungswachstum könnte schon 2040 gestoppt werden

UN-Prognosen zufolge wird die Weltbevölkerung erst ab etwa 2080 nicht
mehr wachsen. Experten der internationalen Initiative Earth4All
halten eine viel frühere Trendwende für möglich - mehr Kampf gegen
Armut vorausgesetzt.

Berlin (dpa) - Nach einer neuen Prognose könnte die Weltbevölkerung
schon um 2040 einen Höchststand von 8,5 Milliarden Menschen erreichen
und bis zum Ende des Jahrhunderts auf etwa 6 Milliarden zurückgehen.
Voraussetzung sei allerdings ein «Riesensprung» bei den Investitionen
in wirtschaftliche Entwicklung, Bildung und Gesundheit, teilte die
internationale Initiative Earth4All mit. Die Vereinten Nationen (UN)
gehen von einem Höchststand von rund 10,4 Milliarden Menschen erst im
Jahr 2080 aus, wie es in einem Bericht vom Sommer 2022 hieß.

Im November hatte die Weltbevölkerung nach UN-Angaben die
8-Milliarden-Marke geknackt. Einen Stand von 6 Milliarden Menschen
hatte die Weltbevölkerung zuletzt um das Jahr 2000, um 1960 waren es
erst halb so viele. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts erlebte die Welt
ein immenses Bevölkerungswachstum: Zwischen 1950 und 2020 hat sich
die Weltbevölkerung nach UN-Daten mehr als verdreifacht.

Die Earth4All-Forscherinnen und -Forscher zeichnen in dem am Montag
veröffentlichten Arbeitspapier «People and Planet» nun zwei möglich
e
Szenarien für die Zukunft. Im ersten entwickelt sich die Welt
wirtschaftlich ähnlich weiter wie in den letzten 50 Jahren. Dann
erreiche die Bevölkerung bis 2050 ihren Höchststand, heißt es in der

Analyse. Im zweiten Szenario könnte dieser sogar schon 2040 erreicht
sein, wenn es unter anderem größere Investitionen in die Bekämpfung
von Armut gäbe. In anderen prominenten Bevölkerungsprognosen werde
die Bedeutung einer raschen wirtschaftlichen Entwicklung oft
unterschätzt, sind die Earth4All-Experten überzeugt.

In ihrem ersten Szenario - «Too Little Too Late» (zu wenig, zu spät)

- wird die Bevölkerung und die Wirtschaft bis 2050 langsamer wachsen,
etwa im Jahr 2046 ihr Maximum von etwa 8,6 Milliarden erreichen und
bis 2100 auf 7,3 Milliarden Menschen schrumpfen. «Die derzeitigen
wirtschaftlichen Wachstumspfade reichen bereits aus, um das globale
Bevölkerungswachstum bis zur Mitte des Jahrhunderts zum Stillstand zu
bringen», erklärte Beniamino Callegari, Mitglied des
Earth4All-Modellierungsteams.

Werde sich mehr darauf konzentriert, Armut zu bekämpfen und die
Geschlechtergerechtigkeit zu verbessern, könne die Bevölkerung sogar
schon 2040 ihr Maximum erreichen, bei dann etwa 8,5 Milliarden
Menschen. Nach diesem «Giant Leap» (Riesensprung) genannten Szenario
leben im Jahr 2100 nur noch etwa 6 Milliarden Menschen auf der Erde.

«Vor allem in diesem Szenario untermalt die Prognose, an welchen
Stellschrauben man drehen muss, um die Lebensbedingungen auf der Welt
besser zu machen», sagte Catherina Hinz, geschäftsführende Direktorin

des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung. Es stelle
sozusagen eine Beschleunigung des ersten Szenarios dar. Wann die
Weltbevölkerung an ihr Maximum gelange, hänge vor allem davon ab, wie
sich die Länder mit besonders hohen Geburtenzahlen entwickeln. Wenn
sich die Lebensbedingungen dort verbesserten, schrumpfe die Zunahme.

«Wir wissen, dass eine rasche wirtschaftliche Entwicklung in Ländern
mit niedrigem Einkommen enorme Auswirkungen auf die
Fruchtbarkeitsziffern hat», sagte Per Espen Stoknes, Leiter des
Earth4All-Projekts. «Die Fruchtbarkeitsziffern sinken, wenn Mädchen
Zugang zu Bildung erhalten und Frauen wirtschaftlich gestärkt werden
und Zugang zu einer besseren Gesundheitsversorgung haben.»

Neben Bildung und Gesundheit seien auch Fortschritte bei der
Ernährung in armen Ländern wichtig, erklärte Hinz, die selbst nicht
an der Modellierung beteiligt war. Dass die Welt schon bis 2040 die
Trendumkehr schafft, ist ihrer Ansicht nach schwer zu erreichen.
«Selbst wenn wir jetzt in die erforderlichen Bereiche investieren,
wird es trotzdem noch dauern, bis sich die Fruchtbarkeitsziffern
überall auf der Welt ändern.»

Zwar wächst die Zahl der Menschen auf unserem Planeten seit einiger
Zeit insgesamt immer langsamer, jedoch nicht in allen Regionen. Bis
zum Ende des Jahrhunderts werden dem UN-Bericht zufolge etwa dreimal
so viele Menschen in Afrika leben wie heute, knapp 4,3 Milliarden -
etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung. Die größten Treiber sind dabei
vor allem zehn Länder, aus denen 2050 mehr als die Hälfte aller
neugeborenen Menschen stammen werden, darunter Nigeria, Äthiopien,
und Sudan. Immer mehr einkommensstarke Länder werden hingegen - wie
heute bereits Japan - in eine negative Bevölkerungsentwicklung
rutschen. Für eine Stabilisierung wären Länder wie Deutschland auf
Migration angewiesen.

Der moderne Mensch, Homo sapiens, tauchte nach aktuellem
Kenntnisstand vor etwa 300 000 Jahren auf. In den vergangenen
Jahrtausenden stieg die Zahl der Menschen stetig, abgesehen von
Phasen großer Pandemien etwa der Pest. Um das Jahr 0 lebten etwa 190
Millionen Menschen. Mit längerer Lebenserwartung stieg die Kurve ab
etwa dem Jahr 1700 steiler an, wohl kurz nach 1800 war die erste
Milliarde erreicht. Von einer Weltbevölkerung von 2 Milliarden im
Jahr 1928 bis zu den heutigen 8 Milliarden Menschen brauchte es keine
100 Jahre.

Die Initiative Earth4All steht unter Federführung des Club of Rome,
der Norwegian Business School und des Potsdam-Instituts für
Klimafolgenforschung (PIK). Ihr Ziel ist, transformative politische
und wirtschaftliche Lösungen für das 21. Jahrhundert zu erarbeiten,
mit denen eine nachhaltige Entwicklung innerhalb der planetaren
Grenzen erreicht werden kann. Die Initiative baut auf dem Bericht
«Die Grenzen des Wachstums» auf, der 1972 vom Thinktank Club of Rome
in Auftrag gegeben und veröffentlicht wurde.