Experte: Kulturwandel im britischen Ausbildungssystem nötig

Lehrling, Geselle, Meister: Die Ausbildung in Deutschland wird
weltweit geschätzt. Auch in Großbritannien. Doch im Königreich werden

Ausbildungsberufe noch immer stiefmütterlich behandelt.

London (dpa) - Auch angesichts der Auswirkungen von Brexit und
Pandemie fordert ein Experte einen nachhaltigen Kulturwandel im
britischen Ausbildungssystem. Ausbildung etwa für Handwerksberufe
werde in Großbritannien nicht wertgeschätzt, sagte Richard Bills,
Chef des European College of Business and Management (ECBM), der
Deutschen Presse-Agentur. In der britischen Gesellschaft sei tief
verwurzelt, dass es wichtiger sei, Arzt, Banker oder Anwalt zu sein.
«Noch immer wollen die Eltern, dass ihre Kinder Vollzeit studieren»,
sagte Bills. Die Einstellung sei: «Wie wollen sie sonst im Leben
erfolgreich sein? Das ist der Weg zum Erfolg.»

Bills betonte, der Wandel müsse in den Köpfen beginnen. «Die
kulturelle Bedeutung von Ausbildung ist wichtig. Wenn die Leute
glauben, dass eine Ausbildung für ihre Kinder eine gute Sache ist,
kommt der Rest von alleine, dann ändert sich die Wahrnehmung. Aber es
ist noch immer andersherum.» Das ECBM gehört zur Deutsch-Britischen
Industrie- und Handelskammer (AHK) in London.

Bills sagte, viele britische Politiker würden das deutsche System der
dualen Ausbildung gerne kopieren. Doch die häufigen personellen
Wechsel in der Regierung verhinderten einen nachhaltigen Umbau des
Ausbildungssystems. «Viele lachen über Deutschlands Fixierung auf
Zertifikate», sagte Bills. Doch in Deutschland gebe es mit
Handwerkskammern und Meister eine solide Ausbildung. Hingegen gebe es
in Großbritannien kaum Qualitätssicherung. «Es gibt kein wirkliches
System. Und es ist normal, wenn man in diese Branche einsteigt,
während der Arbeit zu lernen», sagte Bills. Viele Handwerker seien
eher professionelle Do-it-yourself-Arbeiter.

«Training ist etwas, dem Arbeitgeber nie wirklich Priorität
eingeräumt haben», sagte der Experte. «Dem liegt eine kulturelle
Frage zugrunde, dass man die besten Leute will und nicht jemanden
ausbildet.» In Großbritannien herrscht - wie in vielen Ländern - ein

eklatanter Fachkräftemangel. Mehr als eine Million Stellen sind
unbesetzt. Während der Pandemie sind zahlreiche Menschen im
erwerbsfähigen Alter aus dem Arbeitsleben ausgeschieden.

Auch die deutsche Wirtschaft in Großbritannien fordert eine
grundlegende Ausbildungsreform. «Eine gute Bildung und Ausbildung
steigert die Produktivität», sagte der Präsident des
Wirtschaftsverbunds German Industry UK (GIUK), Bernd Atenstaedt, der
dpa. «Die deutsche Berufsausbildung wäre deshalb hilfreich für uns
und auch für die britische Wirtschaft.» GIUK will am Montag bei einer
Podiumsdiskussion in London, an der unter anderem der deutsche
Botschafter Miguel Berger und der britische
Ausbildungs-Staatsminister Robert Halfon teilnehmen wollen, für die
Pläne werben.