Experte: Corona-Inzidenz liegt derzeit zwischen 1000 und 2000

Viele haben Corona, aber die Zahlen sind niedriger denn je. Wie passt
das zusammen? Experte Lehr erklärt: Das Meldewesen hat keinen
Aussagewert mehr. Und: Tatsächlich ist die Inzidenz vierstellig.

Saarbrücken (dpa/lrs) - Die aktuellen Zahlen über die
Corona-Inzidenzen in Deutschland geben nach Aussage eines Experten
das Infektionsgeschehen überhaupt nicht mehr wieder. «Das Meldewesen
von Corona ist vorbei. Aber Corona selbst ist nicht vorbei», sagte
der Saarbrücker Pharmazieprofessor Thorsten Lehr der Deutschen
Presse-Agentur. Er geht davon aus, dass die tatsächliche
Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland derzeit zwischen 1000 und 2000
liegt. Das Robert Koch-Institut (RKI) wies die Zahl der gemeldeten
Covid-19-Fälle binnen sieben Tage pro 100 000 Einwohner zuletzt mit
rund 40 aus.

Die tatsächlichen Zahlen erklärten, was man auch sehe: «Wir haben
noch viele Infektionen. Sie sind harmloser, aber sie sind existent»,
sagte Lehr. Seiner Prognose nach werde die aktuelle Welle im April
ihren Höhepunkt haben und sich dann abschwächen. «Nicht wegen
irgendwelcher Saisonalitäten, daran glaube ich nicht mehr. Sondern
weil wieder eine Durchseuchungsrunde vorüber ist.»

Derzeit plagen sich in Deutschland viele Menschen mit
Atemwegserkrankungen herum. Allerdings ist laut RKI bei nur sieben
Prozent der Menschen, die deshalb zum Arzt gehen, der Auslöser
Sars-CoV-2. Eine wesentlich größere Rolle spielen Influenza- und
Rhinoviren.

Lehr sagt, was später komme, sei ungewiss. «Das wird immer davon
abhängig sein, ob es eine neue Variante gibt und wie lange der
Impfschutz anhält.» Mit rund 40 Millionen gemeldeten Infektionen seit
Pandemiebeginn vor gut drei Jahren plus Dunkelziffer gebe es
bundesweit eine «relativ große» Immunität. «Mehr oder weniger die

komplette Bevölkerung dürfte einmal Kontakt mit dem Virus gehabt
haben», sagte der Professor für Klinische Pharmazie an der
Universität des Saarlandes.

Die Folgen der Infektionen würden Forscher und Mediziner noch lange
beschäftigen. «Es gibt kaum Long-Covid- und Post-Covid-Ambulanzen.
Das ist eine Lücke, die wir haben», sagte der Wissenschaftler. Von
Long-Covid spreche man, wenn Betroffene bis zu zwölf Wochen nach
einer Infektion unter Folgen litten. Post-Covid bezeichneten Folgen,
die zwölf Wochen oder länger anhielten. «Auch Forschung gibt es nicht

genug. Da ist Aufholarbeit nötig.»

So wisse man nicht, was für Langzeitfolgen ein paar Jahre nach einer
Infektion («Long-long-Covid») auftreten könnten: Etwa ob Viren, die
im Körper blieben, auch Autoimmunkrankheiten auslösen könnten. «Ich

glaube, dass wir da wachsam sein müssen. Folgeerkrankungen, die da
auftreten, werden auch nicht einfach zu diagnostizieren sein.» Zudem
müsse man sich beschäftigen mit dem Post-Vac-Syndrom, den
Impfschäden.

Lehr hatte mit seinem Forscherteam einen «Covid-Simulator»
entwickelt, der in der Corona-Pandemie das Infektionsgeschehen in
Deutschland berechnete und Prognosen lieferte. «Wegen fehlender
Datenquellen kommt unser Simulator an seine Grenzen. Ich gehe davon
aus, dass wir Ende des Monats erstmal pausieren müssen.»