Bedrohung durch Spionage wächst: Mehr Vorsicht und Misstrauen nötig Von Anne-Beatrice Clasmann, dpa

Nach der Krise ist vor der Krise, haben die vergangenen Jahre
gezeigt. Nicht nur der Verfassungsschutz warnt deshalb davor, naiv an
Handelsbeziehungen, Investitionen und wissenschaftliche Kooperationen
mit autoritären Staaten wie China heranzugehen.

Berlin (dpa) - Deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind
aus Sicht des Verfassungsschutzes immer noch nicht vorsichtig genug,
was das Risiko von Spionage, Sabotage und die Gefahr
zusammenbrechender Lieferketten angeht. Mit Blick auf Russland und
China warnte der Vizepräsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz,
Sinan Selen, am Donnerstag bei einer Tagung seiner Behörde und der
Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW) in Berlin: «Autoritä
re
Regime nutzen liberale Freiräume zur Verbreitung ihres Einflusses»,
warnt Selen. Wie ernst die Lage ist, zeigt der diesjährige Titel der
Veranstaltung: «Eine Welt in Aufruhr - Herausforderungen für unsere
Lieferketten, Forschung & Kritische Infrastruktur.»

Anders als früher, wo man gegenseitige Abhängigkeiten als
konflikthemmenden Faktor sah, würden diese inzwischen verstärkt als
Waffe eingesetzt, sagt Selen. Zu den von diesen Regimen verwendeten
Methoden zählten neben klassischer Spionage auch die Entsendung von
Forscherinnen und Forschern im staatlichen Auftrag, die Rekrutierung
deutscher Wissenschaftler sowie Cyberangriffskampagnen. Zu den am
stärksten betroffenen Branchen gehörten unter anderem Luft- und
Raumfahrt, Biotechnologie, Industrierobotik, Kommunikationstechnik
und Maschinenbau.

Ein Beispiel ist der im vergangenen Jahr verurteilte junge
Mitarbeiter der Universität Augsburg, der vom russischen Geheimdienst
SWR für die Suche nach geheimen Informationen über die Ariane-Raketen
angeheuert wurde. Dass er trotz mehrmaliger Treffen mit einem
Agentenführer am Ende mit einer Bewährungsstrafe davonkam, hat damit
zu tun, dass ihm das Gericht glaubte, dass er anfangs nicht verstand,
dass er möglicherweise für einen Geheimdienst arbeitete.

Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige
Politik sagt, es sei wichtig, jetzt nicht nur über die Folgen des
russischen Angriffskriegs auf die Ukraine nachzudenken, sondern auch
zu bedenken, welche Risiken das Szenario eines möglichen Konflikts in
Asien berge. Auch mit Blick auf die Sicherheit ihrer Lieferketten
müssten sich deutsche Firmen klarmachen: «Ja, wir haben Feinde.» Das

seien Staaten, welche «die Art und Weise, wie wir leben» nicht
akzeptierten.

Um den Wirtschaftsstandort Deutschland besser zu schützen, sei es
wichtig, dass sich der Verfassungsschutz und die Unternehmen intern
vertrauensvoll zu aktuellen Gefahren austauschten, betont Selen. «Es
bringt wenig, Bedrohungsszenarien, mit denen Sie bereits konfrontiert
wurden, für sich zu behalten», schärft er den Sicherheitschefs der
Unternehmen ein. Konzerne mit eigenen Sicherheitsabteilungen seien da
insgesamt besser aufgestellt, sagt der ASW-Vorstandsvorsitzende,
Volker Wagner - auch über Aktivitäten von Verbänden,
Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt. Bei Mittelständlern in
ländlichen Gebieten sehe er aber noch Handlungsbedarf.

Zu den besonders verletzlichen Elementen der sogenannten kritischen
Infrastruktur zählt Johannes Abresch von der Konzernsicherheit der
Deutsche Post DHL Group Unterseekabel für Kommunikation. Neben dem
Risiko des Datendiebstahls durch Nachrichtendienste sei hier auch
Sabotage eine große Gefahr, da durch die Beschädigung dieser Kabel
mit relativ geringem Aufwand ein immenser wirtschaftlicher Schaden
ausgelöst werden könne. Er verweist außerdem auf die hohe
Abhängigkeit Deutschlands von China und Indien bei der Versorgung mit
Medikamenten. Nicht nur Photovoltaik-Anlagen, sondern auch Turbinen
für Windkraftanlagen würden zu einem großen Teil in China produziert,

gibt er zu bedenken.

Mit Blick auf das wirtschaftliche Engagement von Firmen aus
autoritären Staaten in Europa sagt Verfassungsschutz-Vize Selen: 
«Immer wenn eine Dominanz aufgebaut wird, die marktbeherrschend wird,
kommen wir in schwierige Gefilde. Investitionen in Deutschland seien
zwar mehr als erwünscht. Sie dürften aber nicht dazu führen, dass
Unternehmen «in ihrer Grundsubstanz ausgeweidet werden».

Der Sicherheitsexperte der Deutschen Post nennt als Beispiele dafür,
welche Sekundäreffekte ein Konflikt haben kann, den durch den
russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bedingten Rückgang der
Getreideexporte aus der Ukraine. Dieser könne zu einer
Destabilisierung in Staaten Nordafrikas führen, die traditionell
einen großen Teil ihres Weizens von dort beziehen, was dann weitere
Migrationsbewegungen nach Europa auslösen könne. Europäische
Flugzeuge müssten auf dem Weg nach Asien aktuell Umwege in Kauf
nehmen, weshalb sie mehr Kerosin benötigten und dann weniger Fracht
aufnehmen könnten. Asiatische Unternehmen könnten dagegen weiterhin
den russischen Luftraum benutzen und hätten dadurch einen
Wettbewerbsvorteil.