«Zerbrochen, weggeworfen, verscharrt» - Trauerfeier für Knochenfunde von Mona Wenisch, dpa

Mehrere Tausend menschliche Knochenfragmente sind am Donnerstag auf
dem Waldfriedhof Dahlem in Berlin bestattet worden. Die Menschen
wurden Opfer von Verbrechen im Namen der Wissenschaft. Den richtigen
Umgang damit zu finden, scheint heute noch schwierig.

Berlin (dpa) - Es sind fünf unscheinbare Holzkisten, die von den
Männern am Donnerstag auf dem Waldfriedhof Dahlem in Berlin in den
Boden gelassen werden. Doch in den Gebeinekisten befinden sich etwa
16 000 menschliche Knochenfragmente - und ein schweres
geschichtliches Erbe.

Die Knochen wurden bei mehreren Grabungen seit 2015 auf dem heutigen
Gelände der Freien Universität gefunden. Im Nationalsozialismus war
dort das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche
Erblehre und Eugenik beheimatet. Die genaue Herkunft der Knochen
konnte nicht abschließend geklärt werden. Klar ist: Sie stammen aus
«Verbrechenskontexten». Im Raum stehen Verbindungen zum
Nationalsozialismus, dem Vernichtungslager Auschwitz und dem KZ-Arzt
Josef Mengele, aber auch zur Kolonialgeschichte.

«Zerbrochen, weggeworfen, in Erdlöchern verscharrt», beschreibt der
Direktor des Landesdenkmalamts Berlin Christoph Rauhut den Fundort
der Knochen. «Heute wollen wir sie würdig beisetzen.» Dafür
versammelten sich rund 100 Menschen auf dem Vorplatz der
Friedhofskapelle. In einer nicht-religiös und nicht
eurozentristischen Trauerfeier gedachten die Menschen der Opfer.
Darauf habe man sich mit den Opferverbänden geeinigt, hieß es. Es
gebe aber auch Überlebende, die sich eine andere, religiösere Feier
gewünscht hätten.

«Die inhumane Praxis des Forschungsrassismus sah für die Überreste
keine Bestattung vor und warf sie in Gruben», sagte Daniel Botmann
vom Zentralrat der Juden bei der Trauerfeier. «Heute tragen wir
zahlreiche Leben, deren Stimmen und Biografien ausgelöscht wurden, zu
ihrer letzten Ruhestätte.»

Doch wer genau nun in den Gebeinekisten bestattet wurde, ist nicht
bekannt - auch weil die Verbände eine weitere Untersuchung der Funde
ablehnten. «Eine Spezifizierung der Opfer nach bestimmten Gruppen
würde letztlich nur die rassistischen Methoden und Ideologien der
Vergangenheit reproduzieren», sagte FU-Präsident Günter Ziegler. «D
as
heißt aber auch: Wir können den Opfern keine Namen und kein Gesicht
mehr zuordnen. Aber wir können uns ihrer erinnern.»

Bestattet wurden Knochenfragmente von Grabungen seit 2015 - erste
Knochen waren an der FU aber bereits 2014 zufällig bei Bauarbeiten
gefunden worden. Damals hatte es Kritik daran gegeben, dass diese
ohne tiefergehende Untersuchungen eingeäschert wurden. Das Erbe
fordere zu einer kritischen Auseinandersetzung mit der Geschichte
auf, sagte Christoph Rauhut vom Landesdenkmalamt Berlin. Es könne die
Grundlage für eine Erinnerungskultur sein, die dem Gedenken der Opfer
gerecht werde. «Wie wir alle wissen, war dies hier zunächst nicht der
Fall», sagte Rauhut. Die ersten Knochen seien in einer Grube entdeckt
worden.

Am Grab mahnt nun eine Inschrift an die Geschichte der Bestatteten:
«Im Gedenken an Opfer von Verbrechen im Namen der Wissenschaft» heißt

es dort. Viele der anwesenden Menschen verbeugten sich vor dem Grab
und warfen weiße Rosen hinein. «Wir kennen nicht die Namen, nicht die
Gesichter, nicht die Identitäten und nicht die Geschichten der
einzelnen Menschen, die wir heute bestatten», sagte Ziegler. «Es sind
viele Menschen. Sie alle sind Opfer von Verbrechen im Name der
Wissenschaft geworden. Darüber darf kein Gras wachsen. Wir haben die
Verpflichtung des Erinnerns.»