«Hand aufs Herz»: Johnson kämpft in London um politische Zukunft Von Benedikt von Imhoff, dpa

Für Boris Johnson ist es ein entscheidender Tag. Doch der Ex-Premier
erhält für seinen Konfrontationskurs gegen Nachfolger Sunak kaum
Unterstützung. Bleibt die Frage, ob Johnson das britische Parlament
belogen hat. Die Antwort dürfte seine politische Zukunft definieren.

London (dpa) - Bei seiner Rückkehr auf die große politische Bühne hat

Boris Johnson eine Schlappe erlitten. Nur wenige Abgeordnete seiner
Konservativen Partei folgten dem ehemaligen Premierminister bei einer
Revolte gegen Nachfolger Rishi Sunak. Gleichzeitig kämpfte Johnson
vor einem Parlamentsausschuss gegen Vorwürfe, er habe das britische
Parlament in der «Partygate»-Affäre belogen. Gut sechs Monate nach
seinem erzwungenen Abschied aus der Downing Street ging es auch um
die politische Zukunft des 58 Jahre alten Populisten und Narzissten.

Da ist zum einen die «Partygate»-Affäre, die Johnson einholt.
Regelmäßig hatte er im House of Commons betont, dass Downing Street
jederzeit die Corona-Regeln befolgt habe - obwohl fast täglich neue
Details zu illegalen Lockdown-Partys bekannt wurden. Hat er das
Unterhaus belogen? Das zu klären, ist Aufgabe des Privileges
Commitee, eines Parlamentsausschusses. Für seine Verteidigung durfte
Johnson mehr als 220 000 Pfund (250 000 Euro) Steuergeld ausgeben.

«Ich bin hier, um Ihnen - Hand aufs Herz - zu sagen, dass ich das
Unterhaus nicht angelogen habe», sagte der Ex-Premier zum Auftakt
seiner stundenlangen Befragung. Danach geht er mit hörbarem Ärger in
der Stimme das Commitee an. Es gebe keine Beweise für die Vorwürfe,
zürnte er. Unwissentlich falsche Aufgaben: ja, er habe es damals
nicht besser gewusst. Vorsatz? Keinesfalls. Fotos von ihm und
Mitarbeitern mit Alkohol auf einem Tisch? «Menschen, die sagen wir
hätten Lockdown-Partys gefeiert, wissen einfach nicht, wovon sie
reden», entgegnete Johnson den Vorwürfen. Tory Bernard Jenkin
kritisierte seinen Parteikollegen: «Ich glaube nicht, dass wir Ihrer
Interpretation der Leitlinien zustimmen.»

Parallel stimmte das Unterhaus über die Nordirland-Vereinbarung ab,
die der amtierende Premier Sunak nach langem Streit mit der EU
geschlossen hat. Doch Brexit-Hardliner und nordirische Unionisten
lehnen den Deal ab, der den Handel zwischen der britischen Provinz
und dem Rest des Vereinigten Königreichs erleichtern soll. Johnson
setzte sich kurzerhand an die Spitze der parteiinternen Opposition
und kündigte an, gegen Sunaks Abmachung zu stimmen. Doch letztlich
folgten nur 22 Tory-Mitglieder ihrem einstigen Anführer - ein Sieg
für Sunak, früher Finanzminister unter Johnson.

Für den Ex-Premier, der aus seinen Ambitionen, in die Downing Street
zurückzukehren, nie einen Hehl gemacht hat, geht es um seine Zukunft.
«Johnson wird heute verzweifelt versuchen, die Flamme seiner
politischen Karriere am Leben zu erhalten», kommentierte das
konservative Online-Portal «Unherd». Von einem «Test der Stärke»
für
Sunak wie für Johnson spricht der gut vernetzte «Times»-Reporter
Steven Swinford. Einige wittern Kalkül: Sunak wolle seinen internen
Widersacher loswerden. Sky-News-Korrespondent Sam Coates twitterte:
«Dass (beide Termine) für denselben Tag angesetzt wurden, legt nahe,
dass Number 10 ihn an einem Tag symbolisch politisch begraben will.»

Noch immer gilt Johnson vor allem der konservativen Basis als bester
Wahlkämpfer, der die Tories aus dem aktuell ausweglos erscheinenden
Umfragetief doch noch zum Wahlsieg 2024 führen könnte. Doch die Zahl
seiner Unterstützer schwindet. «Die Wähler haben seine Lügen einst

geliebt. Aber die Behauptung, er habe seine eigenen Regeln nicht
verstanden, hat ihn zu einem weiteren ausweichenden Politiker
gemacht», kommentierte «Times»-Kolumnist Daniel Finkelstein.

In seinem Zwischenbericht hat das Privileges Committee deutlich
gemacht, dass es für Johnson «offensichtlich» gewesen sein muss, dass

Corona-Regeln in der Downing Street gebrochen wurden. In einem Fall
erhielt Johnson selbst eine Geldstrafe. Neu veröffentlichte Dokumente
widersprechen zudem Johnsons Aussagen, Mitarbeiter hätten ihm die
Rechtmäßigkeit der Treffen versichert.

Sollte der Ausschuss aus sieben Mitgliedern von Tories und den
Oppositionsparteien Labour und SNP entscheiden, dass das Parlament
belogen wurde, entscheidet das Unterhaus über eine Suspendierung -
die dazu führen könnte, dass Johnson sein Mandat ganz verliert. Viel
Rückendeckung hat er nicht: Sunak hat bereits deutlich gemacht, dass
es in einem solchen Fall keinen Fraktionszwang geben werde.

Für den amtierenden Premier würde ein politisches Aus des Vorgängers

einen Schub bedeuten. Mit soliden Maßnahmen hat er die einst
skandalumwitterte britische Politik in ruhigeres Fahrwasser gelenkt.
«Jeder Tag, an dem Sunak einen guten Job als Premierminister macht,
schwinden die Aussichten auf Johnsons Comeback», zitiert das
Online-Portal «Politico» einen sunaktreuen Tory. Da kommen
Störmanöver des Ex zur Unzeit. Ablenken lassen will Sunak sich aber
nicht. Der Premier werde der Anhörung nicht folgen, sagte sein
Sprecher. Er habe einen prall gefüllten Terminkalender.