Klimaschutz und Nebelkerzen Von Christiane Oelrich, dpa

Der Weltklimarat spricht Klartext, falls es Regierungen noch immer
nicht kapiert haben: Es muss sofort gehandelt werden, um die
schlimmsten Folgen des Klimawandels abzuwenden. Wie geht's weiter?

Interlaken (dpa) - Zögern, das war gestern. Jetzt muss gehandelt
werden, subito, also auf der Stelle. Dieses und nicht nächstes Jahr,
und das weltweit - das ist die Botschaft im Synthesebericht des
Weltklimarats (IPCC). Der Klimawandel beschleunigt sich, Folgen wie
Hitzewellen, Überschwemmungen und Dürren häufen sich und werden
extremer. Wenn die Regierungen der Welt die klimaschädlichen
Emissionen nicht noch in diesem Jahrzehnt drastisch senken, wird das
Leben auf der Erde für kommende Generationen unberechenbarer und
gefährlicher. Was muss konkret passieren?

«Wir Wissenschaftler wünschten uns, dass die Kehrtwende im
Klimaschutz, aber auch in der Anpassung an die Auswirkungen
deutlicher, mutiger und schneller angegangen wird», sagt Matthias
Garschagen der Deutschen Presse-Agentur. Der Klimaforscher der
Ludwig-Maximilians-Universität in München ist Mitautor des
Syntheseberichts. «Dass man Kehrtwenden auch zügig hinbekommen kann,
hat man jüngst gesehen: Die Welt ist recht erstaunt, wie schnell wir
uns beispielsweise von russischem Gas unabhängig machen.»

Nur: «Es passiert definitiv zu wenig», sagt Mitautor Oliver Geden von
der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin der dpa. «In der
globalen Klimapolitik wird mehr versprochen als geliefert wird.»

Die Medizin ist bekannt: klimaschädliche Emissionen senken, den
CO2-Ausstoß so teuer machen, dass Unternehmer in Alternativen
investieren, Bäume pflanzen statt Wälder roden, weniger Fleisch
essen, weil das Mästen und Weiden viel CO2 verursacht, Gebäude besser
dämmen, fossile Energien durch erneuerbare wie Windkraft ersetzen,
den öffentlichen Verkehr ausbauen, und: den Verbrennermotor
verbieten.

Es sei eine «Nebelkerze», wenn die EU am Verbrennermotor festhalten
würde, wenn auch ab 2035 nur noch mit klimaneutralen Kraftstoffen
(E-Fuels), sagt Jochem Marotzke, Direktor des Max-Planck-Instituts
für Meteorologie in Hamburg, der dpa. «Es wird nur winzige Mengen
E-Fuels geben, die braucht man für den Flugverkehr, denn der lässt
sich nicht elektrifizieren.»

Als Nebelkerze könnte man auch etwas anderes bezeichnen: «Es gibt
eine gefährliche Tendenz in Teilen der deutschen Politik», sagt
Garschagen. «Manche meinen, wenn wir Technologien wie die
Kohlenstoffentnahme aus der Atmosphäre und Lagerung entwickeln,
könnten wir es mit der Emissionsreduzierung langsamer angehen - aber
das ist falsch. Wir brauchen die Entnahme UND starke Reduzierungen,
um unsere Klimaschutzziele überhaupt noch erreichen zu können.»

«Wir werden gar nicht darum herumkommen, CO2 aufzufangen und in den
Boden zu pressen», sagt Marotzke. «Die Forschung dazu muss mehr
gefördert werden und es muss ein Regelwerk her.» Knapp 50 Millionen
Euro hat das Bundesforschungsministerium in solche
Forschungsprogramme investiert.

Ziel ist laut Pariser Klimaabkommen, die Erderwärmung auf 1,5 oder
höchstens 2 Grad über vorindustriellem Niveau zu begrenzen. Sie liegt
bereits bei etwa 1,1 Grad. In Deutschland ist sie sogar höher, weil
sich Landregionen schneller erwärmen als die Meere. Der Weltklimarat
legt jetzt dar, dass das 1,5-Grad-Ziel praktisch nicht mehr zu
schaffen ist. Dafür müssten die weltweiten CO2-Emissionen bis 2030 um
48 Prozent gegenüber 2019 sinken, bis 2035 um 65 Prozent. Tatsächlich
zeigt die Kurve nach dem Corona-bedingten Rückgang steil nach oben.
Marotzke betonte, selbst eine Begrenzung der Erderwärmung auf unter
zwei Grad sei eine gewaltige Aufgabe.

Und noch eine Nebelkerze, die den Blick aufs Nötige trüben könnte:
«Mit dem 1,5-Grad-Ziel haben wir uns möglicherweise selbst ein Bein
gestellt», sagt Geden. «Viele denken an ein Kliff: Wenn es darüber
hinausgeht, ist alles vorbei.» Das könne zu Fatalismus führen, nach
dem Motto, dann könne man es auch ganz lassen, wenn es eh schon zu
spät sei. «Das Klimasystem gerät bei 1,51 Grad nicht außer
Kontrolle», sagt er. Die genaue Gradzahl sei zweitrangig, die
größtmögliche Klimaanstrengung sei nötig, weil jedes Zehntel Grad
weniger Erwärmung das Risiko von Hitzewellen, Starkniederschlägen und
Dürren verringere.

Von Untergangsszenarien hält auch Marotzke nichts: «Es wird keine
Apokalypse kommen.» Das Leben werde gefährlicher, aber dass es auf
der Erde gar nicht mehr möglich sein könnte, sei falsch.

Garschagen betont, Klimaschutz sei nicht nur mit Kosten und
Herausforderungen verbunden: «Wenn wir beispielsweise Städte umbauen
mit mehr Wasser, mehr Begrünung, mehr Beschattung, wenn Gebäude und
Dächer begrünt werden, werden sie auch lebenswerter. Oder wenn wir
Flächen, auf denen Futtermais für Schweine für unseren Fleischkonsum

angebaut wird, in Auenlandschaften verwandeln würden, hätte das auch
einen gesellschaftlichen Mehrwert für die Naherholung.»

Oliver Geden: «Leider hält sich noch der Reflex: Klimaschutz tut weh.
Oder: Wir würden mehr verdienen, wenn wir diese oder jene Maßnahme
nicht umsetzten. Aber: Klimaschutz sichert mittelfristig unseren
Wohlstand - da muss man hinkommen.»