Wie sich ein Dresdner aus der Computerspielsucht befreit hat Von Christoph Pengel, dpa

Die Zahl der Jugendlichen mit Computerspielsucht ist zuletzt deutlich
gestiegen, wie eine neue Studie zeigt. Florian Buschmann aus Dresden
war selbst betroffen und hat ein Buch darüber geschrieben.

Dresden (dpa/sn) - Wenn Florian Buschmann früher aufstand, zog er die
Rollos ein Stück nach unten. Für das, was er vorhatte, brauchte er
kein Tageslicht. Er spielte Computer. Strategiespiele, Browserspiele,
Egoshooter - bis zu 16 Stunden täglich hockte der Schüler vor dem
Bildschirm. Er aß ungesund, meldete sich oft krank, seine Noten
wurden schlechter. Freunde, Hobbys - überhaupt die echte Welt -
verloren für ihn an Bedeutung.

Heute ist Buschmann 21 Jahre alt. Er wohnt in Dresden, studiert
Psychologie, führt eine eigene Firma - und hat ein Buch über
Computerspielsucht geschrieben. Es heißt «Ade Avatar. Schritte in die
Freiheit». Über seine Vergangenheit, darüber, wie tief er selbst
durch das Zocken gefallen war, kann er offen reden. «Ich hatte mich
selbst verloren, mein Inneres war komplett leer. Da war keine Freude
mehr, keine Trauer, nur noch eine Taubheit.»

Was Buschmann erlebt hat, scheint für immer mehr Jugendliche zum
Problem zu werden. Laut einer neuen Studie ist die Zahl der
Minderjährigen mit Computerspielsucht während der Corona-Pandemie
deutlich gestiegen. Seit 2019 habe sich der Anteil der betroffenen
Jugendlichen von 2,7 Prozent auf 6,3 Prozent im vergangenen Jahr
erhöht, heißt es in einer gemeinsamen Untersuchung der Krankenkasse
DAK und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf.

Buschmann erzählt, dass er als Kind vor allem von der
Fußballsimulation Fifa begeistert war. Anfangs sei das harmlos
gewesen. «Aber dann kamen Lebensprobleme dazu», sagt er. Seine Eltern
trennten sich, sein Opa starb, und weil Florian Buschmann nicht
wusste, wie er damit umgehen sollte, zog er sich immer mehr in die
Online-Spielewelt zurück. «Ich habe mich sozial komplett isoliert»,
erzählt er. Was seine Eltern dazu sagten, sei ihm egal gewesen.

Mitunter wird das exzessive Computerspielen bei Kindern vor allem als
Erziehungsproblem gedeutet - als Mangel an Grenzen und Regeln.
Forscher warnen jedoch vor einer einseitigen Sichtweise. «Natürlich
ist Medienerziehung in Familien wichtig», sagt Kai Müller, Chef des
Fachverbands Medienabhängigkeit und Leiter des Bereichs Forschung und
Diagnostik an der Ambulanz für Spielsucht in Mainz. Dennoch lasse
sich das gestörte Verhalten nicht immer auf ein reines
Erziehungsproblem reduzieren. Jugendliche könnten beim
Computerspielen durchaus Suchtsymptome zeigen, sagt Müller.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat bislang zwar nicht die
Mediensucht, aber immerhin das krankhafte Computerspielen (gaming
disorder) in den Katalog anerkannter Diagnosen aufgenommen. Laut
Müller könnten auch andere Verhaltensweisen als Abhängigkeiten
gezählt werden, wie etwa Online-Kaufsucht oder suchtartiges Nutzen
von sozialen Medien und Internetpornos. Während es eher Mädchen
seien, die den sozialen Medien verfallen, tendierten vor allem junge
Männer zur Computerspielsucht. Oft lägen zusätzliche Diagnosen wie
Depressionen oder Angststörungen vor.

Müller zufolge erleben Menschen mit Computerspielsucht einen
Kontrollverlust. Sie können demnach nicht mehr frei darüber
entscheiden, ob und wann sie konsumieren. «Das Spielen wird der
Fixpunkt in der Lebensgestaltung, nicht nur ein Bestandteil.» Mehr
noch: «Obwohl die Betroffenen die negativen Konsequenzen des
Verhaltens erleben, wird am Verhalten nichts geändert.»

Buschmann kann das bestätigen. «Ich hatte die Freiheit, «Nein» zu
sagen, verloren.» Etwa drei Jahre lang sei er süchtig gewesen. Als er
15 oder 16 war, nahm er dennoch an einem Schüleraustausch in Rumänien
teil. Er ging wandern und klettern, saß mit echten Menschen am
Lagerfeuer. «Ich habe gesehen, was alles möglich ist.» Es habe dann
aber noch eine Weile gedauert, bis er wirklich aufwachte.

Irgendwann nahm er sich vor, 30 Tage aufs Computerspielen zu
verzichten. Er hielt durch. Buschmann ging joggen, machte Kraftsport.
«Ich habe mir positive Gefühle in der echten Welt geholt statt in der
Online-Welt». Eine Therapie sei nicht nötig gewesen, psychologische
Beratung und Coaching aber schon. «Das war ein Prozess über Jahre.»


In seinem Buch beschreibt Buschmann weitere Methoden, die Betroffenen
und Angehörigen helfen sollen. Müller, der Wissenschaftler aus Mainz,
hat das Vorwort dazu geschrieben. Buschmanns Firma «Offline-Helden»
hat heute sechs Mitarbeiter, die unter anderem in Schulen gehen, um
Kinder über die Gefahren moderner Medien aufzuklären. Für seine
Arbeit braucht Buschmann noch immer einen Computer. Zocken komme aber
nicht mehr infrage, sagt er. «Da hab ich gar keine Lust drauf.»