Miese Zahlen, schlechte Aussichten: Kliniken auf der Intensivstation

Die Kliniklandschaft soll reformiert werden. Für viele Krankenhäuser
in Baden-Württemberg könnte die Reform aber zu spät kommen. Sie
stehen vor der Insolvenz, wenn nicht bald Finanzspritzen kommen,
warnt ihr Dachverband. Das hätte dann auch Folgen für Patienten.

Stuttgart (dpa/lsw) - Die baden-württembergischen Kliniken warnen
angesichts dunkelroter Zahlen vor Krankenhaus-Insolvenzen und fordern
schnelle Finanzhilfen noch vor der geplanten großen
Krankenhausreform. «Wenn nicht schnell etwas getan wird, fehlen den
Krankenhäusern im Land allein im Jahr 2023 mindestens 800 Millionen
Euro», sagte der Vorstandsvorsitzende der Baden-Württembergischen
Krankenhausgesellschaft (BWKG), Heiner Scheffold. Drei von vier
Kliniken rechneten mit Verlusten. «Sie brauchen jetzt Hilfe»,
forderte Scheffold. Ein Vertrösten auf eine künftige
Krankenhausreform, die vielleicht eine bessere Finanzierung von
Vorhaltekosten bringt, könne nicht hingenommen werden.

Fast die Hälfte des zu erwartenden Defizits sei durch «politische
Eingriffe in den letzten sechs Monaten verursacht» worden, bemängelte
Scheffold. Das Bundesgesundheitsministerium habe ohne sachliche
Grundlage die Vergütung der Fallpauschalen zu Lasten der
Krankenhäuser gesenkt und den Krankenhäusern dadurch 45 Millionen
Euro entzogen. Zudem sei die Berechnungsformel für den
Landesbasisfallwert - das ist der Preis der Krankenhausleistungen -
ungerechtfertigt verändert worden. Kosten: mindestens 65 Millionen
Euro im laufenden Jahr. Die Entlastung für die massiv gestiegenen
Energiekosten komme zudem nur in Bruchteilen bei den Krankenhäusern
an, viele gingen leer aus, sagt Scheffold, der Landrat des
Alb-Donau-Kreises ist.

«Wenn die Finanzen der Krankenhäuser nicht umgehend stabilisiert
werden, ist ein kalter Strukturwandel vorprogrammiert. Dann fehlen
möglicherweise Krankenhäuser, die für die Versorgung der Menschen im

Land dringend erforderlich sind», warnte die Krankenhausgesellschaft
vor Insolvenzen und ihren Folgen. Die Gesellschaft vertritt nach
eigenen Angaben Hunderte von Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen und
Rehabilitationsangeboten mit 130 770 Betten und Plätzen sowie deren
mehr als 250 000 Mitarbeiter.

Nach Angaben der BWKG haben die Hilferufe aus den Krankenhäusern in
den vergangenen Wochen massiv zugenommen, das habe zuletzt auch eine
neue Umfrage gezeigt. Betroffen seien vor allem auch immer mehr
Krankenhäuser, die vergleichsweise gut durch die Turbulenzen der
Corona-Pandemie gekommen seien. Bundesgesundheitsminister Karl
Lauterbach (SPD) müsse die Absenkung der Vergütungen ebenso
zurücknehmen wie die Änderungen beim Landesbasisfallwert. Außerdem
müssten die Entlastungen bei den Energiepreisen «in vollem Umfang und
schnell ankommen», sagte Scheffold und empfahl Pauschalzahlungen.

Der Präsident des Landkreistags Baden-Württemberg, Landrat Joachim
Walter (Tübingen), nannte die wirtschaftliche Lage der Krankenhäuser
«dramatisch». Die Klinikdefizite erreichten Höchststände. Die
Bundesregierung müsse eingreifen und Mittel bereitstellen, um die
Klinik wirtschaftlich zu stabilisieren.

CDU-Fraktionschef Manuel Hagel warf der Ampelkoalition in Berlin vor,
Probleme seit Monaten kleinzureden. «Das alles unter dem Deckmantel
der geplanten Krankenhausstrukturreform, von der heute noch niemand
weiß, ob, wann und wie sie kommt», sagte er. Dagegen betonte der
SPD-Gesundheitsexperte Florian Wahl die Bedeutung einer Klinikreform.
Es müssten dabei auch die Interessen der Länder einfließen, forderte

er. «Für ein Flächenland wie Baden-Württemberg muss dabei klar sein
,
dass wir sowohl Spitzenmedizin als auch Versorgung auf dem Land
brauchen.»

Zuvor hatte auch bereits die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG)
auf gestiegene Kosten durch die Inflation und auf monatlich
auflaufende Defizite in Höhe von 740 Millionen Euro hingewiesen. «Die
Krankenhäuser liegen im Schockraum der Notaufnahme, und viele
Kliniken werden die politische Therapie des Abwartens nicht
überleben», hatte der DKG-Vorstandsvorsitzende Gerald Gaß vor einer
Woche in Berlin gesagt. Auch Lauterbach hatte bei dem Branchentreff
von den Krankenhäusern «in größter Not» gesprochen und sehr viele

Einrichtungen in einer Insolvenzgefahr gesehen.

Die Pläne des Bundesministers für eine Krankenhausreform sehen
bundesweit eine einheitliche Einteilung der Kliniken in drei Stufen
vor, mit entsprechender Förderung: Wohnortnahe Kliniken zur Grund-
und Notfallversorgung, Häuser mit weiteren Leistungen und
Maximalversorger wie Unikliniken. Auch innerhalb der Kliniken wird
eine stärkere Spezialisierung angestrebt. Zudem sollen die
sogenannten Fallpauschalen abgesenkt werden - Kliniken bekommen pro
Patient oder Behandlungsfall einen pauschalen Betrag. Zum Ausgleich
für abgesenkte Pauschalen sollen die Kliniken «Vorhalteleistungen»
bekommen: feste Beträge für das Vorhalten von Personal, einer
Notaufnahme oder notwendiger Medizintechnik.