Wenn die Klinik selbst zum Patient wird - «Es ist eine Katastrophe» Von Jörg Schurig und Andreas Hummel, dpa

Viele Krankenhäuser plagen finanzielle Probleme. Für das Klinikum in
Reichenbach sind sie so massiv geworden, dass dort Ende des Monats
die Lichter ausgehen - nach 160 Jahren. Nun wird in der Region darum
gerungen, die medizinische Versorgung der Menschen zu sichern.

Reichenbach (dpa/sn) - Wer nachts mit einem Notfall am Krankenhaus
Reichenbach Hilfe sucht, hat schlechte Karten. Von 22.00 bis 6.30 Uhr
bleibe die Notaufnahme geschlossen, warnt die Klinik rot im Internet
und verweist Betroffene auf andere Krankenhäuser. Ein Vorbote dessen,
was bald auf alle Patienten in der rund 20 000 Einwohner zählenden
Stadt im Vogtland zukommt. Denn die Paracelsus-Klinik Reichenbach ist
seit der Insolvenz im Sommer selbst ein schwerer Pflegefall, dem Ende
des Monats die lebenserhaltenden Maschinen abgestellt werden. Dann
schließt das Haus mit rund 180 Betten und 300 Mitarbeitern endgültig.


«Das ist eine Katastrophe für unsere Stadt und die Region des
nördlichen Vogtlandes», konstatiert Oberbürgermeister Raphael
Kürzinger (CDU). Die Paracelsus-Kette als Betreiber war 2017 in die
Insolvenz geschlittert. Doch ihre Übernahme durch eine
Beteiligungsgesellschaft verschaffte dem Standort Reichenbach nur
eine Verschnaufpause: Im Juli 2022 stellte die Geschäftsführung dort

Insolvenzantrag wegen drohender Zahlungsunfähigkeit. Und mögliche
Investoren winkten ab. Keiner habe sich nach Prüfung der Daten in der
Lage gesehen, das Krankenhaus erfolgreich aus den roten Zahlen zu
führen, hieß es zuletzt vom Insolvenzverwalter.

Die Klinik im Vogtland ist mit ihren finanziellen Problemen nicht
allein. Zu Jahresbeginn hatte der Deutsche Städtetag Alarm geschlagen
und gewarnt, dass viele kommunale Kliniken akut in ihrer Existenz
bedroht seien. Etliche Häuser seien völlig unterfinanziert und
überschuldet, jedes fünfte Krankenhaus insolvenzgefährdet. Anfang
März hatten zudem 19 Oberbürgermeister in einem Brief an die
Gesundheitsminister deutliche Verbesserungen bei der finanziellen
Ausstattung ihrer Kliniken gefordert. Sollten nicht rasch grundlegend
veränderte Rahmenbedingungen beschlossen werden, stehe ihr
Fortbestand auf dem Spiel, heißt es in dem Brief, den auch die
Stadtchefs von Dresden, Chemnitz und Leipzig unterzeichnet haben.

Denn die finanzielle Lage vieler Kommunen selbst ist angespannt. Die
Klinik in Reichenbach zurück in kommunale Trägerschaft zu holen hätte

den Haushalt überfordert, sagt der Landrat des Vogtlandkreises Thomas
Hennig (CDU). Dabei verweist er auf strukturelle Millionendefizite
des Krankenhauses und erforderliche Investitionen. Zudem sei die
Auslastung in den vergangenen Jahren niedrig gewesen. Die stationäre
Versorgung der Patienten kann laut Hennig von anderen Kliniken der
Region übernommen werden - etwa in Plauen oder Zwickau.

Sorgen bereitet ihm ebenso wie Kürzinger aber die fachärztliche
Versorgung in der Region. Paracelsus betreibt außer dem Krankenhaus
ein Medizinisches Versorgungszentren (MVZ) in Reichenbach, wo
Sprechstunden etwa für Chirurgie, Gynäkologie und Urologie angeboten
werden. Die werden zwar trotz der Krankenhausschließung fortgeführt,
doch auch hier stehen Änderungen an. Laut Paracelsus gibt es
Verhandlungen zu einem Trägerwechsel. Und auch auf den Rettungsdienst
kommen Veränderungen zu und dürften manche Wege länger werden.

«Wir sind hier in Reichenbach ein unterversorgter Bereich - sowohl
bei Haus- als auch bei Fachärzten», beklagt Kürzinger. Für viele
Menschen sei das Krankenhaus bisher ein Notanker gewesen, der nun
wegfalle. Wegen Änderungen in der Kliniklandschaft schrumpft die Zahl
der Notaufnahmen in der Region insgesamt. Auch die in Kirchberg wurde
geschlossen, in Adorf sei das perspektivisch geplant, erläutert der
Geschäftsführer des zuständigen Rettungszweckverbandes, Jens
Leistner. «Wir werden in der Konsequenz etwas längere Fahrzeiten
haben.» Das bedeute für den Rettungsdienst Mehrbedarf an Fahrzeugen
und Personal. Zudem müssten sich die verbleibenden Notaufnahmen
darauf einstellen, mehr Patienten versorgen zu müssen.

Als Lehre aus der Misere um die Reichenbacher Klinik mahnt Sachsens
Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD), nötige Umstrukturierungen
nicht zu verschlafen. Reichenbach soll nach ihrem Willen ein
warnendes Einzelschicksal bleiben. Wenn die Auslastung eines
Krankenhauses sinke und außerdem noch Personal fehle, wachse der
Handlungsdruck. Auch andere Standorte stünden vor der Hausforderung,
sich für die Zukunft fit zu machen. Dafür hält die Ministerin auch
Geld aus den Kassen des Freistaates für notwendig.

Unlängst hatte sie eine Forderung aus den Tagen der Corona-Pandemie
bekräftigt. Es geht um einen 100 Millionen Euro teuren
«Rekommunalisierungsfonds», mit dem Landkreise und kreisfreie Städte

bei der medizinischen Versorgung finanziell bei Investitionen
unterstützt werden und Anreize für ein «Fitnessprogramm» in eigener

Sache erhalten sollen. «Reichenbach zeigt deutlich, dass solch ein
Angebot benötigt wird», betont Köpping.

Auf finanzielle Hilfe vom Land bauen die Stadt Reichenbach und der
Vogtlandkreis, um die medizinische Versorgung der Bevölkerung auch
ohne die Klinik zu sichern. Im Dezember hat der Stadtrat beschlossen,
ein Konzept zu erarbeiten. «Wir sind dabei, ein Gesundheitszentrum
auf den Weg zu bringen», erklärt Kürzinger. Er verwies darauf, dass
im Krankenhaus noch viel Technik vorhanden sei, die genutzt werden
könnte. Doch brauche es dringend eine Anschubfinanzierung vom Land.
Kürzinger hofft auf eine Regelung im Sächsischen Krankenhausgesetz,
wonach das Land Modellvorhaben «zur Entwicklung, Erprobung,
Überprüfung und Weiterentwicklung von Versorgungsstrukturen» förder
n
könne. Am Montag sei ein Gespräch im Ministerium geplant, hieß es.

Der Chef der Techniker Krankenkasse in Sachsen, Alexander Krauß,
sieht insgesamt großen Veränderungsbedarf mit Blick auf die Kliniken.
Auf viele Operationen könne verzichtet werden und mehr Behandlungen
könnten ambulant erfolgen, erklärt er. «Notwendig ist eine stärkere

Spezialisierung, die auch zu mehr Qualität führt.» Das werde auch
dazu führen, dass sich die Rolle mancher Standorte verändere vom
klassischen Krankenhaus hin zum medizinischen Versorgungszentrum, in
der mehr Behandlungen ambulant erfolgen. «Für den Patienten ist das
keine Verschlechterung.»