Bisher unbekannte Daten liefern neue Hinweise zum Corona-Ursprung

Über den Auslöser der Corona-Pandemie wird seit ihrem Beginn
gerätselt. Für kurze Zeit stellen chinesische Forscher Daten in eine
öffentlich verfügbare Datenbank. Westliche Wissenschaftler finden
darin spannende Hinweise.

Berlin (dpa) - Bisher unzugängliche genetische Daten aus China
liefern neue Hinweise zum möglichen Ursprung der Corona-Pandemie.
Eine Auswertung des Materials bringt Marderhunde auf einem Markt im
chinesischen Wuhan als potenzielle Überträger des Coronavirus ins
Spiel, wie die Zeitschrift «The Atlantic» berichtet. Die Ergebnisse
stützen dem Berliner Virologen Christian Drosten zufolge die
Vermutung eines natürlichen Ursprungs von Sars-CoV-2. «Das vorläufige

Ergebnis untermauert stark meine seit Beginn der Pandemie geäußerte
Vermutung eines Ursprungs in Marderhunden oder anderen Carnivoren
(Fleischfressern) wie zum Beispiel Schleichkatzen», teilte Drosten am
Freitag der Deutschen Presse-Agentur (dpa) mit.

Laut dem «The Atlantic»-Bericht waren Wissenschaftler auf zuvor
unbekannte chinesische Daten zu Proben vom Huanan-Markt in Wuhan
gestoßen, der mit dem ersten Corona-Ausbruch in Verbindung gebracht
wird. Die genetischen Sequenzen seien aus Abstrichen gewonnen worden,
die im Januar 2020 - also zu Beginn der Pandemie - an und in der Nähe
von Marktständen genommen wurden. Sie seien vor einigen Tagen von
Forschern des chinesischen Zentrums für Seuchenkontrolle und
-prävention (CDC) in die frei zugängliche Genomdatenbank «Gisaid»
eingestellt und dort von Wissenschaftlern in Europa, Nordamerika und
Australien - quasi zufällig - entdeckt und analysiert worden.

Eine Auswertung unter Leitung von US-Virusexperten ergab «The
Atlantic» zufolge, dass mehrere Marktproben, die positiv auf
Sars-CoV-2 getestet worden waren, auch tierisches Genmaterial
enthielten - vielfach vom Marderhund, einem verbreitet auf
Pelztierfarmen gehaltenen Fuchsverwandten. Unter anderem aus der Art
der Probenentnahme schließen die Wissenschaftler dem Bericht zufolge,
dass an den betroffenen Stellen ein mit dem Coronavirus infizierter
Marderhund gewesen sein könnte.

Die neuen Erkenntnisse dürften die Debatte um die Herkunft des
Coronavirus neu befeuern. Zuletzt war ausgehend von den USA die
Diskussion um eine Laborpanne als möglichem Ursprung der Pandemie
wieder aufgeflammt. Das Verhältnis zwischen den USA und China ist
derzeit aus verschiedenen Gründen schwer belastet. Der Virusexperte
Fabian Leendertz hatte die Diskussion so auch als «rein politisch
motiviert» bezeichnet. Die Laborhypothese sei weiter die
allerunwahrscheinlichste aller Hypothesen, hatte der
Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für One Health in
Greifswald betont.

Die Theorie, dass das Coronavirus im Jahr 2019 von Wildtieren auf den
Menschen übersprang, die auf dem Markt in Wuhan gehandelt wurden,
steht seit Pandemiebeginn im Raum und wird von der Mehrheit der
Experten als weitaus wahrscheinlichste gesehen. Ein Grund sei das
vorhandene Wissen über das erste Sars-Virus, bei dem es auch so einen
Übergang gegeben habe, erklärte Drosten. «Natürlich muss man jeglic
he
Theorien zum Ursprung des Virus ernst nehmen, aber ein natürlicher
Ursprung aus einer der genannten Tiergruppen war von Anfang an die
wahrscheinlichste Erklärung.»

Immer wieder stützten Analysen diese Annahme. Im Sommer 2022 im
Fachjournal «Science» vorgestellte Studien hatten zum Beispiel
ergeben, dass sich die frühesten Covid-19-Fälle auf dem Huanan-Markt
unter den Händlern konzentrierten, die lebende Tiere verkauften, und
bei Menschen, die dort einkauften.

Sicherheit bringt allerdings auch die aktuelle Auswertung nicht. Die
Tatsache, dass das nun analysierte genetische Material von Virus und
Säugetier so eng miteinander vermischt war - genug, um aus einem
einzigen Tupfer extrahiert zu werden - sei kein perfekter Beweis,
wird die Virologin Seema Lakdawala von der Emory University in «The
Atlantic» zitiert. Es sei ein wichtiger Schritt, habe aber nicht
denselben Wert, als wenn Sars-CoV-2 direkt aus einem Marderhund oder
in der Virusprobe eines in Wuhan zur Zeit des Ausbruchs verkauften
Säugetiers nachgewiesen worden wäre.

Der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO), Tedros Adhanom
Ghebreyesus, sagte am Freitag: «Diese Daten liefern uns keine
endgültige Antwort auf die Frage, wie die Pandemie begonnen hat, aber
jede Information ist wichtig, um dieser Antwort näher zu kommen.» Der
Corona-Expertin Maria van Kerkhove zufolge beweisen die Daten
zunächst nur, dass Marderhunde auf dem Markt gehandelt wurden. Das
sei bisher zwar schon angenommen, aber nie bestätigt worden.

Ghebreyesus kritisierte Chinas Informationspolitik. «Diese Daten
hätten schon vor drei Jahren zur Verfügung gestellt werden können,
und das hätte auch passieren müssen. Wir rufen China erneut auf,
transparent zu sein, indem es Daten zur Verfügung stellt, und wir
fordern China auf, die nötigen Untersuchungen durchzuführen und über

die Resultate zu berichten.»

Das zeitweise auf «Gisaid» verfügbare Material sei von China
inzwischen schon wieder gelöscht worden - warum, müsse man das
chinesische CDC fragen, sagte van Kerkhove in Genf. Drosten teilte
mit, dass sicherlich bald eine umfassende Studie der eigentlich mit
der Untersuchung der chinesischen Rohdaten befassten Wissenschaftler
folgen werde. Bei «The Atlantic» hieß es, die Analyse des
chinesischen Teams sei bereits zur Begutachtung bei einem Fachjournal
eingereicht.

«Es ist ein bisschen erstaunlich, dass diese Daten erst jetzt erhoben
wurden», merkte auch Leendertz an, der in die Suche der WHO nach dem
Sars-CoV-2-Ursprung eingebunden war. Umweltproben auf das Erbgut von
Tieren in der entsprechenden Gegend zu untersuchen, sei eigentlich
Routinevorgehen. «Was jetzt fehlt ist, weiter rückwärts zu schauen -

gibt es noch infizierte Zwischenwirte? Wo haben die Marderhunde (oder
andere empfängliche Tiere, die dort gehandelt wurden) möglicherweise
das Virus her?»

Marderhunde zählen wie etwa auch Nerze zu den Tierarten, die sich
leicht mit Corona infizieren. Die neuen Ergebnisse schließen aber
nicht aus, dass andere Tiere auf dem Huanan-Markt Träger des Virus
waren - oder gar der Ursprung für den Übergang auf den Menschen. Die
neuen Ergebnisse lieferten keine eindeutigen Beweise, wie es bei «The
Atlantic» heißt, aber es sei so, «als würde man die DNA des
Hauptverdächtigen am Tatort finden».