Klartext für Politiker: Weltklimarat will noch deutlicher warnen Von Christiane Oelrich, dpa

Die Klimawissenschaft warnt seit Jahren: «Es ist 5 vor 12», um die
schlimmsten Folgen des Klimawandels noch abzuwenden. Trotzdem
unternimmt die Politik zu wenig. Jetzt gibt es neuen Druck.

Interlaken (dpa) - Die drastischen Warnungen der Klimawissenschaft
sind bekannt. Hitzen, Dürren und Überschwemmungen zeigen immer öfter

die schrecklichen Folgen des menschengemachten Klimawandels. Jetzt
kommt der Weltklimarat (IPCC) mit einem weiteren Bericht. Einem
Synthesebericht, der das, was er seit 2018 veröffentlicht hat,
zusammenführt. Braucht die Welt das?

«Unbedingt», sagte einer der Autoren, der Klimaforscher Matthias
Garschagen von der Ludwig-Maximilians-Universität München der
Deutschen Presse-Agentur. Der Bericht soll an diesem Montag (20.
März) veröffentlicht werden. «Es wird sehr deutlich werden, dass der

Klimaschutz allein nicht mehr reicht. Der Zug ist abgefahren», sagte
er. «Wir haben heute klare Auswirkungen des Klimawandels und brauchen
Anpassungen daran.» Der Synthesebericht zeige zudem klar auf, wie die
Klimaschutzziele zu erreichen seien. «Und daraus lässt sich auch die
Unsinnigkeit bestimmter Politikpfade ableiten.»

Der Weltklimarat (IPCC) besteht aus den Vertretern der 195
Mitgliedsländer, die die Wissenschaft beauftragen, unter anderem
verschiedene Szenarien des Klimawandels zu erarbeiten. «Was wäre,
wenn ...» wird sowohl im Fall von gutem als auch schlechtem
Klimaschutz aufgezeigt. Konkrete Entscheidungen müssen aber die
Regierungen treffen.

Sie haben von allen sechs Teil-Berichten seit 2018 zwar schon
Zusammenfassungen für Politiker bekommen (summary for policy makers).
Aber die Botschaft ist nach dem Geschmack vieler Wissenschaftler
immer noch nicht klar genug angekommen. «Die Zusammenfassungen sind
bisweilen eher schwammig formuliert», sagte Mitautor Oliver Geden von
der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin der dpa. «Das liegt
daran, dass Einstimmigkeit nötig ist, jedes Land kann ein Veto
einlegen.» Die Formulierungen dürfen zwar nicht im Widerspruch zu den

wissenschaftlichen Erkenntnissen stehen. «Aber sie entsprechen nicht
immer zu 100 Prozent der Intention des eigentlichen Berichts.»

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben deshalb in der
vergangenen Woche in Interlaken in der Schweiz mit mehr als 650
Regierungsvertretern darum gerungen, die Dinge so glasklar wie
möglich darzulegen. Die Botschaft: Es ist allerhöchste Zeit. Es muss
jetzt sofort gehandelt werden.

Der Prozess ist mühsam, wenn die Zusammenfassung für Politiker Zeile
für Zeile durchgekaut wird. Saudi-Arabien gilt wegen seiner
Interessen an der klimaschädlichen Ölproduktion als schwierig, ebenso
Indien, das wie der Westen und China bislang ohne große
Einschränkungen industriell wachsen will.

Der Prozess lohnt sich trotzdem, sagt Geden. Denn wenn der Bericht
verabschiedet ist, gibt es kein Zurück: «Was darin steht, ist die
Grundlage für Klimaschutzverhandlungen und wird von den Regierungen
meist nicht mehr in Frage gestellt.»

Nun waren die jüngsten drei Berichte, die zwischen Sommer 2021 und
Frühjahr 2022 veröffentlicht wurden, schon alarmierend genug: Der
Klimawandel verläuft schneller und folgenschwerer als bislang
angenommen. Selbst im günstigsten Szenario mit starken Maßnahmen zum
Klimaschutz dürfte das Ziel, die Erwärmung möglichst unter 1,5 Grad
über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen, schon ab den 2030er
Jahren für mindestens eine Weile überschritten werden. Das
Energiesystem muss auf 100 Prozent erneuerbare Energien umgestellt
werden. In den Klimaschutz weltweit muss drei bis sechs Mal so viel
investiert werden wie zur Zeit.

Der Synthesebericht soll aber noch deutlicher werden. Zum Beispiel
beim 1,5 Grad-Ziel, beziehungsweise dem Pfad dahin. «Die Berichte der
Arbeitsgruppen 1 und 3 haben bereits gezeigt, dass wir vermutlich
Jahrzehnte lang über den 1,5 Grad liegen werden.» Nur bei massiven
Klimaschutzmaßnahmen könnte die Durchschnittstemperatur in der
zweiten Hälfte des Jahrhunderts wieder sinken und vor 2100 wieder bei
unter 1,5 Grad liegen, sagt Geden. Und Garschagen sagt: «Es wird
darum gehen, was das Risiko ist, wenn das Ziel, die Erwärmung
möglichst unter 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten,
zeitweise überschritten wird.»

Er ist optimistisch, dass sich in der Politik endlich etwas tut.
«Durch die jüngsten Krisen wie die Pandemie, gewalttätige Konflikte,

den Krieg gegen die Ukraine und die Energiekrisen hat die Politik
verstanden: Man muss über Krisen in der Gesamtschau nachdenken, weil
sie sich gegenseitig verstärken können. Ich sehe, dass zumindest die
Einsicht, dass da mehr geschehen muss, da ist.»