Magazin von Menschen mit Down-Syndrom: «Ohrenkuss» wird 25 Jahre alt Von Yuriko Wahl-Immel, dpa

Der «Ohrenkuss» feiert 25. Geburtstag - ein besonderes Jubiläum für

ein besonderes Magazin. Alle Autorinnen und Autoren haben das
Down-Syndrom. Ein Gewinn: Grammatik und Rechtschreibung dürfen krumm
und schief sein. Die Botschaft kommt geradeheraus.

Bonn (dpa) - Es geht um Schönheit, Wunder, um Geschwister, Natur,
Sport, Luxus, um den Ozean und die Ukraine. Und immer auch um die
Botschaft: «Dass Menschen mit Down-Syndrom klug sind.» So beschreibt

es Anna-Lisa Plettenberg, langjährige Autorin für das Magazin
«Ohrenkuss» bei einer Redaktionssitzung.

Das ist nicht irgendein Meeting. Der 25. Geburtstag des Magazins
steht an, die Jubiläumsausgabe wird am 21. März veröffentlicht, am
Welt-Down-Syndrom-Tag. Neun Team-Mitglieder sitzen in Bonn zusammen,
sechs sind per Video zugeschaltet. Das 50. Heft befasst sich mit
Freundschaft - und das Thema treibt alle um. «Was wir arbeiten, das
ist auch Freundschaft. Das bedeutet echt: Ist mir wichtig», betont
Autor Julian Göpel.

Beim «Ohrenkuss» haben alle Autorinnen und Autoren das Down-Syndrom.
Ihre Texte werden eins zu eins veröffentlicht. Fehler in Grammatik
oder Rechtschreibung werden nicht korrigiert. Sie sind kein Makel.
Sie sind ein Gewinn. Manche diktieren ihre Beiträge, manche schreiben
von Hand, andere am Computer. Angela Fritzen ist seit der allerersten
Ausgabe an Bord. «Das erste Heft war über die Liebe. Es ist eine
uralte Geschichte», erinnert sie sich. Zwei Magazine pro Jahr kommen
raus, an allen war sie beteiligt.

Das Jubiläumsheft haben 50 Korrespondenten und Korrespondentinnen
verfasst. Die Beiträge für die Hefte kommen inzwischen aus
zahlreichen europäischen Ländern und mitunter auch aus den USA, wie
Initiatorin und Chefredakteurin Katja de Bragança schildert.

Was genau in der Geburtstagsausgabe drin steht, wird nicht verraten,
aber eine kleine Kostprobe gibt es doch: «Freunschaft macht
glücklich», schreibt Manuel Müller im Heft. Johanna von Schönfeld -

auch in der hybriden Redaktionsrunde vertreten - stellt darin
fest: «Ohne meine Familie und ohne meine Freund gibt es mich nicht.»

Und Teresa Knopp sieht es so: «Freunde zu haben ist ein richtiger
Goldschatz, den man nicht direkt finden kann.»

Durch die Redaktionskonferenz führt Anne Leichtfuß, Übersetzerin fü
r
Leichte Sprache. Sie und Katja de Bragança sind die einzigen am
Tisch, die nicht das Down-Syndrom haben - auch Trisomie 21 genannt.
Denn das Chromosom 21 liegt bei Betroffenen in aller Regel dreimal
vor, statt zweimal. Und damit verfügt jede Zelle über 47 statt 46
Chromosomen. Wie viele Menschen das Down-Syndrom haben, wird nicht
erhoben, erläutert Humangenetikerin de Bragança. Nach bisheriger
Schätzung sind es um die 50 000 Personen, seit einiger Zeit kursiere
auch die Zahl 40 000. Das Down-Syndrom geht mit unterschiedlich
ausgeprägten Behinderungen einher.

Früher, als die Arbeit für den «Ohrenkuss» begann, dachten viele
noch, dass Menschen mit Down-Syndrom nicht lesen und schreiben
könnten, berichtet Autorin Teresa Knopp. Diese falsche Vorstellung
begegne ihr jetzt nicht mehr. Aber dass sie von Unbekannten manchmal
geduzt werde, komme noch immer vor und ärgere sie. Es brauche mehr
Infos über das Down-Syndrom, meint Teresa Knopp, die in einer Kita in
der Küche arbeitet: «Kinder sind die Zukunft. Es wäre gut sie
aufzuklären.»

Das Treffen vor dem Magazin-Geburtstag ist keine strenge
Arbeitssitzung. Es kommen auch Probleme in der WG zur Sprache, Stress
im Job. Der Krieg in der Ukraine geht vielen nahe. Yevhen Holubentsev
ist vor den Bomben aus Kiew geflüchtet, dank Übersetzer-App kann er
sich schon ein wenig ins «Ohrenkuss»-Team einbringen. Und die
Pandemie fühlte sich für viele einsam an. «Euch kann man nicht
vergessen», ruft Johanna von Schönfeld in die Runde.

Diskutiert wird, ob man zumindest einen virtuellen Stammtisch
hinbekommt. «Stammtisch auf dem Laptop gefällt mir», meint Julian
Göpel. Aber im Café wäre es auch schön, sagt Paul Spitzeck. Michael

Häger - er ist Gründungsmitglied des «Ohrenkuss» und hatte damals d
en
Magazin-Titel erfunden - ist zum ersten mal seit Corona wieder in
Präsenz dabei. Er vermisst viele andere Mitstreiter aus dem Team.

Teresa Knopp will auf jeden Fall beim «Ohrenkuss» am Ball bleiben.
«Es macht total viel Spaß mit euch, das zu schreiben - und dass ich
einfach so sein kann wie ich bin.» Für Natalie Dedreux, die im
Bundestagswahlkampf 2017 in einer TV-Sendung mit der damaligen
Kanzlerin Angela Merkel über Abtreibung gesprochen hatte, steht ihre
weitere Mitarbeit ebenfalls fest. Es gehe ihr super dabei. «Es ist
immer sehr cool.»

Die Texte zeugen von Kreativität und Einfühlvermögen, manche sind
emotional, andere poetisch. Die Botschaften kommen originell,
authentisch und direkt rüber. An Humor fehlt es keineswegs. So lässt
Autor Paul Spitzer in der Jubiläumsausgabe wissen: «Ich habe eine
gute Freundschaft mit meine Kaktus. Die heißt Kaki. Wir sind eng
gefreundschaft. Wir brauchen nicht rede. Wir gucken uns an. Und jede
zweite Woche hat sie Durst.»