Wenn Kinder Kinder töten - Viele Fragen nach Tod einer 12-Jährigen Von Marc Herwig, Jens Albes und Alexandra Stober, dpa

Zwei Kinder haben in Freudenberg wohl eine 12-Jährige getötet. Die
Justiz stößt an ihre Grenzen, denn die Täterinnen sind noch zu jung
für eine Strafe. NRW-Ministerpräsident Wüst verspricht, dass der Tod

von Luise konkrete Folgen haben soll.

Freudenberg (dpa) - «Fassungslos - sprachlos - hilflos»: Drei Worte
stehen auf einer Seite im Kondolenzbuch für die getötete 12-jährige
Luise in der evangelischen Kirche Freudenberg. Sie drücken gut aus,
was viele Menschen in der kleinen Stadt bei Siegen in
Nordrhein-Westfalen gerade fühlen. Seit dem Wochenende trauert die
Stadt um die 12-jährige Schülerin, die nach dem Besuch bei einer
Freundin auf dem Heimweg in einem Waldstück getötet wurde. Und am
Dienstag nun die Nachricht: Die mutmaßlichen Täterinnen sind selbst
noch Kinder. Zwei 12- und 13-jährige Mädchen haben gestanden, Luise
mit zahlreichen Messerstichen getötet zu haben. Die Kinder kannten
sich.

Wer mit den Menschen in der Freudenberger Innenstadt spricht, stößt
immer wieder auf die eine Frage: Warum? Warum musste die Schülerin
sterben? Und warum begingen zwei Kinder wohl eine so grausame Tat?

Die Ermittlungsbehörden halten sich mit Antworten auf diese Fragen
sehr zurück. Die mutmaßlichen Täterinnen müssten geschützt werden
-
gerade weil sie noch Kinder seien, betonte der Leitende
Oberstaatsanwalt in Koblenz, Mario Mannweiler.

Nur so viel sagt er: «Was für Kinder möglicherweise ein Motiv ist f
ür
eine Tat, würde sich einem Erwachsenen möglicherweise nicht
erschließen.» Angesichts der vielen Stichverletzungen bei dem Opfer
liege jedenfalls die Vermutung nahe, «dass irgendwelche Emotionen
eine Rolle gespielt haben».

Dass Kinder unter 14 Jahren Gewalttaten wie schwere Körpverletzung,
sexuellen Missbrauch, Totschlag oder Mord begehen, kommt eher selten
vor. 2021 ist die Zahl der tatverdächtigen Kinder in diesem Bereich
gegenüber dem Vorjahr bundesweit angestiegen (7477 zu 7103).
Verglichen mit 2019 gab es 2021 jedoch einen Rückgang um rund zehn
Prozent.

Bei den Delikten gegen das Leben sind die absoluten Zahlen äußerst
niedrig: 2021 gab es in diesem Bereich bundesweit 19 tatverdächtige
Kinder, darunter vier Mädchen. Die Zahlen schwanken von Jahr zu Jahr
stark, in den vergangenen 20 Jahren lagen sie jährlich zwischen vier
und 21 Tatverdächtigen. Zur Einordnung: Laut Statistischem Bundesamt
lebten in diesem Jahr rund 8,5 Millionen Kinder unter 14 Jahren in
Deutschland.

NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sprach am Dienstag von einem
beunruhigenden Anstieg in Nordrhein-Westfalen. «Wir müssen diese
Entwicklung nicht nur genau beobachten, wir müssen sie untersuchen,
Ursachen finden und Präventionsarbeit leisten», betonte er. «Die Tat

von Freudenberg wird Spuren über den schrecklichen Tod von Luise
hinaus hinterlassen.» Was diese Tat in der Orts- und der
Schulgemeinschaft auslöse, lasse sich bestenfalls erahnen, sagte
Wüst.

Am Tatort war am Dienstag noch einmal die Polizei im Einsatz. Von der
Tatwaffe fehlt noch immer jede Spur. Der Ort, an dem die Leiche von
Luise gefunden wurde und wo sie wohl auch getötet wurde, liegt
abgelegen im Wald an der Landesgrenze von Rheinland-Pfalz zu
Nordrhein-Westfalen. Freudenberg ist einige Kilometer entfernt.
Handys haben hier keinen Empfang. Das Gelände ist unwegsam, nur ein
Radweg führt durch das Tal. Eigentlich hätte Luise gar nicht hierher
gehen müssen, um nach Hause zu kommen. Was die drei Mädchen hierher
geführt hat, auch dazu sagen die Ermittler nichts.

Strafrechtlich wird der Tod von Luise jedenfalls keine Folgen haben.
Kinder unter 14 Jahren sind grundsätzlich nicht strafmündig - selbst
bei einem so schlimmen Verbrechen wie Mord oder Totschlag. «Wir legen
diesen Fall jetzt in die Hände der Jugendbehörden», sagte
Staatsanwalt Mannweiler. Die beiden mutmaßlichen Täterinnen seien «in

einem geschützten Raum in der Obhut des Jugendamtes». Nun seien
Psychologen, Psychiater und auch die Eltern gefragt. «Die eigentliche
Arbeit, die fängt jetzt erst an.»