Plastik-«verdauende» Enzyme sollen Abfallproblem lindern Von Christopher Hirsch, dpa

Plastik ist aus dem Alltag nicht wegzudenken, doch der Müll nimmt zu.
Manche Enzyme können Kunststoff zersetzen und Recycling vereinfachen.
Doch wie findet man sie? Forscher sprechen von einer Suche nach der
Stecknadel im Heuhaufen.

Greifswald/Leipzig (dpa) - Was Yannick Branson in einem Labor der
Universität Greifswald in den Händen hält, sieht erst einmal
unspektakulär aus: Schaumstofffetzen aus einem alten Kissen und ein
Röhrchen mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit. Dahinter steht eine
wichtige Frage: Was machen wir mit dem weltweit zunehmenden
Plastikabfall? Ein Ansatz: Ähnlich wie bei der Verdauung von
Lebensmitteln könnten Enzyme Plastik in seine Bestandteile zersetzen,
so dass sich daraus neue Kunststoffe recyceln lassen.

«Das ist tatsächlich im Moment ein sehr verbreitetes oder heißes
Thema», sagt der Doktorand am Institut für Biochemie der Uni
Greifswald. Er ist Teil eines Teams, das drei Enzyme gefunden hat,
die Polyurethan in seine Bestandteile zerlegen können. Polyurethan
kommt etwa in Matratzen, Dämmstoffen, aber auch Turnschuhen vor -
oder eben in Kissen, wie Bransons Schaumstofffetzen.

Nach einer chemischen Vorbehandlung wandelt sich das Material in die
etwas unappetitlich aussehende Flüssigkeit. Davon kann laut Branson
ein Teil direkt wiederverwendet werden, und ein anderer Teil wird
durch die Enzyme in seine Grundbausteine zersetzt. «Insgesamt wurden
also die Weichen gestellt für ein vollwertiges Recycling.» Die
Kunststoffe bestünden aus Molekülketten - sogenannten Polymeren. Wenn
man diese in ihre Einheiten zerlege, könne man daraus neue
Kunststoffe herstellen.

Man sei in Greifswald sehr fleißig bei der Enzym-Suche gewesen, lobt
Christian Sonnendecker vom Institut für Analytische Chemie der
Universität Leipzig. «Es konnten auch beeindruckende Ergebnisse
erzielt werden.» Sonnendecker selbst beschäftigt sich mit einem
Stoff, der aus dem Alltag in Form von Plastikflaschen, Folien oder
anderen leichten Verpackungen bekannt ist: PET
(Polyethylenterephthalat).

Mit seinem Team entdeckte er ein Enzym, das PET besonders schnell
zersetzen kann. Fündig wurden sie auf einem Friedhof. Dort hatten die
Wissenschaftler gezielt Proben von Laubkompost genommen und fanden in
einer davon den Bauplan des Enzyms PHL7, das PET im Labor in
Rekordgeschwindigkeit zersetzte.

Enzyme seien bei allen Lebewesen - egal ob Mensch, Tier, Pflanze,
Pilz oder Bakterium - für den Stoffwechsel zuständig, erklärt Uwe
Bornscheuer, der in Greifswald die Arbeitsgruppe Biotechnologie und
Enzymkatalyse leitet. Sie zerkleinerten unser Frühstück, indem sie
etwa Stärke, Fette und Proteine abbauten. «Und wir können die eben
nutzen im Bereich Biotechnologie.» Das Prinzip könne man auf
Kunststoffe übertragen.

Zwar gibt es bereits chemische Verfahren, um den Kunststoff
Polyurethan zu zersetzen. Diese benötigen aber hohe Temperaturen und
hohen Druck und deshalb viel Energie. Die nun entdeckten Enzyme
schaffen den Abbau unter sogenannten milden Bedingungen - also unter
Normaldruck und bei Temperaturen bis etwa 40 Grad. «Es sind zwei
wichtige Vorteile», erklärt Bornscheuer. «Ich spare Energie für das

Verfahren und gleichzeitig habe ich guten Zugang zu den Bausteinen,
so dass ich ein Recycling des Kunststoffs erzielen kann.»

Die von seinem Greifswalder Team gefundenen Enzyme vergleicht er mit
der Stecknadel im Heuhaufen. Etwa zwei Millionen Kandidaten hatten
die Forscher nach eigenen Angaben durchgetestet. Nach Einschätzung
Bornscheuers wird es jedoch noch einige Jahre dauern, bis die
Ergebnisse industriell genutzt werden können.

Das Team arbeitet mit einem Unternehmen zusammen. Auch
Polyvinylalkohole (PVA), die etwa als Folien für Verpackungen genutzt
werden, hat es bereits mit Enzymen zersetzt, wie eine Gruppe um
Bornscheuer jüngst im Fachblatt «Angewandte Chemie» berichtete.

In Leipzig will man nach eigener Aussage die eigenen
Forschungsergebnisse bald im Rahmen eines Start-Ups nutzen. Zwar
werde etwa in Frankreich schon am PET-Recycling mittels Enzymen im
industriellen Maßstab gearbeitet. Man hoffe, dass das eigene Enzym
wesentlich schneller arbeite, sagt Sonnendecker.

Der Forscher weiß allerdings um Grenzen des Verfahrens. Nicht für
alle gängigen Kunststoffe werde es eine sinnvolle enzymatische
Recyclingoption geben, glaubt er. Auch der Greifswalder Biochemiker
Bornscheuer geht davon aus, dass Enzyme nicht als Allheilmittel gegen
die Kunststoffflut dienen.

Er verweist etwa auf den Plastikmüll in den Ozeanen. «Das sind die
Sünden der Vergangenheit.» Und derzeit würden weltweit
schätzungsweise 360 Millionen Tonnen Plastik produziert. Tendenz
steigend: «Es werden jedes Jahr ungefähr 20 Millionen Tonnen mehr.»