Erneute Debatte über Waffengesetz nach Amoktat in Hamburg Von Wolfgang Müller, Ann-Beatrice Clasmann und Marc Niedzolka, dpa

Eine politische Dauer-Diskussion und ein Streitthema der Koalition
werden nach der Amoktat mit mehreren Toten und Verletzten in Hamburg
wieder angeheizt. Einige Fragen zu dem Verbrechen sind weiterhin
offen.

Hamburg (dpa) - Die Amoktat von Hamburg hat die Debatte über
schärfere Waffengesetze wieder in den Fokus gerückt. Einen Tag nach
dem Verbrechen mit acht Toten und mehreren Verletzten in den Räumen
der Zeugen Jehovas kündigte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD)
an, den Entwurf zur Änderung des Waffengesetzes noch einmal prüfen zu
wollen. Man müsse überlegen, «wie wir mit dieser neuerlich
furchtbaren Amoktat in Hamburg nochmal an den Gesetzentwurf gehen, um
zu schauen: Gibt es noch Lücken, oder wo war er genau richtig?»,
sagte Faeser am Freitagabend den ARD-«Tagesthemen».

Zum Zustand der Verletzten gab es auch am Sonntag zunächst keine
neuen Informationen von der Polizei. Planungen für Trauermärsche oder
Gedenkveranstaltungen wurden am Wochenende ebenfalls nicht bekannt.

Auch wenn das Thema Waffenrecht bislang nicht auf der Tagesordnung im
Innenausschuss des Bundestages steht, dürfte es weiter für
Diskussionen sorgen. Zuletzt hatte Faeser mit ihren Plänen für mehr
Kontrollen und Vorschriften die Verbände der Jäger und Schützen gegen

sich aufgebracht. Diese wiederum erhielten Unterstützung von der FDP.

Konstantin Kuhle, stellvertretender Vorsitzender der
FDP-Bundestagsfraktion, sagte der dpa am Samstag, psychisch kranke
Personen dürften keine Schusswaffen besitzen. «Überhastete
Forderungen nach gesetzgeberischen Konsequenzen» seien nicht
angezeigt. Der stellvertretende FDP-Parteivorsitzende Wolfgang
Kubicki sagte dem Fernsehsender Welt: «Die natürliche Reaktion,
zunächst alles verbieten zu wollen, verbietet sich. Das ist eine
menschlich nachvollziehbare Reaktion, aber sie hilft im Zweifel nicht
weiter.»

Bei der Tat am Donnerstagabend im Hamburger Norden starben sieben
Menschen und der Täter selbst. Zu den Toten zählt die Polizei auch
ein ungeborenes Kind. Acht weitere Menschen wurden verletzt, vier von
ihnen lebensbedrohlich. Der 35 Jahre alte Philipp F. hatte mehr als
100 Mal mit einer halbautomatischen Pistole geschossen. Seit dem 12.
Dezember sei er im legalen Besitz dieser Waffe gewesen, hatte
Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer gesagt. Als Extremist war
der Schütze nach Angaben aus Sicherheitskreisen nicht bekannt.

Weiterhin stellen sich viele Fragen. Hätten Behörden (früher)
reagieren müssen? Ist der Täter zu einfach an seine Waffe gekommen
oder wurden anonyme Hinweise, der Mann sei psychisch auffällig, nicht
ernst genommen? Wäre er womöglich einem Psychiater oder Psychologen
aufgefallen? Über eine frühere Drogenauffälligkeit war ersten
Erkenntnissen zufolge nichts bekannt. Es gebe keinen entsprechenden
Eintrag bezüglich Drogendelikten, sagte ein Sprecher des bayerischen
Innenministeriums. Zuvor hatte es Berichte über einen möglichen
Drogenmissbrauch von Philipp F. in der Vergangenheit gegeben. Er
stammt aus Memmingen in Bayern und war seit 2015 in Hamburg gemeldet.

Die Linke fordert nach der Tat Aufklärung vom Senat. Der Senat müsse
den Innenausschuss über offene Fragen in Bezug auf den Amoklauf
vollständig aufklären, sagte Deniz Celik, innenpolitischer Sprecher
der Linksfraktion in der Hamburgischen Bürgerschaft. «Nach den
neuesten Erkenntnissen muss die Frage, ob der Amoklauf hätte
verhindert werden können, neu gestellt werden. Die auf der Homepage
und im Buch vertretenen kruden Thesen zeichnen das Bild eines wirren,
religiösen Extremisten», sagte Celik.

Über das genaue Motiv von Philipp F. wird weiterhin gerätselt. Der
anonyme Hinweisgeber habe die Waffenbehörde auf dessen «besondere Wut
auf religiöse Anhänger, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas»
aufmerksam gemacht, wie Meyer mitteilte. Im Internet gab Philipp F.
einiges über sich und seine Gedankenwelt preis. Die Webseite des
Täters zeigt etwa, dass er sich intensiv mit Gott und Jesus Christus
auseinandersetzte und krude Thesen verbreitete.

Philipp F. war Sportschütze, hatte eine Waffenbesitzkarte und war
erst kürzlich von der Waffenbehörde aufgesucht worden. Die Behörde
hatte im Januar einen anonymen Hinweis auf eine mögliche psychische
Erkrankung von Philipp F. erhalten. Dieser wurde Anfang Februar von
zwei Beamten der Waffenbehörde unangekündigt aufgesucht.

Damals habe es keine relevanten Beanstandungen gegeben, die
rechtlichen Möglichkeiten seien ausgeschöpft gewesen, sagte Meyer.
Die gesamten Umstände hätten auch keinerlei Anhaltspunkte für die
Beamten ergeben, «die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten
können».