Der Prinz und die Psychedelika - Wann sind Drogen Medizin? Von Larissa Schwedes und Gisela Gross, dpa

Der britische Prinz Harry meint, sein Experimentieren mit Drogen habe
eine zentrale Rolle bei der Bewältigung psychischer Probleme
gespielt. Was Fachleute über Potenziale, Grenzen und Gefahren sagen.

Berlin (dpa) - «Unter dem Einfluss solcher Substanzen konnte ich die
starren Vorstellungen der Welt hinter mir lassen.» Jenseits seiner
«massiv gefilterten Wahrnehmung» liege noch eine andere, eine ebenso
reale, aber doppelt so schöne Welt. «Ohne blinde Wut, ohne einen
Grund für blinde Wut.» So berichtet der britische Prinz Harry in
seiner Biografie «Reserve» über Erfahrungen mit psychedelischen
Drogen. Das Experimentieren damit habe eine zentrale Rolle bei der
Bewältigung psychischer Probleme gespielt, sagte er kürzlich in einem
Online-Gespräch mit dem kanadischen Trauma-Experten Gabor Maté.

Damit spricht der 38-Jährige ein Thema an, um das es seit einiger
Zeit wieder einen ziemlichen Hype gibt. Auf illegalen Stoffen wie
Psilocybin (Zauberpilze), MDMA (Ecstasy) und LSD ruhen durchaus
Hoffnungen: Haben sie womöglich ein Potenzial, gegen unterschiedliche
psychische Erkrankungen zu helfen? Gegen Depressionen, Angst-,
Zwangs- und Suchterkrankungen oder posttraumatische
Belastungsstörungen? Bisherige Erkenntnisse reichten nicht aus, um
den Einsatz außerhalb klinischer Studien zu rechtfertigen, heißt es
in der Leitlinie zu Depression.

Die teils hohen Erwartungen hängen etwa mit kleineren Studien und dem
Einwirken auf bestimmte Gehirnregionen und Rezeptoren zusammen - bei
Psilocybin unter anderem für den Botenstoff Serotonin, der mit
Depressionen in Verbindung gebracht wird. Neu ist das Thema nicht:
Schon in den 50er und 60er Jahren wurde die Wirkung etwa von LSD und
Psilocybin auf die Psyche untersucht. Spätere Verbote unterbrachen
dann lange die Forschung.

In Großbritannien zogen Harrys Äußerungen Kritik auf sich, laut
«Daily Mail» wird ein verstärktes Interesse an Quacksalber-Therapien

befürchtet. Im Buch erwähnt Harry Pilze und den halluzinogenen Trank
Ayahuasca (DMT). Die Anwendung nennt er «rein medizinisch»,
allerdings sind die Substanzen in vielen Ländern illegal.

Dabei können Erinnerungen an 2009 wach werden: Bei einer illegalen
Drogentherapie in Berlin starben zwei Männer an einer Überdosis
Ecstasy. Fünf weitere Menschen kamen mit Vergiftungen ins
Krankenhaus. Der verurteilte Arzt hatte die Droge falsch abgewogen.

Heutzutage muss eine mögliche Wirksamkeit gegen bestimmte Krankheiten
erst einmal in größeren klinischen Studien gezeigt werden. Die Fragen
sind etwa, ob die Wirkung über den Effekt eines Scheinmedikaments
hinausgeht und ob der Nutzen größer ist als bei schon vorhandenen
Therapien. Forschende wollen wissen, wie lange mögliche Wirkungen
anhalten und wie unerwünschte Nebenwirkungen das Verhältnis von
Risiko zu Nutzen beeinflussen. Wichtig ist zudem die richtige Dosis.

Zu Psilocybin läuft eine Studie des Zentralinstituts für Seelische
Gesundheit in Mannheim, an der auch die Charité in Berlin beteiligt
ist. Es geht um Depressionen, deren Behandlung bisher erfolglos war.
Die Substanz löst laut Angaben auf der Studienwebseite für einige
Stunden einen Zustand ähnlich einem Tagtraum aus, oft verbunden mit
verstärkten Emotionen. Hinweise, dass die Substanz abhängig macht,
gebe es nicht. 2024 lägen voraussichtlich Ergebnisse vor, teilte
Charité-Studienkoordinator Michael Koslowski mit.

Weiter fortgeschritten ist der Einsatz des Narkose- und
Schmerzmittels Ketamin. Auch bekannt als Partydroge. Bei Menschen mit
therapieresistenten Depressionen kann es unter bestimmten
Voraussetzungen intravenös, unter die Haut oder seit Ende 2019 auch
als Nasenspray (dann als Esketamin) verabreicht werden. Als Vorteil
gilt, dass die Wirkung schnell eintritt. Die Gabe hat etwa zur Folge,
dass Patienten eine Zeit lang quasi von ihrer Umwelt abgekoppelt
sind.

«Wir haben mit Ketamin teils ganz erstaunliche Erfolge bei
Betroffenen gehabt. Ich sehe es als wertvolle Bereicherung der
therapeutischen Möglichkeiten», sagt Andreas Reif, Direktor der
Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am
Universitätsklinik Frankfurt. «Solche Therapien müssen aber immer
eingebettet sein in eine psychiatrische Gesamtbehandlung.»

Sprich: Einen Drogen-Trip in Eigenregie darf man sich keinesfalls als
einfache Lösung für komplexe psychische Probleme vorstellen. Im
Gegenteil. Das könnte nach hinten losgehen. Selbstversuche erschienen
zunehmend auf Portalen wie Youtube, berichtet Koslowski von der
Charité. Das halte man für sehr riskant. Nachahmer liefen Gefahr,
gefährliche Komplikationen zu erleiden: Angstreaktionen, Psychosen,
Unfälle und Risiken für das Herz, etwa wenn eine zu hohe Menge
eingenommen wird oder eine Mischung mehrerer Substanzen.

Die Substanzen seien nach bisherigen Erkenntnissen auch kein
Heilsbringer für alle Patienten, sagt Reif, der im Vorstand der
Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie,
Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPNN) ist. «Man darf sie aber
auch nicht verteufeln. Wir sollten froh sein über jedes zusätzliche
Medikament, das wir zur Verfügung haben.» Weitere Psychedelika
dürften aus Reifs Sicht in Zukunft für die Nutzung im psychiatrischen
Bereich hinzukommen. Fachleute sprechen davon, dass es etwa bei
Psilocybin noch eine Frage mehrerer Jahre sein dürfte.